Ausstellung „Frei.Schaffend“

Eine moderne Frau: Ottilie Roederstein

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Das Frankfurter Städel widmet eine aktuelle Ausstellung jetzt der zu Unrecht ein wenig in Vergessenheit geratenen Künstlerin Ottilie Wilhelmine Roederstein. Ihr Titel: „Frei.Schaffend“. Zwei Bilder kommen aus dem Pfarrhaus in Hofheim. Von Barbara Schmidt



Die Künstlerin Ottilie W. Roederstein (links) mit ihrer Lebensgefährtin, der Ärztin Elisabeth Winterhalter, beim Brettspiel.


Zwei Bilder für die große Retrospektive kommen von einer eher ungewöhnlichen Leihgeberin, der katholischen Pfarrei St. Peter und Paul in Hofheim. Für Eva-Maria Höllerer, die Kuratorin der Ausstellung, waren sie vor allem interessant, weil sie zu den Werken gehören, in denen sich die Künstlerin mit religiösen Motiven auseinandergesetzt hat. Zu ihren Lebzeiten keine Selbstverständlichkeit für eine Frau, eher eine Grenzüberschreitung. „Gezielt“ habe sie „das für malende Frauen übliche thematische Terrain“ überschritten, heißt es in einer Vorschau des Städel auf die Ausstellung.
Von 1909 bis zu ihrem Tod im Jahr 1937 lebte die 1859 in Zürich geborene Künstlerin, deren Eltern aus dem Rheinland stammten, in Hofheim. Die Stadt am Rand des Taunus stand Anfang des 20. Jahrhunderts bei den Frankfurtern als Wohnsitz oder Wochenend-Erholungsziel im Grünen hoch im Kurs. Ottilie W. Roederstein und ihre Lebensgefährtin, die Ärztin Dr. Elisabeth Winterhalter, hatten sich auf dem damals noch kaum besiedelten Kapellenberg am Waldrand ein neues Haus bauen lassen. Unweit davon entstand zudem Roe-dersteins Atelierhaus. Ihre Portraits vor allem machten die Künstlerin zu ihren Lebzeiten finanziell unabhängig und hochanerkannt.
Die Hofheimer brachten, so ist es überliefert, den beiden selbstbewussten, emanzipierten Frauen einige Sympathie entgegen. Das habe nicht zuletzt daran gelegen, dass sie Hofheimer Handwerker beschäftigt und in Hofheimer Geschäften eingekauft hätten, meint Dr. Stefan Hauck. Der Literaturwissenschaftler und Redakteur ist engagiertes Gemeindemitglied und hat sich als Kenner der Hofheimer Orts- und Kirchengeschichte einen Namen gemacht. Er war und ist bei der Pfarrei Ansprechpartner der Ausstellungsmacher. Diese zeigten sich nach einer ersten Besichtigung der Bilder, die der Pfarrei von Ottilie W. Roederstein zum Geschenk gemacht worden waren, gleich interessiert, diese für die Schau auszuleihen.

Pietà-Bild als Geschenk für die Pfarrei in Hofheim

Das eine, großformatige, zeigt lebensgroß die trauernde Maria mit ihrem toten Sohn. Diese Pietà habe Roederstein der Pfarrei im Weltkriegsjahr 1917 geschenkt, wohl auch, weil in dieser Zeit immer wieder gefallene Hofheimer betrauert wurden, meint Hauck. Das Bild hatte sie ursprünglich für eine Weltausstellung gemalt und dafür große Anerkennung geerntet. Sie habe damit auch ihr Können als Akt-Malerin unter Beweis gestellt, urteilt Sandra Gianfreda, Kuratorin der zuvor bereits im Kunsthaus Zürich gezeigten Roederstein-Schau.

Die beiden Hofheimer Bilder fachkundig restauriert

Die Künstlerin überließ der Pfarrei ihrer Wahlheimat zudem ein Marienbild mit dem Titel „Le Mois de Marie“ (der Marienmonat), das ein blumengeschmücktes Bild von Maria mit dem Jesuskind zeigt. „Eine ziemlich moderne Marien-Darstellung für Ende des 19. Jahrhunderts“, findet Ortsausschuss-Mitglied Hauck, denn der kühle Blick der Gottesmutter, die „fast ein bisschen angefressen“ auf den Betrachter schaue, schaffe Distanz und breche den Andachtsmoment zugleich auf.  Weil  beide  Bilder  nach  mehr  als 100 Jahren nachgedunkelt waren, zum Teil auch Farbe abgeblättert war und beim Marienbild der Rahmen drückte, wurden sie bereits vor der Ausstellung in Zürich 2020 kundig restauriert. Hauck konnte dies mit Hilfe der Anneliese und Hubert Schullenberg-Stiftung, einer Bürgerstiftung zugunsten von Pfarrkirche und Bergkapelle, möglich machen.   
Ottilie W. Roederstein soll übrigens aus der Kirche ausgetreten, aber sehr fromm gewesen sein, heißt es. Und offenbar war den in der Mehrzahl damals katholischen Hofheimern letzteres wichtiger. Ansonsten hätte die Künstlerin der Pfarrei wohl kaum ihre Bilder zum Geschenk gemacht.  

Von Barbara Schmidt

Zur Sache:

75 Bilder in der Städel-Ausstellung
Derzeit präsentiert das Städel Museum in Frankfurt eine umfassende Retrospektive, die mit 75 Gemälden und Zeichnungen einen Überblick über die künstlerische Entwicklung der stilistisch vielseitigen Malerin Ottilie W. Roederstein (1859 bis 1937) gibt. Nach Ausbildungsstationen in Zürich, Berlin und Paris lebte Roederstein ab 1891 in Frankfurt. 1909 ließ sie sich mit ihrer Lebensgefährtin, der Gynäkologin Elisabeth H. Winterhalter, im benachbarten Hofheim am Taunus nieder.
Roederstein war als freischaffende Porträtmalerin eine feste Größe im männlich dominierten Kunstbetrieb. Das Schaffen von Roederstein ist von der Geschichte des Städel Museums nicht zu trennen. Nur wenige Meter lagen zwischen ihrem Atelier in der Städelschule und dem Museum, das sie regelmäßig besuchte. Ihre eigenen Werke fanden schon zu Lebzeiten Eingang in die Sammlung. 1902 erwarb das Städel Museum Roedersteins Gemälde „Lesende alte Frau“ als erstes Werk einer zeitgenössischen Künstlerin. (pm)
Die Ausstellung „Frei.Schaffend: Die Malerin Ottilie W. Roederstein“, ist bis zum 16. Oktober im Städel Frankfurt (Schaumainkai 63) zu sehen.
Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr; donnerstags bis 21 Uhr.

www.staedelmuseum.de