Initiative Maria 2.0
„Es gibt kein Vertrösten“
Maria 2.0 nimmt sich Luther zum Vorbild. „Seine Thesen haben etwas Großes in Bewegung gesetzt“, argumentieren die Frauen und Männer der Initiative. Ihre eigenen Thesen haben sie an Kirchentüren gehängt, auch im Bistum Mainz.
An mancher Kirchentür hingen die Thesen nicht einmal bis zum Abend. An anderen zeigten sich Bischöfe zum Gespräch bereit. Die bundesweite Aktion der Reformbewegung Maria 2.0 schaffte es in die Abendnachrichten der Tagesschau. Auf Internetseiten von Vatikan und Bistümern ist davon jedoch wenig zu lesen. Sieben Forderungen stellen die Anhängerinnen und Anhänger von Maria 2.0. Auf den Spuren von Martin Luther hefteten sie diese an Kirchentüren (siehe „Zitiert“).
Andrea Keber, Pfarrgemeinderatsvorsitzende in St. Franziskus von Assisi Nieder-Olm, Sörgenloch, Zornheim, ist zufrieden mit der Aktion. In Mainz und Rheinhessen haben sie und viele weitere Aktive mehr als 100 Kirchentüren mit den Plakaten ausgestattet. Bundesweit waren es mehr als 1000 Kirchentüren, an denen die Thesen zu lesen waren. „Im Vergleich zu den ersten Maria 2.0-Aktionen sind wir jetzt flächendeckend aktiv“, berichtet Andrea Keber. Zudem seien die Engagierten nach zwei Jahren nun wesentlich besser untereinander vernetzt. „Corona hat uns gezwungenermaßen dabei geholfen.“ Luther als Pate sei jedoch kein Fingerzeig in Richtung Kirchenspaltung, betont Keber. „Vielmehr steht der Reform-
aspekt im Vordergrund. Wichtig ist, dass wir an die Reformen gemeinsam rangehen.“ Die PGR-Vorsitzende war mit einer Mitstreiterin auch in Mainz und hängte die Thesen an die Portale des Doms. Die Aktion blieb im Bischofshaus nicht unbemerkt. Bischof Peter Kohlgraf sprach mit ihnen. „Bischof Kohlgraf sympathisiert mit einigen unserer Thesen“, berichtet Andrea Keber vom Gespräch. Allerdings habe der Bischof nicht verraten, mit welchen. Sie nimmt bei ihm eine größere Aufgeschlossenheit gegen-über Maria 2.0 wahr. „Insgesamt merken die Bischöfe sicher: Maria 2.0 – die Bewegung geht nicht weg.“ Auf die Frage, welche der Thesen ihr selbst am wichtigsten ist, antwortet sie: „Ich sehe ein Oberthema: Macht. Die Kirche als Institution ist zu zentralisiert.“ Es müsse Macht abgegeben werden. „Macht, so wie sie die katholische Kirche ausübt, ist nicht im Sinne Jesu.“ Auch bei sexuellem Missbrauch geht es um Macht, so Keber. Ihre Hoffnung, die Bischöfe im Vorfeld ihrer Frühjahrsvollversammlung aufgerüttelt zu haben, ist jedoch begrenzt. „Ich bin realistisch und denke nicht, dass ich es noch erleben werde, dass sich in der Kirche etwas ändert. Ich glaube aber schon, dass viele Bischöfe Verständnis für unsere Anliegen haben.“ Zugleich spürt sie: „Die Geduld von vielen Katholiken ist erschöpft.“
So empfindet das auch Dr. Christoph Rüdesheim. Er war im Dekanat Alzey mit seiner Frau unterwegs, um die Thesen zu verteilen. Seit 34 Jahren arbeitet er im Dienst des Bistums. Der Pastoralreferent will mit seinem Engagement den Bischöfen, die aufgeschlossen für die Anliegen von Maria 2.0 sind, den Rücken stärken. Für ihn besteht die große Frage in der Glaubwürdigkeit der Kirche, „wenn sie sich in der Welt für Frauenrechte, für Benachteiligte und Schwache einsetzt, aber ihren eigenen Maßstäben innerhalb der Institution nicht gerecht wird“. Der Synodale Weg – für ihn „die letzte Ausfahrt“. „Es gibt kein Vertrösten.“
Nicht nur in Rheinhessen gab es Maria 2.0-Aktionen. Aus Stuttgart reiste etwa Johanna Stamm an. Die 34-Jährige, die aus
Mühlheim-Lämmerspiel kommt, wollte in ihrer Heimatregion an der Aktion mitwirken, „weil es dort noch keine Maria 2.0-Gruppe gibt“. Zu zweit waren sie nachts unterwegs, um in der Region rund um Offenbach die Thesen zu verbreiten. „Das war eine Stimmung wie in der Osternacht.“ Die Plakate hinterließen sie und ihre Mitstreiterin nicht anonym, sondern mit der Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen. „Ich erlebe oft Sprachlosigkeit und Ohnmacht, wenn es um Diskriminierung und Ungerechtigkeit in der Kirche geht“, sagt Johanna Stamm. „Ich wollte Menschen vermitteln: Ihr seid nicht allein!“ Für sie ist „die Struktur der Kirche der Schlüssel für einen Wandel, damit wir uns alle auf Augenhöhe begegnen können“.
Anja Weiffen