Jahresserie 2021 „Beste Freunde“

„Es gibt unterschiedliche Stile“

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Er ist Jesuitenpater, sie ist evangelische Pfarrerin. In der Jahresserie 2021 „Beste Freunde“ hat die Kirchenzeitung die beiden Frankfurter Ansgar Wucherpfennig und Anne-Katrin Helms nach ihrer Freundschaft gefragt. Welche Rolle spielt der Glaube?



Frage: Die Ökumene-Reizfigur Papst – taucht er manchmal in Ihren Gesprächen auf? Oder ist er gar keine Reizfigur?

Anne-Katrin Helms: Auf einer ökumenischen Reise nach Rom haben wir die lutherische Gemeinde besucht. Dort habe ich davon gehört, dass Papst Franziskus in der Gemeinde zu Besuch war und gesagt hat: Die Kirchenspaltung ist von Deutschland ausgegangen und muss von dort überwunden werden. Das habe ich als Motivation verstanden. Deshalb ist (für mich) der Papst keine Reizfigur. Seine Mitarbeiter aber schon.

Ansgar Wucherpfennig: Über den Papst diskutieren wir tatsächlich selten. Von seinen Mitarbeitern in der Glaubenskongregation oder in der Ökumene-Kongregation kommen aber häufig Erklärungen, die uns ärgern und über die wir diskutieren. Für mich sind ökumenische Freundschaften gerade deshalb notwendig, weil innerhalb der katholischen Kirche die Einheit bisweilen bis zum Äußersten gespannt ist.

Anne-Katrin Helms: Uns ärgern die Erklärungen nicht nur inhaltlich. Die Art der Kommunikation finde ich verstörend: von oben herab.


Eine Anspielung auf die Stellungnahme aus Rom zu Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare? Dann haben Sie sicherlich aktuell ein Thema zum Diskutieren. Sind Sie da auf einer Wellenlänge?

Ansgar Wucherpfennig: Ja, da sind wir wohl auf einer Wellenlänge. Seelsorge ist ein wichtiges Thema in unseren Gesprächen. Allerdings hat Anne Helms sich, glaube ich, auf die römischen Äußerungen zu Abendmahl und Eucharistie bezogen?

Anne-Katrin Helms: Ja, die Frage der Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren ist bei uns „durch“. Über gemeinsames Abendmahl /gemeinsame Eucharistie diskutieren wir, auch mit anderen, seit ein paar Jahren. Und alles, was möglich ist, feiern wir auch gemeinsam. Zum Beispiel im vergangenen Jahr, als keine Gottesdienste möglich waren, haben wir Mahlfeiern in unseren Hausgemeinschaften zusammen gefeiert.


Menschen kann es belasten, wenn Freunde unterschiedlicher Konfessionen nicht gemeinsam die Kommunion empfangen können. Wie können Freunde damit umgehen? Beim Ökumenischen Kirchentag im Mai gibt es die gegenseitigen Mahl-Einladungen. Sie wurden vom Vatikan nicht gutgeheißen. Was sind Ihre Meinungen dazu?

Ansgar Wucherpfennig: In unsere Freundschaft spielen viele Dinge mit hinein. Zum Beispiel haben wir schon gemeinsam bei Open-Air-Konzerten am Main gesessen; gelegentlich sind wir zusammen gejoggt. Allerdings ist Anne Helms viel schneller als ich. Oft sitzen wir sonntags abends zu viert oder fünft zusammen mit Annes Mann Matthias, mit unserem gemeinsamen Freund Johannes Eltz, und oft kommt auch Annes und Matthias Tochter dazu. Das ist sehr erholsam, weil wir dann gemeinsam die ganze Woche Revue passieren lassen können und einander erzählen, was wir so erlebt haben, in Politik, Kirche und Seelsorge. Sicher sind wir dabei nicht immer einer Meinung.
Das Traurige ist, dass wir trotz der menschlichen Beziehung und so vielem, was wir dabei auch im Glauben miteinander teilen, nicht gemeinsam Abendmahl und Eucharistie feiern können. Das geht eben nicht nur konfessionsverbindenden Familien so. Wir haben sehr darauf gehofft, dass es beim ÖKT wenigstens möglich gewesen wäre, dass wir einander gegenseitig auch offiziell einladen können.

Anne-Katrin Helms: Als Evangelische können wir ja einladen. Und wir tun das auch. Aber wichtig ist mir dabei, dass Ansgar und die anderen katholischen Freunde keinen Ärger mit ihren Kirchen bekommen. Das bringt uns alle nicht weiter. Ich finde: Das, was möglich ist, machen wir so oft, wie es geht.

Ansgar Wucherpfennig: Diese Rücksicht von Anne ist mir schon häufiger bei evangelischen Christinnen und Christen begegnet, und sie ist für mich ein kostbarer Aspekt von Freundschaft: Rücksicht auf das Tempo, das dem Anderen möglich ist. Allerdings muss ich natürlich auch selbst schauen, was ich verantworten kann und was nicht.

Anne-Katrin Helms: Manchmal ist es ja sogar so, dass wir Evangelischen bremsen! Aber das gehört ja auch zu einer Freundschaft: dass ich den anderen im Eifer des Gefechts ein wenig schützen will.
Überhaupt ist mir durch die Freundschaft mit Ansgar klar geworden: Je länger wir uns kennen, zusammen arbeiten, Zeit miteinander verbringen und Vertrauen wächst, desto leichter lassen sich die Unterschiede aushalten und „kreativ“ gestalten.

Haben Sie ein Beispiel für das „kreative“ Gestalten?

Anne-Katrin Helms: Wir haben mehrmals gemeinsam Agape gefeiert. Mit Brot und Wein zuhause am Küchentisch. Ich bin gewiss, dass Christus mit dabei war. Das war für meinen Glauben eine sehr bereichernde Erfahrung.


Mehrfach fiel der Begriff Seelsorge. Was lernen Sie als Hauptamtliche in ihrer seelsorglichen Arbeit durch Ihre Freundschaft voneinander?

Ansgar Wucherpfennig: In Freundschaften ist man ja auch füreinander Seelsorgerin und Seelsorger. Das ist vielleicht zunächst das Wichtigste.
Als meine Mutter gestorben ist, oder in dem Konflikt mit Rom war mir wichtig, dass Anne mir als evangelische Freundin auch Seelsorgerin war. Wenn es um die Seelsorge mit anderen Menschen geht, gibt es zwar Unterschiede, aber die sehe ich weniger konfessionell, sondern eher durch die persönliche und berufliche Prägung. Pfarrerin Helms hat durch ihre Arbeit viel mehr Kontakt mit Menschen auch in prekären Verhältnissen. Dagegen habe ich auch von meiner akademischen Arbeit im Neuen Testament her eine andere Perspektive.

Anne-Katrin Helms: Ansgar kennt viele Menschen in meiner Kirchengemeinde. Da ist es gut, dass ich in ihm jemanden habe, mit dem ich reden kann, wenn schwierige Situationen gelöst werden müssen. Und trotzdem hat er immer einen Blick von außen. Das tut mir gut.


Wenn man einander als Christen unterschiedlicher Konfession gut kennt, gibt es vielleicht mal einen Zeitpunkt, an dem sich zeigt: Es gibt doch einige Unterschiede in der Glaubensauffassung. Also ein Punkt, an dem sich auch Entfremdung einstellen kann. Schon mal erfahren?
Ansgar Wucherpfennig: Entfremdung ist ein scharfes Wort. Ich bin in Hannover aufgewachsen und hatte schon in der Schulzeit hauptsächlich protestantische Freunde. Daher weiß ich nicht, ob ich „Glaubensunterschiede“ für den springenden Punkt halte.
Ich glaube, es gibt unterschiedliche Stile: Protestanten und auch Pfarrerin Helms erlebe ich in der Kommunikation oft als sehr geradeaus und direkt und auch mit großem Freimut gegenüber kirchlichen Obrigkeiten. Katholiken erlebe ich dagegen in der Kommunikation geschmeidiger. Vor einer direkten Konfrontation weiche ich eher aus. Das kann zu unterschiedlichen Reaktionen auch in freundschaftlicher Kommunikation führen, und hat zwischen uns auch schon manchmal zu Verstimmungen geführt. … Zum Glück haben wir uns aber nach ein paar Tagen bald wieder miteinander aussprechen können.
Anne-Katrin Helms: Wie lustig! Jetzt muss ich doch lachen: Dass du vor einer direkten Kommunikation ausweichst, ist mir noch nicht aufgefallen.


Sie leiten auch gemeinsam ökumenische Gottesdienste. Wie ist das, gemeinsam am Altar zu stehen? Haben Sie beispielsweise einen Musikstil, der Sie beide verbindet?

Anne-Katrin Helms: Wir haben vor allem öffentliche Gottesdienste gemeinsam gefeiert: in hr4 oder in Oberrad auf dem Marktplatz. Da war der Musikstil vorgegeben – er sollte volkstümlich sein.
Es ist immer schön, gemeinsam einen Gottesdienst zu leiten. Ich weiß, dass ich mich auf Ansgar verlassen kann. Und auch wenn wir nicht alles bis ins kleinste Detail zusammen vorbereiten, ergibt er doch ein harmonisches Ganzes.

Ansgar Wucherpfennig: Gemeinsam Gottesdienste zu feiern, ist der Ernstfall von Ökumene. Wo es praktisch wird, wird nämlich deutlich, ob ich wirklich sensibel bin für die Gewohnheiten der anderen Konfession oder ob ich letztlich meine eigenen Standards setze. Da habe ich im Laufe der Zeit einiges gelernt, und ich glaube auch, dass es in der Ökumene dann weiter vorangehen wird, wenn katholische Christen evangelische Gottesdienste besuchen und umgekehrt, so wie es Bischof Georg Bätzing auch schon im Blick auf den Kirchentag gesagt hat. Manchmal kommen dabei auch ganz erstaunliche Eigenarten am Anderen zum Vorschein: Zum Beispiel ist es Anne als evangelischer Pfarrerin wichtig, dass ich liturgische Kleidung trage, auch wenn ich als Priester nur eine kleinere Aktion habe, etwa im evangelischen Gottesdienst den Bibeltext vortrage. Ich würde dagegen manchmal lieber darauf verzichten.


Warum halten Sie eine ökumenische Freundschaft für wichtig?

Ansgar Wucherpfennig: Ohne ökumenische Freundschaften würde die Einheit der Kirche nicht weiter wachsen. Freundschaften lassen spüren, dass unterschiedliche Sichten im Glauben verbinden und nicht trennen. Gerade in einer Situation, in der wir in den Kirchen an Relevanz verlieren werden, ist das wichtig. Freundschaften helfen, auch in einer Minderheitssituation offenherzig und fröhlich zu bleiben.

Anne-Katrin Helms: Mit jemandem befreundet zu sein, der nicht so ist, wie ich bin, macht mein Leben bunter und reicher. Das ist im Persönlichen so, aber auch auf der Ebene der Kirchen: Die Vielfalt der Traditionen bringt uns weiter auf den Weg zur Einheit. Dazu gehört, dass man sich kennenlernt und einander vertraut. Ich kann mich selbst in Frage stellen und weiß mich dabei gleichzeitig beim anderen aufgehoben.


Das E-Mail-Gespräch hat Anja Weiffen moderiert.