Ehrenamtliche Arbeit für die Armen in der reichen Stadt

Eine Küche gegen sozialen Hunger

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Ein Mann reicht einem anderen zu Essen.
Nachweis

Foto: Matthias Schatz

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Tobias Emskötter tischt auf: Die Suppenküche in St. Bonifatius bietet Bedürftigen jeden Samstag um 12 Uhr eine warme Mahlzeit – beispielsweise Pasta, wahlweise mit Fleisch oder vegetarisch.

Tobias Emskötter leitet seit mehr als 20 Jahren die Suppenküche der Gemeinde St. Bonifatius. Sie befindet sich im Herzen des Hamburger Stadtteils Eimsbüttel, wo infolge von Gentrifizierung Arm und Wohlhabend aufeinanderprallen. Für sein Engagement wurde Emskötter mit der Ansgar-Medaille ausgezeichnet.

Als Tobias Emskötter 1988 an den Heußweg im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel zog, spielte Kirche im Leben des Malers und Illustrators „keine Rolle“ wie er sagt. Doch dann schenkte ihm 2002 eine Freundin zum 50. Geburtstag ein Wochenende im Benediktiner-Kloster Nütschau nahe der schleswig-holsteinischen Kreisstadt Bad Oldesloe. „Ich hatte von Anfang an das Gefühl, geführt zu werden“, bekennt der nun 72-jährige Künstler und Grafiker in seinem Atelier, an dessen Wänden vor allem Gemälde mit Tierdarstellungen, etwa einem Wal, hängen. Nach einer Bedenkzeit und einem Glaubenskurs trat er dann in die katholische Kirche ein. „Trotz manchem Ärger bleibt die Liebe zur Kirche und ich habe unterm Strich keine Alternative.“

Zur Kirche St. Bonifatius hat es Emskötter nicht weit. Sie liegt wortwörtlich um die Ecke, nur 350 Meter entfernt. Er muss nur nach ein paar Schritten rechts in die Lutterothstraße abbiegen, die alsbald zur Straße Am Weiher übergeht, wo sich neben dem Gotteshaus auch eine Schule der Gemeinde befindet. Das Glockengeläut dringt noch deutlich hörbar bis zu seiner Wohnung vor. „Der Zugang zum Glauben erfolgt aber nicht nur über die Messe und das Gebet, sondern auch sehr stark über das Gegenüber“, meint Emskötter, unter dessen Gemälden sich folgerichtig auch ein paar Portraits von Mitmenschen finden. „Insofern war die Suppenküche der Gemeinde attraktiv für mich.“ Seit 22 Jahren leitet er die Einrichtung der Gemeinde, die jeden Samstag auf ihrem Gelände und in ihren Räumen ein warmes Essen für Bedürftige ausgibt.

Als in den 1990er Jahren viele Flüchtlinge vom Balkan kamen, wo ein Krieg auf dem Gebiet des einstigen Jugoslawiens tobte, hatten zwei Elisabeth-Schwestern in St. Bonifatius die Idee, dort Essen auszugeben. „Damals gab es noch Essenspakete zum Mitnehmen“, berichtet Emskötter. Dadurch sei auch viel Verpackungsmüll im angrenzenden Park „Am Weiher“ gelandet. Als eine der beiden Schwestern zu alt für die Tätigkeit geworden und die andere nach Dresden berufen worden sei, drohte die Suppenküche eingestellt zu werden. Es hätten sich aber Ehrenamtliche der Gemeinde gefunden, die sie in anderer Form weitergeführt hätten, so Emskötter. Fortan habe es keine Essenpakete mehr gegeben, sondern Eintopf, Brot und Obst auf dem Kirchengelände. Im Winter nehmen die Gäste in der Turnhalle der Schule Platz, im Sommer steht Emskötter mit anderen Ehrenamtlichen in einem Marktwagen, für den er selbst das Logo der Suppenküche gestaltet hat, und gibt das Essen aus.

Dies Engagement ist am Schluss des Patronatsfests des Erzbistums, der Sankt-Ansgar-Woche, Anfang Februar von Erzbischof Stefan Heße mit der Verleihung der Ansgar-Medaille an Emskötter gewürdigt worden. Der Geehrte sieht die Medaille aber auch als Auszeichnung für das gesamte, etwa 30 Personen umfassende Team der Suppenküche.

In Eimsbüttel prallen Arm und Wohlhabend mittlerweile hart aufeinander, wohnen Tür an Tür. Ursprünglich war der Stadtteil ein Arbeiterviertel. Es formte sich Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts rund um den Nivea-Hersteller Beiersdorf, der lange seine Firmenzentrale an der Unnastraße gegenüber St. Bonifatius am Rand des Parks „Am Weiher“ hatte. Ursprünglich lag das Areal am Rande Hamburgs, dessen Einwohnerzahl damals stark wuchs. Auch viele Katholiken kamen seinerzeit in die Hansestadt. Heute ist Eimsbüttel ein sehr begehrtes zentrumsnahes Wohngebiet mit vielen szenigen Kneipen. Noch als Emskötter in den Heußweg zog, waren es oftmals Studenten, Künstler wie er oder auch Geringverdiener, die dort verhältnismäßig günstigen Wohnraum suchten und fanden. Doch schon damals begann langsam eine Gentrifizierung. Neue zahlungskräftigere Mieter, die das urbane Umfeld schätzten, fluteten sukzessive den Stadtteil, weitere kauften dort Altbauwohnungen aus der Gründerzeit. „Neulich war hier eine Wohnung von 88 Quadratmetern im Angebot für eine Million Euro“, berichtet Emskötter. Wer schon lange dort wohnt, kann sich zwar oftmals die Miete noch leisten, weil sie für ihn nicht unbeschränkt angehoben werden kann, doch die Preise in den Restaurants und Läden, von denen allerdings inzwischen viele kleine Geschäfte aufgeben mussten, sind in die Höhe geschossen. So sind es heute nicht mehr Flüchtlinge vom Balkan, sondern die alten Mieter im Rentenalter, die neben Wohnungs- und Obdachlosen auf die Suppenküche angewiesen sind.

„Wir gehen davon aus, dass die Leute, die kommen, irgendeine Form von Hunger haben. Das kann auch sozialer Hunger sein“, sagt Emskötter. Daher werde für die Suppenküche keinerlei Zugangsberechtigung verlangt – anders als etwa bei den Tafeln, die, um allen Bedürftigen etwas zukommen zu lassen, ihr Angebot einteilen müssen. Viele Gäste würden sich zur Suppenküche verabreden. „Es gibt da so etwas wie Stammtische.“ Er wolle gar nicht immer ein großes Fest machen, sagt Emskötter gegen Schluss des Gesprächs auf einem Schemel vor seiner Staffelei sitzend. „Das ist auch viel Arbeit und noch herausfordernder ist es, sie jeden Samstag zu machen. Aber ich habe immer noch Lust dazu.“

Ich hatte von Anfang an das Gefühl, geführt zu werden.

Zur Person

Tobias Emskötter, 72, arbeitet seit Anfang der 1980er Jahre selbstständig als Grafiker und Maler. Heute widmet er sich mehr der Malerei. Die Kirche St. Bonifatius befindet sich nahe seines Ateliers und seiner Wohnung im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel.

Die Suppenküche in St. Bonifatius bietet Bedürftigen jeden Samstag um 12 Uhr eine warme Mahlzeit – beispielsweise Pasta, wahlweise mit Fleisch oder vegetarisch.

Matthias Schatz