Interview mit Pater Manfred Kollig über Stand der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in Berlin

Für eine sichere Kirche

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Wie steht es in Berlin mit der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt? Führte das Missbrauchs-Gutachten zu Konsequenzen? Welche nächsten Schritte sind geplant? Pater Manfred Kollig, der Generalvikar des Erzbistums, gibt Auskunft.


 

Pater Manfred Kollig bei der Pressekonferenz zum Abschlussbericht der Gutachtenkommission.    Foto: Pressestelle Erzbistum Berlin

 
   

Pater Manfred Kollig, Sie haben das 2021 im Auftrag des Erzbistum erstellte Gutachten zu Fällen sexualisierter Gewalt durch Kleriker und die vor einigen Wochen von einer Gutachten-Kommission vorgelegte Auswertung als wichtige Schritte der Aufarbeitung angekündigt. Welchen Empfehlungen der Kommission wollen Sie folgen? Was hat aus Ihrer Sicht Vorrang?

Wichtig scheint mir vor allem der Anspruch der Kommission, zu einer verantwortlichen, kompetenten und sicheren Kirche beizutragen. Alle Maßnahmen, die wir umsetzen, sollten wir daran messen. Wir fangen aber nicht bei Null an, sondern haben lange vor der Veröffentlichung des Kommissionsberichts Veränderungen vorgenommen. Beispielsweise haben wir daran gearbeitet, die Hürden für Menschen herabzusenken, die einen Missbrauchsverdacht melden möchten. Sie können dies nun anonym tun, und zwar bei unabhängigen Ansprechpersonen, die nicht beim Erzbistum beschäftigt sind. Gerade haben wir mit Mitarbeitern der Bereiche Pastoral, Bildung, Prävention und Intervention Regeln aufgestellt, die dann auch den Eltern ausgehändigt werden, die ihre Kinder bei uns anmelden, zur Erstkommunionkatechese, bei Religiösen Kinderwochen, in unseren Kindergärten und Schulen. In einem Begleitbrief fordern wir die Eltern auf, auf die Einhaltung dieser Regeln zu achten und sich zu melden, sobald sie Verstöße beobachten. Der Text ist kurz und prägnant.

Greifen wir doch einmal einige Punkte auf, die Sie und Erzbischof Koch bei der Vorstellung des Kommissionsberichts in Aussicht gestellt haben: Sie wollten Kontrolle ausweiten, ein Qualitätsmanagement einrichten, proaktiv nach weiteren Misssbrauchsfällen suchen. Können Sie schon Konkretes berichten?

Teil des Qualitätsmanagements ist eine Vereinheitlichung der Aktenführung. Es gab zum Teil zu einer Person mehrere Akten. Für die 120 im Erzbistum inkardinierten Priester und für alle Ruhestandspriester, die noch tätig sind, haben wir die vorhandenen Akten zu einer einzigen zusammengeführt. Fortan bleibt alles, was einmal in die Akte hineinkommt, auch darin. Bei Ordenspriestern, die in Gestellungsverträgen für uns arbeiten, bleiben wir künftig noch in 30 Jahren auskunftsfähig, etwa wenn es um Erweiterte Führungszeugnisse oder regelmäßige Teilnahme an Schulungen geht. Wir wollen unsere Aktenführung regelmäßig durch eine Institution von außen überprüfen lassen. Was die proaktive Recherche nach weiteren Fällen angeht: Insbesondere in Pfarreien, in denen Priester tätig waren, die andernorts als Missbrauchstäter auffielen, fordern wir zu erhöhter Wachsamkeit auf. Erzbischof Koch hat gemeinsam mit der Interventionsbeauftragten Birte Schneider bereits einige Pfarreien besucht, in denen länger zurückliegender Missbrauch bekannt geworden ist. Auch dort weisen wir dann immer darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit weiterer Fälle hoch ist.

Nach Vorstellung des Kommissionsberichts hat sich die öffentliche Diskussion auf die Frage konzentriert, ob das Erzbistum eine Fachstelle einrichtet, in der die Missbrauchs-Aufarbeitung der Pfarreien, Einrichtungen und des Bistums koordiniert wird. Zu welchem Entschluss sind Sie inzwischen gekommen?

Ich möchte zunächst klarstellen: ich habe nie in Zweifel gezogen, dass es hilfreich ist, die Aufarbeitung gut zu koordinieren. Wichtig war es mir aber, die Aufgaben einer Koordinierungs-Fachstelle im Vorfeld genau zu beschreiben und abzugrenzen, etwa von der Arbeit der Interventionsbeauftragten oder der Aufarbeitungskommission. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Doppelstrukturen entstehen, die Kräfte binden und die Aufarbeitung bremsen. Inzwischen sind die Aufgaben der Fachstelle definiert, eine Stelle ist ausgeschrieben.

Wie arbeiten Sie in der Aufarbeitung mit Missbrauchs-Betroffenen zusammen?

Wir sind sehr daran interessiert, mit dem Betroffenenbeirat zusammenzuarbeiten und haben dies dem Beirat auch signalisiert. Wir wollen die Betroffenen aber bewusst nicht beeinflussen und Freiraum geben und überlassen ihnen deshalb die Initiative, mit Anliegen auf uns zuzukommen. Bisher ist dies nicht geschehen. Allerdings hat sich der Betroffenenbeirat auch noch nicht offiziell konstituiert.

Betroffene kritisieren, beim Auswahlverfahren kommuniziere man nicht auf Augenhöhe. Greifen Sie diese Kritik bei den Nachnominierungen auf?

Zum Auswahlverfahren äußere ich mich nicht. Der Beirat ist ein gemeinsames Gremium von vier Diözesen, und das Erzbistum ist an der Auswahl organisatorisch nicht beteiligt. Grundsätzlich lief das Verfahren aber so, wie es in der Deutschen Bischofskonferenz abgestimmt wurde. Ich würde es begrüßen, wenn Betroffene ihre Beirats-Vertreter künftig selbst bestimmen könnten, wie es etwa im Bistum Essen gelaufen ist. Dort wurden alle Betroffenen eingeladen. Daraus entstand dann der Beirat. Die Leitung der Gutachtenkommission hatte sich entschieden, in ihre Arbeit keine Betroffenen einzubeziehen. Auf ihre Initiative hat sich mittlerweile eine ostdeutsche Betroffenen-Initiative gebildet. Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe wünsche ich mir. Dafür müsste es zu Begegnungen bekommen. Wie beim Beirat scheint es mir wichtig, dass die Initiative von den Betroffenen ausgeht.

Was entscheiden Sie im Hinblick auf Verantwortungsträger im Erzbistum, denen laut Auswertung des Gutachtens rechtlich im Umgang mit Missbrauchsfällen nichts vorzuwerfen ist, die aber mangelndes Engagement im Sinne von Betroffenen erkennen ließen?

Seit der Veröffentlichung des Gutachtens sind diese ehemals Verantwortlichen in keiner Phase der Bearbeitung neuer Missbrauchsfälle mehr involviert. Ansonsten gilt, dass wir das Gewissen der Menschen nicht außer Kraft setzen können. Wenn es keine kirchen- und zivilrechtlichen Möglichkeiten der Intervention gibt, bleibt die Reaktion dem Gewissen des Einzelnen überlassen. Der Erzbischof und auch ich haben den Betreffenden wiederholt deutlich gesagt, wie wir uns an ihrer Stelle verhalten und positionieren würden.

Dorothee Wanzek