Drohende Abschiebung einer vietnamesischen Familie
Illegalität statt Integration
Der heute 65-jährige Pham Phi Son, seine Frau Nguyen Thi Quynh Hoa und die gemeinsame Tochter Emilia 2019 in Dresden. Foto: Stefan Taeubner |
Wie kann man in einem Land illegal sein, in dem man seit 1987 arbeit und lebt? Diese Frage beschäftigt nicht nur den Vietnamesen Pham Phi Son und seine Familie, sondern auch den Jesuiten Pater Stefan Taeubner und den Politiker Frank Richter. Denn genau das sind Herr Pham und seine Familie laut der Chemnitzer Ausländerbehörde: illegal in Deutschland. Daher droht ihnen die Abschiebung.
Gut intergriert und Familie gegründet
Der 1957 in Vietnam geborene Pham Phi Son kämpfte als junger Mann im Vietnamkrieg und wurde verwundet. Da er in seiner Heimat langfristig keine Zukunft für sich sah, kam er 1987 als Vertragsarbeitnehmer in die DDR. Nach der Friedlichen Revolution absolvierte er verschiedene berufliche Fortbildungen. Er erhielt eine unbefristete Niederlassungserlaubnis und lebte über 30 Jahre regulär in Deutschland. Bis Ende 2018 hatte er Arbeit und Wohnung in Chemnitz.
Wie sich später herausstellen sollte, kam es 2016 zur folgenreichen Zäsur in seinem Leben. Seine alte Kriegsverletzung war wieder aufgebrochen und musste umfassend behandelt werden. Daher reiste Herr Pham für ein halbes Jahr nach Hanoi. Dieser Besuch in seiner alten Heimat hatte zwei Folgen: Die positive war, dass er dort Ngyuen Thi Quynh Hoa kennen- und lieben lernte. Da diese die Gefühle erwiderte, folgte sie ihm nach seiner Rückkehr 2016 legal nach Deutschland, um ihn zu heiraten. Ihre gemeinsame Tochter Emilia wurde 2017 in Chemnitz geboren. Die Familie lebte gemeinsam in einer Wohnung und war angemeldet in Chemnitz. Herr Pham hatte Arbeit und konnte seine Familie aus eigenen Kräften ernähren.
Als er im März 2017 für seine Tochter den Antrag auf einen deutschen Reisepass stellte, wurde ihm dieser verwehrt. Grund dafür war die zweite, negative Folge seiner Vietnamreise. Der Chemnitzer Ausländerbehörde war bei der Beantragung des Reisepasses aufgefallen, dass Herr Pham seinerzeit seinen Auslandsaufenthalt nicht korrekt bekannt gemacht habe. Er hatte sich zwar bei der Deutschen Botschaft gemeldet, dies aber nicht schriftlich dokumentiert. Diese Ordnungswidrigkeit führte in Folge zum plötzlichen und völligen Verlust jeder Aufenthaltsgrundlage für die gesamte Familie. Anstatt in Zukunft gut integriert, mit deutscher Tochter und finanziell selbstständig in Chemnitz leben und arbeiten zu können, wurden die drei zu Statuslosen, denen die Abschiebung droht.
Daher tauchte die Familie zunächst unter, lebt an wechselnden Orten in Westdeutschland. Mit Unterstützung einer Anwältin und der Hilfe von Jesuit Pater Stefan Taeubner, Seelsorger für Vietnamesen im Bistum Dresden-Meißen, brachte die Familie ihren Fall 2019 schließlich vor die Härtefallkommission, die vom Sächsischen Ausländerbeauftragten und früheren Justizminister Geert Mackenroth geleitet wird. Taeubner war guter Hoffnung: „Was sollte ein Härtefall im Ausländerrecht sein, wenn nicht dieser?“ Aber die Mehrheit der Gremienmitglieder entschied gegen Pham. Also ging das Versteckspiel weiter.
Keine Papiere – keine Duldung
Doch niemand kann dauerhaft auf der Flucht sein. Also kehrte die Familie kurz vor Weihnachten 2021 nach Chemnitz zurück und meldete sich aus eigenem Antrieb bei der Kriminalpolizei. Im Anschluss wurde sie am 16. Dezember bei der Chemnitzer Ausländerbehörde vorstellig. Dort ersuchte sie um Ausstellung einer Duldung, welche verweigert wurde. Die Familie wurde weggeschickt, ohne dass ihr eine irgendwie geartete Bescheinigung ausgestellt wurde. Die Familie wurde in die Illegalität entlassen, obwohl sie sich freiwillig bei den Behörden gemeldet hatte. Für Stefan Taeubner unbegreiflich: „Jeder hat ein Recht auf Duldung, auch vor der Abschiebung. Niemand in Deutschland darf ohne Papiere sein!“
Auch die Unterstützung Taeubners für die Familie scheint den Behörden ein Dorn im Auge zu sein. Die Polizei wirft dem Pater nun vor, dass er kein Recht habe, sich für die Familie einzusetzen.
In einem Bericht der „Chemnitzer Zeitung“ kommentierte die Stadtverwaltung Chemnitz den ganzen Fall lapidar: „Richtig ist, dass sich Herr P. bei der Polizei gemeldet hat und anschließend bei der Ausländerbehörde der Stadt Chemnitz vorstellig war. Zu diesem Zeitpunkt war die Familie P. allerdings nicht mit Wohnsitz in Chemnitz gemeldet (und hat dies auch nicht beantragt). Demnach kann die Ausländerbehörde der Stadt Chemnitz den Fall aktuell nicht bearbeiten.“ Diese Wortmeldung ist für den Jesuiten Taeubner purer Hohn: „Ich habe alles dafür getan, dass die in Deutschland gut integrierte Familie aus der Illegalität zurück in die Legalität findet. Ohne Wohnung und ohne Arbeit keine Papiere – und ohne Papiere keine Wohnung und keine Arbeit. Dieses Spielchen ist inhuman und für die Betroffenen grausam.“
Ein weiterer Unterstützer der Familie ist der Landtagsabgeordnete Frank Richter, Theologe, Bürgerrechtler und ehemaliger Leiter der Zentrale für politische Bildung in Sachsen. Auch er ist entrüstet über das Vorgehen: „Ich kann das Verhalten der Behörde weder verstehen noch akzeptieren. Ich sehe ein weiteres Beispiel für die Familien- und kinderfeindliche sächsische Asyl- und Abschiebepolitik. Gutwillige, integrierte und arbeitsame Menschen werden abgeschoben, die Traumatisierung von Kindern wird billigend in Kauf genommen. Das ist unmenschlich, ungerecht und auch in ökonomischer Hinsicht unvernünftig. Ich fordere ein Umdenken und erwarte eine grundsätzlich andere Sicht auf die unter uns lebenden ausländischen Mitmenschen.“
(st/cz/tdh)