Pro und Contra

Genug gefastet!?

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Es ist Fastenzeit. Gefühlt doch schon seit einem Jahr. Lockdown ist das neue Verzichten. Jetzt sollen wir die sieben Wochen bis Ostern trotzdem noch nach der Lehre der Kirche als eine Zeit der Buße und der Einschränkungen verbringen? Da gehen die
Meinungen auch unter Getauften auseinander. Auch in der Redaktion. Zwei Meinungen dazu:

PRO
Dauerfastenzeit – gefühlt schon seit dem Aschermittwoch im vergangenen Jahr. Die Kontakte eingeschränkt, die Feste anders gefeiert, keine Urlaubsreisen. Bei manchen sorgen Ösen im Gürtel der Einschränkungen für noch mehr Enge: Keine Arbeit, kein Einkommen, keine Sicherheit. So viel erzwungenes Krisen-Fasten! Haben emotional ausgedörrte Wesen in dieser Mangelzeit noch den Wunsch, etwas freiwillig wegzulassen?
Die Begriffe „Askese“ und „Abstinenz“ verweisen auf den mühsamen Aspekt bei allem Abstandgewinnen. Fasten im christlichen Sinn soll uns auf kritische Distanz bringen zu den Dingen, ohne die wir nicht auszukommen glauben. Alle Maßnahmen mitzutragen, um das Pandemiegeschehen einzudämmen, bedeutet für viele ein wirkliches Opfer. Vielleicht mehr, als 40 Tage lang auf Schokolade zu verzichten. Die zurückliegenden Monate relativierten den bisherigen Lebensalltag. Sie steckten allerdings auch einen Rahmen, um Gewohnheiten zu ändern, den Blick auf das Notwendige zu schärfen und trotz allem das Miteinander zu stärken. Wir haben mehr Zeit gehabt für uns selbst. Dafür, den Umgang mit anderen zu überdenken. Einige haben den Freiraum für Neues genutzt.
Das Fas-tengebot der Kirche als Herausforderung an die eigene Wachheit – lässt sich dieser Impuls umwidmen auf die vergangenen Monate? Und was heißt das dann für die nächsten Wochen bis zum Osterfest? Ein neues Gleichgewicht finden? Ein Bruch mit ausgedienten Routinen? Eine Vorstellung davon, wie selbst in Pandemiezeiten unser Inneres neu zu sein hätte? Wüsten-
erfahrungen möglichst gut zu überstehen – das sollte die vorösterliche Zeit denjenigen vermitteln, die in diesem Jahr keine Kraft für traditionelles Fasten aufbringen. Vom kreativen Umgang mit Krisen gibt es in der Bibel viele fesselnde Geschichten. In den kommenden Wochen mehr davon lesen – das ist kein Verzicht.


Evelyn Schwab

CONTRA
Ich bekenne: Ich bin ein Corona-Profiteur. Gott sei Dank, nicht selbst erkrankt, in Lohn und Brot, mit mehr Zeit zum Bewegen an der frischen Luft – und ausgestattet mit technischen Hilfmitteln, die auch Kontakt bei physischen Abstandsregeln möglich machen. Da geht es sehr vielen sehr viel schlechter. Und das schon lange. Wo Armut und Gewalt zu Hause sind, schon viel zu lange …
Trotzdem werbe ich vehement dafür, die begonnene Fastenzeit für ein wirkliches Fasten zu nutzen. Zum Innehalten und zur Selbstbesinnung. Zur Gewissenserforschung. Denn ist es nicht so, dass wir vielfach eher Getriebene sind in der Einschränkung? Es wird etwas angeordnet und wir befolgen das mehr oder weniger folgsam. Ist es nicht so, dass wir nach „Öffnung“ im Lockdown lechzen? Sobald sich ein erlaubtes Schlupfloch bietet, nutzen wir es aus. Wir dürfen das ja! Wen interessiert da schon der Blick fürs große Ganze?
Allein das Erforschen des Begriffs „Normal“ wäre eine lohnende Übnung für die sieben Wochen bis Ostern. Vom „neuen Normal“ ist häufig die Rede. Und davon, was denn bleiben möge vom positiv Unterlassenen in der Pandemie? Und was „systemrelevant“ sein müsste. Und es doch nicht ist, im System des Sattseins, des Wachstums-Mythos. Wie müsste es aussehen, dieses „neue Normal“, damit in der globalen Welt niemand mehr wegen Hunger sein Zuhause verlassen muss? Wie sähe es aus, das wünschenswerte „Normal“ im Krankenhaus? Wie ein ehrlicher Klimaschutz? Diese Fragen zu stellen und um Antworten zu ringen: Das kann Fasten sein. Echtes Fasten engt nicht ein, sondern weitet Horizonte. Routinen zu unterbrechen. Das ist fromm. Das ist ein Fasten, wie es dem Herrn gefällt. Und davon haben wir lange nicht genug.


Johannes Becher