Ökumenischer Klimapilgerpfad von Bonn nach Katowice

Enkeltauglich leben

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Auf dem Ökumenischen Klimapilgerpfad von Bonn nach Katowice/Kattowitz kam die Pilgergruppe am 25. Oktober in Pödelwitz ins Gespräch mit Christen aus der Region des Braunkohle-Abbaugebiets südlich von Leipzig.

In Pödelwitz brechen gut ein Dutzend Pilger zur geplanten Umweltkirche nach Deutzen auf. | Foto: Dorothee Wanzek

„In diesem Sommer hatte unsere Mutter Erde das Fieber“, sagt Alfred Schneider (88), evangelischer Christ aus dem Groitzscher Ortsteil Hohendorf. Seit den frühen 80er Jahren engagiert er sich für die Bewahrung der Schöpfung. Damals gehörte er zu den Initiatoren der ökumenischen Umweltgottesdienste, die den fahrlässigen Umgang der DDR-Wirtschaft mit der Schöpfung ins öffentliche Bewusstsein riefen. Langen Atem brauche damals wie heute, wer sich für die Bewahrung der Schöpfung engagiert. „Hoffnungsstur“ müsse man sein, formuliert es einer der Pilger, der am 25. Oktober in der Pödelwitzer Dorfkirche mit Alfred Schneider und anderen Christen ins Gespräch kommt. „Bisher mussten die Menschen auf der südlichen Halbkugel allein ausbaden, dass wir im reichen Norden so viel Energie verschwenden“, stellt der rüstige alte Herr fest. „Vielleicht wachen die Menschen endlich auf, jetzt, wo sich die Folgen erstmals unübersehbar auch bei uns niederschlagen“, ist seine leise Hoffnung.

 
„Hoffnungsstur“ und lernbereit
Mit den Klimapilgern, die sich im September im Rheinland auf den Weg machten oder die sich dem Zug unterwegs für eine kleinere oder größere Wegstrecke angeschlossen haben, verbindet Alfred Schneider nicht nur seine „Hoffnungssturheit“, sondern auch die Bereitschaft, sich zu informieren und genau hinzuschauen.
Fast allen ist klar, wie behutsam man beim Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohle-Gewinnung in Regionen vorgehen muss, für die Kohle bisher das wichtigste wirtschaftliche Standbein war. Für die Leipziger Region gilt dies allerdings weniger als für die Lausitz, sind sich die Anrainer des „Tagebaus Vereinigtes Schleenhain“ einig. Auf keinen Fall dürfe Deutschland die heimische Kohle durch Import von so genannter „Blutkohle“ ersetzen, die unter klima- und menschenfeindlichen Bedingungen in Ländern Afrikas oder Südamerikas abgebaut wird, betont eine Frau, die am Hambacher Forst mit demonstriert hat, bevor sie sich den Klimapilgern anschloss.
„Umwelt und Gerechtigkeit können wir nur noch zusammen denken“, bekräftigt auch Christine Müller, die den Pilgerweg für die Evangelische Landeskirche Sachsens mit organisiert. Unter anderem engagiert sie sich gerade gemeinsam mit Vertretern des Bistums Dresden-Meißen für eine „Beschaffungsordnung“, die Gemeinden zum nachhaltigen Einkauf und Verbrauch von Lebensmitteln und Arbeitsmaterialien motivieren soll.
„Wir dürfen mit unserem Lebensstil den nachfolgenden Generationen nicht die Lebensgrundlagen entziehen“, ist dabei die Devise, auf den Punkt gebracht mit dem Schlagwort „enkeltauglich leben und handeln“. Um Enkeltauglichkeit geht es auch dem Pödelwitzer Schlosser Thilo Kraneis. Er möchte der Enkelgeneration das Dorf Pödelwitz als Heimat erhalten. Sein Vater hat seine schlesische Heimat infolge des Zweiten Weltkriegs verloren. Als Vertriebener kam er nach Droßdorf. Den mittlerweile weggebaggerten Nachbarort von Pödelwitz musste er 1982 verlassen. Sein Sohn Thilo, damals 16 Jahre alt, half mit, Haus und Schlosserei in Pödelwitz neu aufzubauen. Weder Vater und Sohn wollen hier weg, auch wenn von einstmals 140 Dorfbewohnern heute nur noch 26 hier leben und die vielen leerstehenden Gebäude dem idyllischen kleinen Ort etwas Geisterhaftes geben. Noch hat das Braunkohle-Unternehmen Mibrag nicht einmal einen Antrag gestellt, Pödelwitz in das Abbaugebiet einzubeziehen.
Vorsorglich mache das Unternehmen den Bewohnern seit 2012 mit hochattraktiven Grundstücks-Kaufangeboten schon einmal den Auszug aus dem über 700 Jahre alten Ort schmackhaft. Gezielt gestreute Informationen über immer höhere zu erwartende Lärmbelästigungen wirken zusätzlich motivierend. In die zuvor gut funktionierende Dorfgemeinschaft sei auf diese Weise Zwietracht gesät worden, bedauert Thilo Kraneis. Seit 2012 übernimmt er keine Aufträge mehr für das Bergbauunternehmen. „Ich habe bestens mit euch zusammengearbeitet. Ich habe nichts gegen euch, sondern nur gegen die Vorhaben eurer Chefs“, hat er den bisherigen Partnern gesagt. Die Bergleute nahmen ihm das nicht übel, einige von ihnen sind privat auch weiterhin seine Kunden.
 
Andere Leidtragende werden zu „Nachbarn“
Der Schlossermeister sieht die Chancen gut, dass die unter Pödelwitz liegende Braunkohle unter sich wandelnden energiepolitischen Bedingungen gar nicht mehr benötigt wird. „Nach einem neuen Grundstück sehe ich mich erst um, wenn ich mir sicher bin, dass Gott will, dass wir Pödelwitz aufgeben“, sagt er. Als Mitglied des Kirchenvorstands sorgt er sich darum, dass das kirchliche Leben im Ort weitergeht. Es gibt sogar Sanierungspläne für das mittelalterliche Kirchengebäude.
Ging es ihm in seinem Engagement anfangs eher nur  um den Erhalt seiner neuen Heimat, macht er sich mehr und mehr auch Gedanken um den Schutz für die Schöpfung. „Hambach und die Lausitz sind für uns zu Nachbarn geworden“, sagt er den Klimapilgern, „ebenso wie die Menschen in den Ländern, die am meisten unter der Erderwärmung leiden.“
Am späten Nachmittag in der katholischen St.-Konrad-Kirche in Deutzen treffen die Klimapilger auf einen Peruaner, der in der Nähe eines schmelzenden Gletschers lebt. Der Bornaer Pfarrer Dietrich Oettler erzählte ihnen von den Plänen, aus der St.-Konrad-Kirche eine Umweltkirche zu machen, einen Ort des Gebets für die Schöpfung, in dem bestehende Umweltaktivitäten vernetzt  und neu angestoßen werden können.
 
Von Dorothee Wanzek