Pro und Contra

Insolvenzrhetorik?

Image
33_pro-contra.jpg

Es wird Klartext gesprochen. In den vergangenen Monaten ist der verbale Schlagabtausch zwischen Reformern und Beharrern in der Kirche deftiger geworden. Hilft diese „Insolvenzrhetorik“, also das Rumnörgeln am Zustand der Kirche? Oder sollte stärker auf den Glaubenskern, die Frohe Botschaft, geschaut werden? Meinungen im Pro und Contra von: Hans-Joachim Stoehr und Anja Weiffen.


Schonungslos die Missstände ansprechen oder schonend umgehen mit den Ressourcen der Kirche?

PRO

Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein!“ (Matthäus 5,37) Was das heißt, macht Jesus mit seinem eigenen Leben deutlich. Sein Handeln und sein Reden sind klar, nicht zweideutig, sondern eindeutig. Das heißt für Christen, die in seiner Nachfolge stehen: Ein Gespräch, eine Debatte kann kontrovers, aber nicht übergriffig oder uneinsichtig sein. Das hat auch etwas mit Wahrheit zu tun. Nur wenn Dinge klar benannt werden, ist das gut für einen Austausch, eine Debatte. Das heißt für mich aber auch: Wenn die Kirche Symptome zeigt, die etwas von einem Bankrott an sich haben, dann ist es zulässig, für mich sogar unverzichtbar, dass so etwas auch klar beim Namen genannt wird.
Das soll kein Plädoyer für demagogische Reden sein. Populisten mit ihren einfachen Parolen geht es nicht um eine Debatte, sondern darum, anderen ihre eigene Meinung aufzudrücken. Auf der Strecke dabei bleibt oft die Wahrheit. Eine klare Sprache aber muss nicht der Wahrheit widersprechen. Aus meiner Sicht wird oft – gerade im kirchlichen Umfeld – „kontrovers“ als etwas gesehen, das die Einheit und das friedliche Miteinander stört. Aber eine solche Friedhofsruhe ist nicht im Sinne Jesu. Wo eine Debatte, eine Kontroverse nötig ist, da muss sie auch geführt werden. Da sind alttestamentliche Propheten wie Amos oder Hosea gute Vorbilder. Letzterer verglich das auserwählte Volk Israel mit einer Dirne. Das kam bei seinen Zeitgenossen bestimmt nicht gut an. Die Propheten kümmerte das nicht. Wenn jemand bei kirchlichem Tun eher eine „Totengräber“-Mentalität wahrnimmt statt einer geisterfüllten „Goldgräber“-Stimmung, so wird das nicht jeden erfreuen.
Die Reaktion sollte aber nicht sein, solche Äußerungen zu unterbinden oder den Boten dafür zu schlagen, also, den, der sich äußert. Stattdessen sollte man sich dem Inhalt des Gesagten stellen. Mit der Konsequenz, sich in einer kontroversen Debatte darüber auseinanderzusetzen. Eines sollte dabei nicht auf der Strecke bleiben: die Wahrheit.

Hans-Joachim Stoehr, Redakteur

 

CONTRA

So titelte kürzlich eine Tageszeitung zur Lage der katholischen Kirche: „Die Kirche im Abwärtsstrudel?“ Von Austrittswellen ist allgemein die Rede, von Erosion. Dieses Vokabular, das nicht nur in der Presse zirkuliert, sondern selbst in Kirchenkreisen: Es nervt. Die Metaphern sind oftmals angelehnt an Naturprozesse und -katastrophen. Übliche sprachliche Stilmittel. Vielleicht soll dadurch der Druck auf Verantwortliche steigen.
Doch suggeriert diese Rhetorik auch: Wir sind „Naturkräften“ ohnmächtig ausgeliefert! Als wenn das Drama plötzlich und unverschuldet über einen kommen würde. Das ist nicht der Fall. Teils stehen hinter Kirchenaustritten sich länger anbahnende gesellschaftliche Prozesse wie etwa demografische Entwicklungen, Entfremdung und Säkularisierung. Nichts Plötzliches. Teils sind Probleme hausgemacht: Verbrechen, Skandale, Fehlverhalten, schlechte Kommunikation. In der Summe also keine Naturkatastrophen. Unangemessen finde ich diese Sprache auch angesichts zunehmender echter Umweltkatastrophen. Nebenbei: Auch hier kommt vieles nicht plötzlich und unverschuldet. Wir verlieren durch inflationären Gebrauch von Untergangsrhetorik die Einordnung und Differenzierung: So steht eine Krise gleichwertig neben der anderen. Das stimmt nicht. Während bei Umweltzerstörung und Erderwärmung viele immer noch nicht den Ernst der Lage begreifen – viele menschengemachte Veränderungen sind schwer rückgängig zu machen, umso mehr ist Alarm angesagt–, sind kirchliche Entwicklungen viel besser beeinflussbar. Wenn Menschen wollen. Stichwort Reformen.
Fazit: Eine Sprache, die nicht schönredet, sondern klar Probleme nennt und Zusammenhänge aufzeigt, gepaart mit entschiedenem Handeln, ist meines Erachtens die bessere Alternative zum Untergangssprech. Denn Christen und Kirchen werden gebraucht in einer Welt mit massiven Herausforderungen.

Anja Weiffen, Redakteurin