Kardinal Lehmann beendet seine irdische Mission
Im himmlischen Frieden – ohne Amt
Ein ganz großer Brückenbauer in Theologie, Kirche und Gesellschaft hat seine irdische Mission beendet. Im Rückblick auf das Schaffen von Kardinal Lehmann wird man noch mehr entdecken, dass „Lehmann-Kirche“ kein Schimpfwort ist. Von Johannes Becher.
Zu früh! Kann man das noch sagen bei einem, der mit 81 Jahren heimgeht zum himmlischen Schöpfer? Einerseits sicher nicht. Ein erfülltes, arbeitsreiches Leben, reichlich dekoriert mit öffentlichen Belobigungen, akademischen Ehrentiteln, weltlichen Auszeichnungen und Preisen, ist zu Ende. Andererseits hätten ihm seine Weggefährten noch ein paar gute Jahre gegönnt – ohne die Lasten des Bischofsamts.
Und vielleicht ist gerade das typisch und tragisch für Kardinal Lehmann: Tragisch, dass ihm keine Kraft mehr blieb für sein geliebtes theologisches Eintauchen in noch offene Fragen. Typisch, weil Lehmann nicht loslassen konnte. Ein Mann mit seinem Wissen. Vielleicht ist es ja für niemanden leicht, Einfluss aufzugeben, der einmal die Macht hatte. Warum, so fragen sich nun manche, warum hat er nicht mit 75 konsequent darauf gedrungen, aus dem Amt gehen zu dürfen? Als die Kräfte merklich weniger wurden. Und der Schmerz größer, dass er nicht mehr in der ersten Reihe sitzen konnte – weil der Körper rebellierte, weil nun andere das Sagen haben in der Kirche in Deutschland. So gesehen sind die letzten Lebensjahre des Kardinals auch ein Lehrstück für die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für Amtsverzicht und Rückzug.
Wie auch immer: Mit dem Kardinal ist wieder einer weniger da, der noch als Augen- und vor allem Ohrenzeuge vom Konzil erzählen kann. Die Jüngeren kennen den Geist dieser besonderen Kirchenversammlung nur aus Büchern – oder von einem Zeitzeugen wie Lehmann. Er ist nie müde geworden, die „Relecture“ der Konzilstexte einzufordern. Längst nicht alles sei schon in rechter Weise verstanden …
Wie stets sollte es auch hier gründlich sein. Wir differenzieren uns zu Tode: Ein Vorwurf von Kritikern an „die Lehmann-Kirche“. Nein, Schnellschüsse waren seine Sache nicht. Gründlich. Ausgeleuchtet. Damit eine mögliche Entscheidung Bestand haben kann, wenn die Stürme aufkommen. Damit die Argumente aller Beteiligten studiert und wertgeschätzt sind. Das führt zuweilen zu Unmut auch bei den Geduldigsten. Vor allem, wenn da einer abschließend nochmal selbst draufschauen möchte auf das Arbeitspapier, bevor es öffentlich wird.
Dabei gibt es bei Lehmann auch ein „Sehr-Früh“. Stichworte: wiederverheiratet Geschiedene und Strukturveränderungen für die Pfarrgemeinden.
Schon 1993 hat er mit den anderen Bischöfen der Oberrheinischen Kirchenprovinz für die Erlaubnis zum Kommunionempfang der neu Verheirateten gestritten. Damals vergeblich. „Amoris laetitia“ ist sein später Lohn …
In den aktuellen Fusionsdebatten um künftige Groß-Pfarreien wird zuweilen vergessen, dass man im Bistum Mainz zwar heute keine Hektik aufkommen lässt, doch im Prozess „Damit Gemeinde lebt …“ schon längst mit Kooperationen begonnen hat. Das war 1996. Allmähliche Annäherungen …
Allerorten wird nun in Nachrufen der große Intellekt des Kardinals gerühmt, seine Freude am gehaltvollen Disput und der wissenschaftlichen Debatte.
Kein Wunder, dass er nicht gerade euphorisch reagiert hat, als die Bischofskonferenz mit seinem Nachfolger Robert Zollitsch 2010 einen „Dialogprozess“ ausrief. Er pflege seit beinahe 30 Jahren den Dialog in seiner Amtsführung, lässt er seine Gesprächspartner immer wieder hören. Und gewiss: Das Gespräch mit den deutschsprachigen Theologen – auch den kritischen der „Kölner Erklärung“ von 1989 – führt Lehmann, er hat den Vorsitz im katholisch-evangelischen Gesprächskreis, dem Wegbereiter so manch ökumenischer Übereinkunft, sein Wort hat Gewicht in den Gesprächen mit Politikern und Unternehmern.
Bei aller Offenheit für die Debatte stimmt aber auch: Lehmann war der Päpste treuer Diener. Auch in den Tagen von Johannes Paul II., der ihm seinen größten Schmerz in den 21 Jahren im Amt des Vorsitzenden der Bischofskonferenz zufügt: das im Gehorsam ertragene Aus für die kirchliche Schwangerenkonfliktberatung 1999. Vielleicht war die späte Kardinalswürde 2001 auch der irdische Lohn dafür …
Ernten durfte der Kardinal in seinen letzten irdischen Tagen auch noch die Frucht einer seiner frühen Visionen: die Möglichkeit für konfessionsverbindende Paare, gemeinsam die Kommunion zu empfangen. Deren „geistliche Not“ hatte Lehmann einst „zur Ökumene geführt“.
Einer wie Karl Lehmann wird fehlen als Konzilszeuge, als Brückenbauer in der Theologie, in der Ökumene, zwischen den Flügeln seiner katholischen Kirche, in der sich weiter spaltenden Gesellschaft, vor allem aber auch als gläubiger und glaubwürdgier Zeuge mitten in der Welt von heute.
Möge er gut angekommen sein im himmlischen Frieden – endlich frei von Erwartungen und Ämtern. Auch den selbst gewählten.
Hier geht's zum Dossier "In Gedenken an Kardinal Lehmann".