Beruf(ung) Hebamme
Jede Geburt ist wie Weihnachten
Anna Strohmeyer ist 23 Jahre alt und Hebamme aus Berufung. Im Oktober 2020 hat sie ihre dreijährige Ausbildung zur Hebamme abgeschlossen. Seit inzwischen etwas über einem Jahr arbeitet sie nun als examinierte Hebamme am Klinikum Robert Koch (KRK) in Gehrden und hat in dieser Zeit rund 150 Geburten begleitet.
Anna Strohmeyer freut sich auf Weihnachten. „In diesem Jahr kann ich Heiligabend wieder einmal im Kreis meiner Familie zuhause feiern. Ich liebe an der Weihnachtszeit vor allem die festliche Dekoration, mit den vielen Lichtern, die das Zuhause noch gemütlicher machen und das Beisammensein“, schwärmt sie.
Die letzten drei Jahre hatte sie jeweils Dienst im Krankenhaus und hat im Kreißsaal gearbeitet. Sie hat „Christkinder“ beim Start auf die Welt begleitet. „Wir sagen da wirklich scherzhaft Christkinder und tatsächlich ist eine Geburt an Heiligabend nochmal was anderes, weil die Grundstimmung einfach andächtiger und besinnlicher bei allen ist. Das Miteinander ist fröhlicher und dankbarer. Meist bringt jeder eine Kleinigkeit zu essen mit, letztes Jahr haben wir alle zusammen gegessen, unser Oberarzt hat Weihnachtslieder gesungen und auch wenn ich das Fest nicht mit meiner Familie verbringen konnte, bleibt es mir trotzdem in schöner Erinnerung“, erzählt die Hebamme.
„Es ist eine Ehre, dabei sein zu dürfen“
Irgendwie ist jede Geburt ein bisschen wie Weihnachten, meint Anna Strohmeyer. Sie selbst empfindet es als große Ehre, bei einer Geburt dabei sein zu dürfen. „denn es ist im Leben der werdenden Eltern ein sehr bedeutungsvolles und einschneidendes Erlebnis, an dem sie mich teilhaben lassen. Hebamme zu sein ist für mich vor allem mit Dankbarkeit und Stolz verbunden, anderen Frauen den Mut zu geben, sich auf ihren eigenen Körper und ihren Instinkt zu verlassen sowie ihre eigenen Stärken anzuerkennen.“
Dabei ist das Verhältnis von werdender Mutter und Hebamme ein ganz besonderes. „Ich denke, Hebammen sind auf jeden Fall für viele Frauen eine Art ‚Freundin auf Zeit‘, denn vor allem Familien, die man in der Schwangerschaft, während der Geburt und im Wochenbett begleitet, öffnen einem buchstäblich eine Art Tür in ihr Leben. Man ist Ansprechpartnerin bei allen Fragen, Vertrauensperson ihrer Ängste und Sorgen und Wegbegleiterin in einer neuen, aufregenden und zum Teil anstrengenden Lebensphase, die man am Ende zusammen meistert“, betont Strohmeyer und erinnert sich an eine Frau, die während der Geburt der Mut verlassen wollte. „Als ich im Spätdienst die Betreuung des Paares übernommen habe, traf ich auf eine Frau, die die Kraft verlassen hatte, ihren Plan weiter umzusetzen. Nach einem Notkaiserschnitt bei der Geburt des ersten Kindes in einer anderen Klinik wollte sie ihr zweites Kind ganz normal zur Welt bringen. Nach einem langen Gespräch, vielen Tränen und aufbauenden Worten, konnte ich sie dazu überreden, ihren Plan weiter zu verfolgen. Ich hatte das große Glück, dass an diesem Tag wenig zu tun war und ich der Frau beziehungsweise dem Paar eine 1-zu-1-Betreuung ermöglichen konnte. Nach knapp fünf Stunden harter Arbeit, und der grandiosen Unterstützung ihres Mannes, hatte sie es geschafft.
Stolz wie eine Königin hielt sie ihre kleine Tochter auf dem Arm und als bei den beiden die Freudentränen über ihre Gesichter kullerten, merkte auch ich, dass ich ein paar Tränchen vergießen muss“, erzählt die Hebamme, für die Emotionen wichtig sind.
Bis hin zur Begleitung der Reise von Sternenkindern
„Ich erkenne Emotionen immer als eine Art Menschlichkeit an und finde es wichtig diese zu zeigen. Natürlich fiebert man bei jeder Geburt mit, ist aufgeregt, welchen neuen Erdenbürger man diesmal begrüßen darf und freut sich, wenn das Kind schließlich auf der Welt ist. Trotzdem ist man auch durch die Zeit gefestigter geworden, aber dies ist wichtig, um in stressigen oder gar Notfallsituationen einen kühlen Kopf zu bewahren. Man baut Selbstschutzmechanismen auf, um nicht alles am Ende des Tages mit nachhause zu nehmen“, sagt Strohmeyer und weist darauf hin, dass der Beruf der Hebamme zum Glück vorrangig aus schönen Momenten bestehe. „Die sind vor allem durch Freude und Dankbarkeit geprägt. Aber natürlich ist auch Trauer und Leid ein Bestandteil des Berufes, denn auch die Begleitung der Reise von Sternenkindern, also Kinder die den Himmel erreicht haben, noch bevor sie das Licht der Welt erblicken durften, bei Fehl- oder Totgeburten, gehört dazu. Gerade die Betreuung von werdenden Eltern, die einen solchen Schicksalsschlag erleiden, stellt immer wieder eine große Herausforderung für mich dar, denn sie zeigen, wie nah Freud und Leid bei einander liegen können, und vor allem bringen sie mich emotional immer wieder an meine Grenzen.“
Wenn Anna Strohmeyer an die Weihnachtsgeschichte in der Bibel denkt, ist sie froh, dass heute in Deutschland niemand mehr sein Kind in einem Stall zur Welt bringen muss. „Ein junges Paar findet keine Herberge, es ist mitten in der Nacht und kalt. Diese Situation erleben wir zum Glück heute bei uns nicht mehr, da jedem jederzeit die Kreißsaaltüren offen stehen.“ Und: In Deutschland hat jede Frau einen Anspruch auf Hebammenbetreuung während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett und trotzdem gelingt es nicht jeder Frau, durch den bestehenden Hebammenmangel, dieses Recht in Anspruch nehmen zu können. „An dieser Stelle könnte man vielleicht tatsächlich auch heute noch eine Brücke zu Maria und Josefs Situation im Stall schlagen, die auch auf sich allein gestellt waren“, sagt sie und die Weihnachtsgeschichte ist plötzlich gar nicht mehr so weit weg.
Gerade hatte die Hebamme eine Woche Nachtdienst. „Eigentlich ist das ein schöner Dienst. Im Nachtdienst herrscht eine andere Atmosphäre im Kreißsaal. Nachts schiebt sich der ganze Alltagsstress, der tagsüber zum Teil herrscht, beiseite. Alles ist auf eine gewisse Art und Weise entschleunigter. Es ist draußen dunkel, man kann das Licht gemütlich dimmen und es entsteht eine heimeligere Stimmung. Aber am Ende ist jede Geburt besonders, egal ob am Tag oder nachts“, betont Anna Strohmeyer.
Noch vor dem Abitur stand für die gebürtige Hildesheimerin fest, dass sie eine Ausbildung im medizinischen Bereich macht. „Vor einem Studium wollte ich etwas Festes in der Hand haben. Ich machte ein zweiwöchiges Praktikum im Kreißsaal und damit stand mein Entschluss fest. Ich wollte Hebamme werden und habe den Entschluss bislang nicht bereut. Inzwischen studiere ich nebenbei an der Hochschule Osnabrück, um zusätzlich meinen Bachelor of Science in Midwifery, in Hebammenwissenschaften, zu machen“, erzählt sie und freut sich nun erst einmal auf Weihnachten mit ihrer Familie – und dann auf die nächsten ganz besonderen Babies. „Dieses Jahr hab ich zum ersten Mal Silvester Nachtdienst und freue mich auf viele Neujahrsbabys, dass ist bestimmt fast so wie die Christkinder an Heiligabend“, findet Anna Strohmeyer.
Von Edmund Deppe