Dresdner Ausstellung „Carl Lohse – Expressionist“

Geradezu tollkühn

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Zu Beginn der Weimaer Republik schuf der Maler Carl Lohse seine kraftvollsten Arbeiten. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zeigen die Ausstellung „Carl Lohse – Expressionist.“


Besucherin und das Bild Junge (Blauer Junge). Foto: Staatliche Kunstsammlungen Dresden


„Es bewegt mich. Diese Bilder sind von einer Tiefe, die sofort fesselt. Lohse hat mir etwas mitzuteilen“, so eine Besucherin der Ausstellung „Carl Lohse – Expressionist“ im Dresdner Albertinum. Carl Lohse – 1895 in Hamburg geboren – schuf nach dem Ersten Weltkrieg zwischen 1919 und 1921 ein fulminantes expressionistisches Werk. Als einziger seiner Kompanie hatte er den Krieg überlebt. Was Krieg wirklich bedeutet, zeigt sein Gemälde „Explodierende Granate“. Die Kühnheit der Farbmischungen Lohses könnte in diesem Bild ihren Anfang genommen haben. Im Katalog steht dazu: „Lohse malt aggressiv und lustvoll befreit.“ Ein weiteres Kriegsgemälde setzt den Betrachter der Schwärze und der Hoffnungslosigkeit eines Schützengrabens aus. 

„Gemäßigt, expressive Bildsprache“
Besonders intensiv sind die so genannten Köpfe – die Porträts. Wobei ihm Kinder aus dem Armenhaus Bischofswerda Modell sitzen. So zum Bild „Junge (Proletarierkind). Hoffnungslos schauen die Augen des Kindes auf den Betrachter. Seine großen  Hände ruhen auf den Beinen.  Welche Zukunft gibt es hier? Lohse zeigt in den Köpfen mit Farben Empfindungen auf. Es geht ihm um das Empfindungsleben schlechthin. Carl Lohse  bleibt dem Dargestellten zugewandt und verweist in seiner – so der Katalog – „gemäßigt expressiven Bildsprache“ auf Individualität, Leben und Charakter. Die Porträtierten sind keine Fremden.
Die Bilder von 1919 bis 21 sind die eigentlichen Kraftfelder in Lohses Schaffen. Entlassen aus Gefangenschaft und Kriegsdienst, kam der Künstler im Oktober 1919 aus Hamburg nach Bischofswerda. Sein Frühwerk – bis 1914 entstanden – verbrannte während des Zweiten Weltkrieges in seiner Vaterstadt. Bis Frühjahr 1921 entstanden in dichter Folge stark farbige Porträts, Landschaften und Stadtbilder. Lohses Farbkombinationen waren, verglichen mit dem akademisch Üblichen, geradezu tollkühn, der Rhythmus seiner Bilder energiegeladen. Radikal vereinfacht waren die Zeichnungen, wagemutig aufgebrochen die Formen der überlebensgroßen Bildnisköpfe, die Lohse aus Gips modellierte. Der Künstler experimentierte mit den unterschiedlichen Bildsprachen des Expressionismus, Kubismus und Futurismus bis hin zur reinen Abstraktion. Seine Bilder sind ein eindrucksvolles Zeugnis der Stimmungslage eines sensiblen Künstlers in der krisengeschüttelten Nachkriegszeit.
Im Bestandskatalog von 1996 schreibt die Kunsthistorikerin Gabriele Werner würdigend: „Nicht im Sinne der Nachahmung der frühen Leistungen von Brücke und Blauem Reiter (zwei Künstlergruppen), sondern im Sinne von Anknüpfung, von innerer Wiederbelebung mit eigenen Impulsen, ist Lohses heftige Kunst zu verstehen.“ 1922 hatte sich der Künstler nach langem inneren Ringen – auch aus seiner Weltkriegserfahrung heraus – den Zeugen Jehovas angeschlossen. Als er 1928 wieder zu Malen beginnt, ist die Kraft wieder da, wenn auch geschwächt. 

Gute und schwierige Zeiten des Künstlers
In den Begleittexten zur Ausstellung wird darauf hingewiesen, dass Carl Lohse und sein Werk viel zu selten die Aufmerksamkeit erhielten, die sie verdienen. Nazireich und DDR unterdrückten ihn. Die in Zusammenarbeit mit dem Ernst Barlach Haus Hamburg konzipierte Ausstellung „Carl Lohse. Expressionist“ vereint erstmals in diesem Umfang Leihgaben aus wichtigen öffentlichen und privaten Sammlungen in Ost- und Westdeutschland. Im Albertinum werden 77 Gemälde, Zeichnungen und Plastiken des Künstlers ausgestellt. Die zuvor in Hamburg gezeigte Sonderausstellung wurde für Dresden erweitert und zeigt Werkgruppen aus dem Albertinum und dem Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, aus der Carl-Lohse-Galerie der Stadt Bischofswerda sowie weiteren Sammlungen.
Im aktuellen Katalog wird darauf hingewiesen, dass Carl Lohse in Bischofswerda ein „bislang unbekanntes Freiheitsgefühl“ empfand. Kunsthistorikerin Ophelia Rehor schreibt: „Der Alltag war wohlgeordnet, er verlebte eine Zeit ohne Sorgen im Kreise einer kunstliebenden Gastfamilie und interessierter Besucher.“ Diese Sicherheit war nicht von Dauer. Dokumente erzählen von den Ecken und Kanten eines Künstlerlebens. Unter anderem war Carl Lohse als Straßenbahnschaffner tätig. Nach 1933 zog er sich mehr und mehr zurück. Ende der 1940er Jahre kam es zu einem erneutem künstlerischen Beginn, der abgebremst wurde. Ophelia Rehor: „1951 wurde für Lohses weitere künstlerische Entwicklung zum Schicksalsjahr.“ In Zittau zeigt er einen Überblick seines Werkes. Wobei die Bilder von 1919 bis 21 harten Vorwürfen (Formalismusdebatte) ausgesetzt waren. Die Besprechungen waren vernichtend. „Was Carl Lohse danach zu öffentlichen Ausstellungen einreichte, war meist oberflächlich und an kulturpolitischen Vorgaben orientiert. Freilich bietet auch das Spätwerk einen Fundus an trefflichen Zeichnungen und Gemälden“, so Rehor weiter.
In einem Exkurs werden Werke von Zeitgenossen und Künstlerfreunden Carl Lohses gezeigt. Die Gemälde und Plastiken entstanden gleichfalls in der künstlerisch wie politisch bewegten Zeit der Weimarer Republik. Zudem sind die Gäste eingeladen, sich praktisch und theoretisch mit der Wirkung von Farbe in der Malerei auseinanderzusetzen. Mitmach-Stationen ermöglichen das poetische Philosophieren über Farbe, die experimentelle Auseinandersetzung mit Farbkontrasten vor Spiegeln sowie das Gestalten von Magnetwänden mit selbst-gemalten Porträts im Sinne Carl Lohses.

Carl Lohse – Expressionist bis 15. April im Albertinum Dresden, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr.

Von Holger Jakobi /SKD