"Alte Mauern, neues Leben"

Einst Herberge am Rhein

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„Alte Mauern – neues Leben“: Einmal im Monat führt diese Reiseseite zu Stätten, an denen einst kirchliches Leben blühte. Das ehemalige Heilig-Geist-Spital in Mainz gehört zu den ältesten Spitalbauten in Europa. Heute führt ein Restaurant den Namen "Heiliggeist" weiter. Von Anja Weiffen



Das Heiliggeist in Mainz: Das ehemalige Spital wurde im 13. Jahrhundert im spätromanischen Stil errichtet und 1975 teilweise wieder in den romanischen Zustand zurückgebaut.


Ein Pilger erreicht das mittelalterliche Mainz. Kurz vor Sonnenuntergang sucht er eine Bleibe für die Nacht. Doch er hat Pech. Die Stadttore haben sich just vor seiner Nase geschlossen. Muss er hier am Rheinufer übernachten? Da entdeckt er eine kleine Pforte in der Stadtmauer. Ein Einlass für Hilfesuchende, der ins Heilig-Geist-Spital führt.
So könnte es sich abends abgespielt haben in Moguntia. Das Spital hieß all diejenigen willkommen, die in der Bischofsstadt der gastfreundlichen Barmherzigkeit bedurften: Pilger, Arme, Alte, Kranke. Um sie kümmerten sich die Laienbrüder und -schwestern einer Bruderschaft. Das Spital war damals mit der Stadtbefestigung verbaut.Die einstige Existenz der kleinen Tür an der Nordwand ist belegt. Seit 1236 hat das Gebäude knapp acht Jahrhunderte inklusive mancher Umgestaltung überstanden. Damit gehört es zu den ältesten Spitalbauten Europas. Gastfreundschaft war und ist der rote Faden.
Wer heute ins Heiliggeist einkehrt, darf sich auf moderne Gastlichkeit in historischem Ambiente freuen. 2017 kauften die Mainzer Unternehmer Batu Aslan und Tilman Au das Haus. Seitdem führen Batu Aslan und seine Frau Alicia den Gastronomiebetrieb. Die Küche bietet vom Spundekäs über Carpaccio mit Rucola und Wiener Schnitzel bis zum Geschmorten Ochsenbäckchen und Quinoa-Salat ausgewählte Vielfalt. Letztere zeichnet auch das Publikum aus. „Unsere Zielgruppe ist vielseitig. Aus Mainz und dem ganzen Rhein-Main-Gebiet, aber natürlich auch Touristen, die im Urlaub oder geschäftlich in der Stadt sind“, berichtet Alicia Aslan. Beim Ortstermin wartet sie schon an der Eingangstür. Ein Schritt über die Schwelle – und gleich versetzt der Wappensaal mit seinem meterhohen Kreuzrippengewölbe den Betrachter gefühlt ins Mittelalter. „Die meisten Gäste denken, das Restaurant war früher eine Kirche“, sagt die Restaurantbetreiberin. „Viele Gäste fragen nach der Geschichte des Gebäudes“, bestätigt sie und verweist dabei auch auf die lange Gasthaus-Tradition des Heiliggeist. „Das Gebäude ist schon seit Jahrzehnten eine Gaststätte und auch wir waren früher Gäste des Heiliggeist.“

Mehr als 100 Jahre lang im Besitz von Brauereien

Anfang der 1860-er Jahre eröffnete in dem einstigen Krankenhaus erstmals eine Gaststätte. Damals befand sich das Gebäude im Besitz der Deutschkatholischen Gemeinde. 1888 verkaufte diese das Haus an die Mainzer Aktien Brauerei. In den 1950-er Jahren war das Haus ein beliebtes Tanzlokal, 1960 ging es in den Besitz der Binding-Brauerei über, ab 2002 übernahm die Radeberger Gruppe, bis 2017 Aslan und Au das frühere Spital erwarben. „Wir haben das Angebot der Möglichkeiten das Heiliggeist zu nutzen, etwas erweitert“, sagt Alicia Aslan. „Neben dem täglichen À-la-carte-Betrieb, sind auch Buchungen einzelner Säle für verschiedene Veranstaltungen oder eine exklusive Nutzung des Lokals möglich. Egal welche besondere Gelegenheit, ob Familienfeiern, Firmenveranstaltungen oder Tagungen, das Gebäude ist unterschiedlich einsetzbar.“
Wenn Gäste im Heiliggeist eine sakrale Atmosphäre verspüren, liegen sie nicht ganz falsch. Denn hier wurde tatsächlich auch Gottesdienst gefeiert. Alicia Aslan geht voraus in den ersten Stock. Im Wartburg-Saal erinnert eine Apsis an eine frühere Kapelle. Wo heute zwei Sessel und ein Tisch zum Chillen einladen, wurde früher Messe gehalten, zuletzt feierten in dem Raum im 19. Jahrhundert Mainzer Deutschkatholiken Gottesdienst.
Alicia Aslan und ihr Mann schätzen das denkmalgeschützte Gebäude in seinem historischen Wert. Eines von mehreren Beispielen für diese Anerkennung sind Gemälde, die im Treppenaufgang und im Gewölbesaal zu sehen sind. „Wir haben die Bilder auf dem Dachboden gefunden. Auf alten Fotos sieht man, dass sie einmal an den Wänden des großen Wappensaals hingen.“ Eine kulinarische Hommage an die Ursprünge des Gebäudes findet sich auf der Speisekarte: die hausgemachte Siegfried-Limonade, benannt nach Erzbischof Siegfried III. von Eppstein, dem Erbauer des Heilig-Geist-Spitals.

Von Anja Weiffen