Was uns diese Woche bewegt

Es gibt die zweite Chance

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Kennen Sie das auch? Sie erleben eine für Sie neue Situation, sind unzufrieden und fällen ein schnelles Urteil über die Menschen, die dafür verantwortlich sind. Aber dann ergibt sich eine zweite Chance, auf die es zu reagieren gilt. Ich habe das jetzt im Urlaub so mitgemacht.

Ein Kurort im Norden. Wir haben eben unser Quartier bezogen und wollen am späten Nachmittag zu Fuß die Gegend erkunden. Ganz in der Nähe der Unterkunft ist eine katholische Kirche. Die möchten wir gerne von innen ansehen. Ein Schild im Vorraum verspricht: „Die Kirche ist geöffnet.“ Aber dann versperrt doch eine weitere Tür den Zugang.

In einem anderen Raum – es ist die Bücherei – sitzen einige Frauen auf Stühlen ihm Kreis. Diese Tür lässt sich öffnen, eine der Frauen kommt auf uns zu. Nein, die Kirche sei nicht offen, nur wenn das Schild draußen stehe, sei das der Fall. Verwirrung. Steht es denn nicht draußen? Nein, nicht vor dem Gebäude. Keine weitere Erklärung, die mir helfen würde. Die Frau kehrt zu ihrer Gruppe zurück.

Wir setzen unseren Spaziergang fort. Und ich denke darüber nach, wie ich diesen Kontakt zu meiner Kirche empfunden hätte, wäre es vielleicht nach langer Zeit mal wieder der erste seiner Art gewesen. Wäre ich vielleicht enttäuscht und in meinem – in diesem Fall ausgedachten – Vorurteil bestätigt, dass Kirche ja doch nur ein geschlossener Kreis ist? Dabei hätten zwei Sätze der Frau wohl schon gereicht: Schön, dass Sie da sind. Heute ist die Kirche leider schon zu, aber wollen Sie vielleicht morgen wiederkommen? Hat sie aber nicht gesagt.

Nächster Tag, nächster Versuch. Im Pfarrbrief ist eine Eucharistiefeier ausgeschrieben. Wir gehen also wieder zur Kirche, das besagte Schild steht tatsächlich vor dem Gebäude. Kurz stehen wir unschlüssig im Eingangsbereich, da kommt ein Mann auf uns zu: Ob wir die Kirche besichtigen wollten? Ja, das wollten wir. Und auch gerne die Werktagsmesse mitfeiern. Der Mann ist die Freundlichkeit in Person, zeigt uns, wo es langgeht, weist auf die Seitenkapelle, wo der Gottesdienst sein wird, bemüht sich sichtlich um uns: „Dass Sie uns nur nicht wieder verlorengehen.“ Kurz darauf kommt der Priester, sieht uns in der Bank sitzen und gibt eine schnelle Erklärung zu den Besonderheiten des Gotteshauses.

Ich merke, wie der Ärger vom Vortrag abebbt, wie ich langsam in dieser Kirche ankomme, wie ich mehr und mehr mit der Situation versöhnt bin. Der Gottesdienst ist einfach und schön und trägt zu meiner versöhnten Stimmung bei. Ich glaube, ich habe zwei Dinge gelernt: Es reicht nicht, ein Schild aufzustellen, auf dem Offenheit versprochen wird – auch die Herzen müssen offen sein. Und: Ich sollte mich von der Binsenweisheit lösen, für den ersten Eindruck gebe es keine zweite Chance. Es gibt sie.

Matthias Petersen