Verstärkung im diözesanen Schutzprozess

"Gut, dass das jemand macht"

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Portätfoto von einer Frau und einem Mann
Nachweis

Foto: Jasmin Lobert

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Sarah Röser und Simon Kampe sind sich einig: Die Strukturen des Schutzprozesses müssen das Wohl der Betroffenen im Blick behalten. Foto: Jasmin Lobert

Sarah Röser und Simon Kampe sind neue Schlüsselpersonen im Schutzprozess des Bistums Osnabrück gegen sexuellen Missbrauch. Röser überwacht die rechtlichen Verfahren, während Kampe Betroffene begleitet und unbürokratische Hilfe leistet. Gemeinsam streben sie im Interesse der Betroffenen transparente Strukturen an.

Sarah Röser hat die letzten zwölf Jahre in Süddeutschland gelebt und war sechs Jahre lang als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität in Tübingen tätig. Vor kurzem hat sie ihre Doktorarbeit im Fach Kirchenrecht eingereicht. Seit Anfang Februar arbeitet sie in ihrer neuen Funktion als „Unabhängige Beauftragte im diözesanen Schutzprozess“. Simon Kampe ist gebürtiger Osnabrücker, hat aber die vergangenen 20 Jahre in Münster gelebt. Dort hat er als Teamleitung im Freiwilligendienst gearbeitet. Sein Fokus liegt außerdem seit 2014 auf dem Bereich Prävention gegen sexualisierte Gewalt. Die neu geschaffene Stelle als Ombudsmann hat er im November 2023 angetreten.

 

Wofür wurden Ihre Stellen geschaffen, was genau sind Ihre Aufgaben?

Sarah Röser: Ich bin unter anderem für die kirchenrechtliche und verwaltungsrechtliche Verfahrensbegleitung zuständig. Ich habe also eine Art Aufsichts- und Koordinierungsfunktion, dass ein gemeldeter Fall die festgelegten Abläufe des Schutzprozesses einhält.

Simon Kampe: Ich bin eine Art Gewährsmann dafür, dass die Betroffenenperspektive in allen Gremien des Schutzprozesses berücksichtigt wird. Außerdem kann ich als Ombudsmann schnelle und unbürokratische Hilfe leisten.

Frau Röser, als Sie vorgestellt wurden, warimmer die Rede von „Aufklärung“. Inwiefernklären Sie auf?

Röser: Aktuell sichte ich nach und nach alle Akten, die zu den bisherigen Fällen von verschiedenen Stellen im Bistum geführt wurden. Manchmal merke ich den Akten an, dass Informationen verlorengegangen sind und Personen nicht miteinander gesprochen haben. Bei dem Chaos geht es dann erstmal darum, alles anzugucken, zu verstehen und zu rekonstruieren. Gleichzeitig versuche ich, den Fall zu systematisieren und zu schauen, was vielleicht gut oder schlecht gelaufen ist. Alles mit der Frage im Hinterkopf: Was kann man für die Zukunft lernen?

Herr Kampe, wie sieht unbürokratische Hilfe bei Ihnen aus?

Kampe: Es kann sein, dass Betroffene Hilfe eines Anwalts in Anspruch nehmen wollen, da würden wir dann mindestens die erste Sitzung zahlen. Es kann sein, dass Betroffene sagen, dass sie austherapiert sind und nun eine Selbsthilfe gründen wollen. Dann können wir beispielsweise eine Supervision beisteuern. Es hat auch schon mal jemand Reittherapie bekommen. Es geht also um unterschiedliche individuelle Maßnahmen, denen die Betroffenen Linderung und Hilfe verschaffen sollen.

Das Bistum Osnabrück hat eine wissenschaftliche Studie zum sexuellen Missbrauch bei der Universität Osnabrück in Auftrag gegeben. Nach dem Zwischenbericht der Uni im September 2022 sind Ihre beiden Stellen entstanden. Was hatte im Konzept des Schutzprozesses vorher gefehlt?

Kampe: Im Grunde wurde die Arbeit, die wir jetzt machen, vorher auch schon gemacht, aber auf viele Schultern verteilt und immer noch zusätzlich zu den eigentlichen oder anderen Aufgaben. Was wir mitbringen, ist eine Hauptamtlichkeit für unsere Themen. Das führt hoffentlich zur Professionalisierung, Systematisierung und Entlastung anderer Kolleginnen und Kollegen im Bischöflichen Generalvikariat.

Wie arbeiten Sie beide zusammen?

Kampe: Mir hilft gerade unsere kollegiale Beratung. Jeder von uns bringt eine individuelle Perspektive mit. Mit der Tätigkeit von Sarah Röser ist eine gewisse Neutralität und eine gewisse distanzierte Kühle verbunden, weil sie gewähren soll, dass das Verfahren gut läuft. Ich soll die Betroffenen empathisch beraten und begleiten. Auch wenn wir nicht immer dieselben Schlussfolgerungen ziehen, sind unsere Einschätzungen nicht weit weg voneinander.

Wie hat Ihr Umfeld reagiert, als Sie Ihre Stellen angetreten haben?

Röser: Viele haben gesagt, dass sie Respekt vor der Thematik haben. Aber ansonsten waren alle durchweg positiv. Sie haben gesagt, dass es eine notwendige und sinnvolle Arbeit ist. Und dass sie froh sind, dass die Kirche das so angeht.

Kampe: Bei mir war es ganz genauso. Viele haben mit einem „Uff“ reagiert. Und dann aber auch wieder mit so einem „Gut, dass das jemand macht“.

Wie schaffen Sie es, sich täglich mit diesem schweren Thema zu befassen?

Röser: Zum einen ist es wichtig, eine gewisse Distanz zu den Fällen zu wahren. Das gilt grundsätzlich für jede juristische Arbeit. Zum anderen ist es wichtig, auf sich zu achten und zu schauen, was die Fälle mit einem machen. Mir helfen die 20 Minuten Fußweg zum Bahnhof ganz gut, um die Dinge loszulassen, die ich am Schreibtisch gelesen habe. Dazu kommt, dass Simon Kampe und ich Supervision in Anspruch nehmen.

Kampe: Ich bin seit 2014 Präventionsfachkraft und Sexualpädagoge und auch freiberuflich in dem Thema unterwegs. Ich habe also schon viel gelesen. Natürlich gibt es Fälle, die mich in ihrer drastischen Form berühren, gerade wenn ich anfange, die Betroffenen näher kennenzulernen.

Was erhoffen Sie sich von ihrer Arbeit?

Röser: Ich möchte Strukturen schaffen, die transparent und im Sinne der Betroffenen sind. Sie sollen ganz klar vorgeben und dokumentieren, was, wie, wann, weshalb passiert. Denn ich glaube, dass es Betroffene auch ermutigt, sich bei uns zu melden, wenn das Verfahren vorhersehbar, strukturiert und überschaubar ist.

Kampe: Mir ist es wichtig, dass die Kirche weiterhin anerkennt, dass sie eine Täterorganisation ist und dieses Schuldeingeständnis in aller Konsequenz weiterdenkt. Es soll zur Selbstverständlichkeit werden, dass der Schutzprozess im Interesse der Betroffenen handelt.

Welche Bedeutung hat der Schutzprozess für die Kirche und die Gesellschaft?

Röser: Ich glaube, dass die Kirche in vielen Bereichen etwas hinterherhinkt. Ich würde mir wünschen, dass sie irgendwann soweit ist, dass sie ihren selbstgestellten Standards entspricht und sich perspektivisch auch den weltlichen Standards angleicht. Es ist einfach immer ein Hinterherlaufen. Wir müssen dazu kommen, dass die Kirche Schritt hält.

Kampe: Faszinierenderweise ist gerade das Thema Prävention gegen sexualisierte Gewalt ein Bereich, von dem ich sagen würde, da ist Kirche in einer Vorreiterrolle. Vielleicht nicht in der Konsequenz der allermodernsten Sexualpädagogik, aber weiter als andere öffentliche Institutionen wie beispielsweise Vereine oder Schulen.

Röser: Es ist gut, dass in der Kirche diese Prozesse angestoßen wurden. Dadurch baut sich Wissen auf, von dem andere Institutionen profitieren können, zum Beispiel, was die Präventionsarbeit oder die Etablierung von Schutzkonzepten angeht.

 

Kontaktdaten

Sarah Röser
0541/318392
s.roeser@bistum-os.de

Simon Kampe
0541/318389    
s.kampe@bistum-os.de

 

Was Sie zum Schutzprozess wissen müssen

Schutzprozess: Anfang 2019 ist im Bistum Osnabrück das „Konzept gegen sexualisierte Gewalt und geistlichen Missbrauch im Bistum Osnabrück“ in Kraft getreten, kurz: der Schutzprozess. Dieser wird von externen Personen unabhängig vom Bistum gesteuert.

Monitoring-Gruppe: Sie ist verantwortlich für die Steuerung und die Kontrolle der im Rahmen des Schutzprozesses eingesetzten Arbeitsgruppen und Prozesse. Diese Steuerungsgruppe besteht zum überwiegenden Anteil aus externen Personen, die nicht im Dienst des Bistums stehen.

Arbeitsgruppen: Im Schutzprozess gibt es verschiedene Arbeitsgruppen zu den Themen Prävention, Intervention, Begleitung der Betroffenen, Umgang mit Beschuldigten und Tätern, systematische Grundsatzfragen und geistlicher Missbrauch.

Unabhängige Ansprechpersonen: Sie sind die erste Anlaufstelle für Betroffene, die fachkundig sowohl in weitere Beratung und Therapie vermitteln als auch mögliche rechtliche Schritte begleiten. Sie beraten auch zum Verfahren zur Anerkennung des Leids, bei dem Betroffene die Möglichkeit haben, Geld- und Therapieleistungen vom Bistum ausgezahlt zu bekommen. 

Jasmin Lobert