"Geistliche Prozessbegleitung" im Bistum Fulda
Fragen ins Gebet nehmen
Die Finanzsituation des Bistums hat etwas mit Gebet zu tun. Das meint Schwester Dr. Igna Kramp. Sie gehört der Congregatio Jesu an und leitet im Bistum Fulda den Entwicklungsbereich Geistliche Prozessbegleitung. Von Hans-Joachim Stoehr
„Unser Auftrag ist es, aus der Führung Gottes zu leben. Wenn wir das nicht tun, dann sind wir überflüssig.“ Davon ist die Schwester Igna überzeugt. Und ihre Beobachtung ist: Die Menschen sind dankbar, wenn sie ihnen diese Perspektive eröffnet. Denn: „Sie sind müde, ständig über Strukturen zu sprechen.“
In der Geistlichen Prozessbegleitung geht es darum, tiefer zu graben, zu fragen: Wozu ruft uns Gott in dieser oder jener Situation? Dabei geht es – das Wort „Prozess“ weist darauf hin – nicht nur um etwas „Statisches“. Es geht um das „Volk Gottes unterwegs“ – ein biblisches Bild, das vom Zweiten Vatikanischen Konzil geprägt wurde. Schwester Igna: „Jede lebendige Beziehung kann nur prozesshaft geschehen. Und dies gilt auch für die Nachfolge Jesu“, erläutert die Ordensfrau.
Weg-Gemeinschaft jedes Einzelnen mit Gott
Für Schwester Igna ist der Entwurf des Konzils vom „Volk Gottes“ viel größer als das, was danach kam: „die Mitarbeit von Laien in Gremien – fast wie im Vereinswesen“, so die Ordensfrau. „Es geht vielmehr um eine Weg-Gemeinschaft, eine lebendige Beziehung jedes Einzelnen zu Gott, ein Suchen nach dem richtigen Weg.“
Geistliche Prozesse begleiten bedeutet für die Ordensfrau, konkrete Fragen in einer Gruppe ins betrachtende Gebet zu nehmen – sich dafür Zeit nehmen. Das kann ein Pfarrgemeinderat sein, aber auch der Priesterrat des Bistums oder die Dechantenkonferenz. „Ausgangspunkt kann ein Wort aus der Bibel sein, das in der Stille betrachtet wird. Nach der Stille geht es vor allem um das Zuhören. Die Realität in vielen Gremien ist, dass die Wortgewaltigen dominieren.“ Im Geistlichen Prozess gehe es mehr um ein Vertiefen, eine bessere Wahrnehmung. Die Ordensfrau: „Daraus entsteht eine ganz neue Dynamik .“ Aber natürlich komme bei allem Prozesshaften dann auch der Punkt, an dem eine Entscheidung getroffen werden muss.
Die Ordensfrau nennt ein konkretes Beispiel: die Frage, wo Einsparungen im Bistum Fulda erfolgen. Sind alle Bereiche gleichwertig und wird überall gleich viel gespart? Oder werden Prioritäten gesetzt und gefragt, was unverzichtbar ist für die Sendung der Kirche? Solch grundlegende Fragen in der Stille und im betrachtenden Gebet zu vertiefen, könne neue Sichtweisen eröffnen. Etwa: Es wird erst danach gefragt, was die Sendung der Kirche ist. Und dann werden dementsprechend die finanziellen Ressourcen geplant und zugeteilt.
Die Wurzeln einer solchen Vorgehensweise – in Geistlichen Prozessen – finden sich beispielsweise in der Spiritualität des Jesuitengründers Ignatius von Loyola. Im Mittelpunkt steht die Betrachtung des Lebens Jesu. In den Exerzitien des Ignatius (Geistliche Übungen) geht der Einzelne – bildlich gesprochen – mit Jesus durch dessen Leben. Er schaut – unter der Führung des Heiligen Geistes – , was die Jünger geschaut haben.
„Inneres Beten“ ist für viele neue Erfahrung
„Ein solches inneres Beten ist für viele eine ganz neue Erfahrung, die sie bisher nicht kannten“, hat Schwester Igna beobachtet. Prozesshaftes Betrachten bedeute allerdings auch, dass es einen „Raum der Unterscheidung“ gibt. Nach der Devise: „Lasst uns das Richtige herausfinden.“ Und das wiederum irritiere manche. „Denn es ist dann ja nicht unbedingt so, wie es immer war.“ Hinzu komme, dass die kirchlichen Strukturen eher so angelegt waren, dass sich Laien keine Gedanken zu machen brauchten über den Weg der Kirche. Deshalb sieht die Ordensfrau hier auch einen Kulturwandel.
Mit Blick auf die zurückliegenden Monate ist Schwester Igna erstaunt, wie viel Vertrauen ihr entgegengebracht wurde. Offene Ablehnung habe sie nicht erlebt. Im Gegenteil: „Ich erkenne Neugier, Interesse.“ Zwar seien viele nicht gewohnt, über ihren Glauben zu sprechen, aber das bedeute nicht, dass da nichts da sei. Durch Geistliche Prozesse und deren Begleitung soll und kann auch diese „Sprachlosigkeit“ überwunden werden.
Von Hans-Joachim Stoehr
Zur Sache:
Schwester Igna Kramp ist momentan die einzige Mitarbeiterin im Bereich Geistliche Prozessbegleitung im Bistum Fulda. Sie ist direkt dem Bischof unterstellt. „Das bedeutet nicht mehr Macht, sondern mehr (Rede-)Freiheit. Denn ich soll ja auch Anwältin für Geistliche Prozesse auf allen Ebenen des Bistums sein.“ Der Bereich Geistliche Prozessbegleitung soll ausgeweitet werden. Im Juli startet die erste Ausbildung von Multiplikatoren.
In dieser Ausbildung wird ein Team von Geistlichen Prozessbegleitern und -begleiterinnen herangebildet, die dann für Prozesse auf Pfarrei- und Bistumsebene zur Verfügung stehen.
Tipp:
Zum Thema „Geistliche Prozesse“ bietet Schwester Igna Kramp digitale Schnuppertage .
Termine sind: Dienstag, 29. Juni, von 9 bis 15 Uhr und Freitag, 9. Juli, von 9 bis 15 Uhr.
Anmeldung: geistliche.prozessbegleitung@bistum-fulda.de
Schon 2016 hatte die Kirchenzeitung über Schwester Igna berichtet: https://www.kirchenzeitung.de/content/sie-kennt-sich-aus