Kleines ABC der Kirchenentwicklung
In Halbdistanz zum Evangelium
Was ist wesentlich für die Kirche 2030? In der letzten Folge geht es in unserem „kleinen ABC der Kirchenentwicklung“ um „Zachäusmenschen“. Ein Begriff des tschechischen Theologen Tomás Halík. Andere sprechen von Schwellenchristen. Von Johannes Becher.
„Frau, back’ Waffeln, der Heiland kommt!“: So hat mein Opa stets die Geschichte vom Zöllner Zachäus zusammengefasst. Dieser Spruch kommt mir in den Sinn, wenn ich die Gedanken von Tomás Halík in dessen Buch „Geduld mit Gott“ nachlese. Auffällig ist seine große Wertschätzung für die Menschen, die von Ferne das kirchliche Geschehen beob-achten. Quasi „vom Baum herab“. „Zachäusmenschen“ eben. Längst haben andere Theologen dieses Bild von den Menschen in Halbdistanz zu Glaube, Evangelium und Kirche aufgegriffen. Wie der Innsbrucker Professor für „Interkulturelle Pastoraltheologie“, Christian Bauer, sprechen sie von „Schwellenchristen“. Ihnen geht es um „Erkundungen zur säkularen Bedeutung des Evangeliums“. Anders gesagt: Was und wie denken die religiös Unentschiedenen oder Distanzierten über Gott und sein Bodenpersonal? Ein Kongress deutschsprachiger Pastoraltheolog(inn)en hat sich gerade ausführlich damit beschäftigt. Im Programm heißt es dort: „Weder noch – normal halt: Diese Antwort gaben Jugendliche am Leipziger Hauptbahnhof auf die Frage, ob sie christlich oder atheistisch eingestellt seien. Sie verweist auf die religiös unmusikalischen Existenzweisen nicht weniger Zeitgenossinnen und Zeitgenossen. Es stellt sich die Frage nach der säkularen Bedeutung des Evangeliums in ,Freude und Hoffnung, Trauer und Angst‘ (Gaudium et Spes 1) ihres Lebens: WIE kann es mit ihnen eine ,dritte Ökumene‘ (Eberhard Tiefensee) … geben? WAS bewegt die evangeliumsnahen ,Zachäusmen-schen‘ (Tomás Halík) unter ihnen, die in interessierter Halbdistanz zur Jesusbewegung das Glück ihres Lebens finden? WELCHE Rolle spielen existenzielle Orte in Pastoral und Theologie, an denen zwar Gott, nicht aber die Kirche ist?“ Wie, was, wo: Die Problemanzeige ist klar. Kurz gefragt: Wollen die Menschen in der Welt noch etwas wissen von uns? Wollen Christen lernen von den Menschen in Distanz?
Christian Bauer sieht bei den auf den Namen „Schwellenchristen“ Getauften zweierlei: Zum einen seien sie ansprechbar in existenziellen Fragen, zum anderen aber „in religiösen Dingen auch höchst skeptische Zeitgenossen“. In keinem Fall dürfe es im Kontakt um kirchliche Vereinnahmung gehen. Vielmehr – so nennt es Bauer – um die „Entsicherung des Eigenen“: Man könne „Gott selbst“ entdecken „als anonymes Geheimnis einer zwar weithin kirchenfernen, deswegen aber noch lange nicht gottlosen säkularen Welt“.
Zum vertiefenden Annähern könnte neben Zachäus auf dem Baum auch die Geschichte des Nachgesprächs Jesu mit Nikodemus (Johannes-Evangelium) dienen: Da lebt jemand in neugieriger Fragedistanz …
Mit dieser Folge endet unser „Kleines ABC der Kirchenentwicklung“.
Zitiert: Zurück zu den Fragen
„Wir können uns sicher sein, dass Gott immer auf der Seite der Suchenden, Fragenden und Zweifelnden ist, bei den ,Zachäus-Christen‘, wie der Theologe Tomás Halík sie nennt. Beim Glauben, so sagt er, geht es nicht um die Lösung von Problemen, sondern um die Annäherung an ein Geheimnis. Der Weg des Zachäus führt uns von den Problemen zum Geheimnis, von den Antworten zu den Fragen zurück. Als Glaubende sind wir zugleich Fragende mit anderen Fragenden, Zweifelnde mit anderen Zweifelnden, Suchende mit anderen Suchenden. Im Psalm 9,11 lesen wir es: ,Du, mein Gott, verlässt nicht die, die dich suchen und nach dir fragen.‘ Wer fragt, weiß schon etwas, sagte mir mal ein Kind. Und wer glaubt, weiß mehr vom Leben, möchte ich ergänzen. Wer aber in Fragen der Religion nichts weiß, der glaubt am Ende alles.“
Rainer Oberthür, Religionspädagoge