Katholische Arbeitnehmerbewegung im Bistum Fulda wirft einen Blick auf die aktuelle Arbeitswelt.
Für Menschen fair statt prekär
„Jeder einzelne Mensch ist mehr wert als alles Gold der Erde.“ Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) im Bistum Fulda nutzte den Jahresauftakt 2018 in Friesenhausen zum Blick auf die aktuelle Arbeitswelt. Von Michael Schmitt.
„Fair statt prekär.“ Zu diesem Thema sprach Erwin Helmer. Der Augsburger KAB-Diözesanpräses und Leiter der Betriebsseelsorge forderte die KAB, Gewerkschaften und Sozialverbände eindringlich dazu auf, gemeinsam dafür zu kämpfen, dass „Menschlichkeit“ im Entwicklungsprozess „Arbeit 4.0“ an erster Stelle steht.
Der Referent nannte Zahlen, die die derzeitige Situation verdeutlichen. So nahm die Leiharbeit seit 2010 um 30 Prozent zu, die Zahl befristeter Beschäftigungsverhältnisse stieg von 2,5 auf 3,4 Millionen. Bei Werkverträgen ist eine Zunahme von 15 Prozent zu verzeichnen und die Zahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, meist Nebenjobs, stieg von von zwei auf drei Millionen an. Demgegenüber ist im Vergleichszeitraum die Armutsgefährdung von 14,5 auf 15,7 Prozent gestiegen, tarifgeschützte Arbeitsverhältnisse sanken hingegen von 60 auf 58 Prozent.
Mensch nicht noch mehr zum „Kostenfaktor“ degradieren
„Wir dürfen uns hier jedoch nicht täuschen lassen. Arbeit 4.0 ist keine Zukunftsfrage, sondern eine Frage der Gegenwart. Dieser Prozess ist schon in vollem Gange“, sagte der Referent. Die KAB als katholischer Sozialverband müsse darauf achten, dass der Mensch in diesem Prozess nicht noch mehr zum „Kostenfaktor“ degradiert wird. Und die KAB müsse zusammen mit Gleichgesinnten versuchen, die Veränderungen im Sinne von mehr „Menschenwürde in der Arbeitswelt“ zu beeinflussen.
Die Bildung ist für Helmer eine wichtige Stellschraube. Denn von den Menschen würden vermehrt „interdisziplinäre Kompetenzen“ gefordert, die heute nur in Ansätzen existieren. Im Entwicklungsprozess Arbeit 4.0 nehme der Kommunikationsbedarf zwischen den Menschen, real wie virtuell, stark zu. „Die Fähigkeit sich zu vernetzen, sich selbst zu organisieren und flexibel zu steuern, sind Grundvoraussetzungen beim Zusammenwachsen von Produktionstechnologien und Automatisierungstechnik.“
Steuerflucht und Steuerminimierung international ächten
Helmer versuchte die Angst davor zu nehmen, dass Millionen Arbeitsplätze alternativlos vernichtet würden. „Die Pflege ist nur ein Bereich, Umweltschutz ein weiterer, in dem unzählige neue Arbeitsplätze geschaffen werden müssen“, sagte er. Jedoch ist es mit dem Schaffen neuer Arbeitsplätze nicht getan. So sei es erste Pflicht der Politik, dafür zu sorgen, dass Unternehmen in die Verantwortung genommen werden. „Steuerflucht und Steuerminimierungsprogramme müssen endlich international geächtet werden“, betonte Helmer.
Als Beispiel für „amerikanischen Raubtierkapitalismus“ etwa nannte Helmer den Internethändler „Amazon“. Dessen Vorgehen führe zwar zu hohen Unternehmensgewinnen, diese dienten aber in keiner Weise dem Gemeinwohl. Ganz abgesehen davon, dass diese Gewinne aus den Beschäftigten „herausgepresst“ werden. Zudem verweigere das Unternehmen Verhandlungen mit demokratischen Gewerkschaften genauso wie die Verpflichtung zu einem passenden Tarifvertrag. Verstärkt würde dies durch massive Einflussnahme auf Betriebsräte bis hin zu Schikanen gegenüber von Mitarbeitern.
Helmer ermunterte die Teilnehmer des KAB-Jahresauftakts, sich noch deutlicher zu positionieren. Es sei an der Zeit, dafür zu kämpfen, dass durch immer mehr prekäre Beschäftigungsverhältnisse die Spaltungen in Arbeitswelt und Gesellschaft noch mehr zunehmen. Im Wirtschaftsleben müsse sich der Mensch mit seiner Arbeitsleistung von den anderen Produktionsfaktoren viel deutlicher abheben können.
Arbeitnehmer müssen sich als Krone der Schöpfung fühlen
Für Helmer steht fest: Gerade die KAB hat das „Know How“ die „Menschlichkeit der Arbeit“ wiederzuentdecken und zu forcieren – und solidarischer Partner für Betriebsräte, Gewerkschaften und Sozialbewegungen zu sein. „Wir müssen es schaffen, dass Arbeitnehmer, national und international, sich nicht nur materiell abgesichert wissen, sondern auch als Krone der Schöpfung fühlen. Jeder Mensch ist mehr wert als alles Gold der Erde, weil jeder ein Kind Gottes ist.“ Er erinnerte an das Sozialschreiben „Laborem exercens“ von Johannes Paul II.: „Arbeit hat Vorrang vor dem Kapital, weil dieses nur werkzeuglicher Art ist.“
MEINUNG
Auspressen anprangern
Das ist doch ein Armutszeugnis: Die Armutsgefährdung ist seit 2010 von 14,5 auf 15,7 Prozent gestiegen. Gleichzeitg beobachte ich: Gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein ist für nicht wenige Arbeitgeber ein Fremdwort. Möglichst viel rausholen aus den Mitarbeitern. Wäre es mit motivierenden Maßnahmen wie Wertschätzung und einer guten Entlohnung – da könnte es noch angehen. Aber es geht eher darum, Beschäftigte rücksichtslos auszupressen. Erwin Wehner nennt es treffend „Raubtierkapitalismus“. Da müssen Christen genauso intervenieren wie beim Schutz des Lebens am Anfang und Ende des Lebens. Denn eins steht für mich fest: Die Lage mancher Arbeitnehmer verstößt klar gegen die Würde des Menschen. Und der Druck und die Gewalt, der sie ausgesetzt sind, hat gravierende Folgen auf ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden – und auf das ihrer Familien. Das müssen die Kirchen deutlich anprangern.