„Heimat“ in der Bibel – Teil 1 zur Jahresserie 2018
Juden und Christen haben Heimweh nach dem Paradies
Unser Wort „Heimat“ lässt sich in der Bibel nicht finden. Dabei ist sie auch dort ständig Thema. Jedoch häufig in Geschichten, die von Vertreibung erzählen und vom Aufbruch. Seit Adam und Eva suchen die Menschen ihre Heimat. Eine biblische Spurensuche.
Von Johannes Becher.
„Vielleicht liegt Heimweh sehr sehr nah an der Heimat – nur einen Traum weit entfernt, nur ein Wort weit.“ So sagt es die evangelische Theologin Ulrike Bail in einem Vortrag. „Einen Traum weit entfernt“ – und öfter Heimweh als Heimat: In diese Spannung könnte man die biblische Spurensuche nach einer Heimat stellen. Denn viel häufiger als um ein stabiles Bleiben geht es – zumal in den Anfängen der biblischen Erzählungen – um Aufbruch. In einer Nomadentradition mit umherziehenden Hirten gibt es kein Sesshaft-Sein, sondern mehr ein Unterwegs-Sein.
Und so fehlt in der hebräischen Bibel, dem Ersten Tes-tament, auch ein vergleichbarer Begriff für unser Verständnis von „Heimat“.
Eine schöne Heimat-Geschichte mit seiner bibel erzählt der jüdische Philosoph Edmond Jabès, der ins christliche Frankreich übersiedelt: „Ich habe Zuflucht gesucht in einer Vokabel von Tinte, so ist denn mein Raum das Buch.“ Da ist einem die Bibel zur Heimat geworden. So wie ihm, erging und ergeht es ja etlichen: dass sie fern der geographischen Heimat Zuflucht suchen und finden in Worten – im Wort. Die Bibel als „tragbares Vaterland“ (Heinrich Heine). Nie schöner gesagt als von der jüdischen Dichterin Rose Ausländer: „Und Gott gab uns / das Wort / und wir wohnten / im Wort / Und das Wort ist / unser Traum / und der Traum ist / unser Leben.“
Die hebräische Bibel selbst kennt keinen Begriff, der dem deutschen „Heimat“, wie wir uns ihm heute nähern, entspricht. Zuweilen ist davon die Rede, dass jemand sein Land (hebräisch gesprochen: eretz) verlassen soll, um an einen neuen Ort zu wandern. Es geht aber auch um Beziehungen: In der neuen Einheitsübersetzung der Bibel taucht hier das Wort „Verwandtschaft“ auf (hebräisch gesprochen: moledet). Von der Wortwurzel her, passen hier auch verschiedene Wörter hinein, die eine Familie umschreiben. Diese wird allerdings auch in einem geweiteten Sinn verstanden: als „Vaterhaus“ (hebräisch gesprochen: beit av). Hier findet der Mensch Schutz, hier hat er Nahrung und Kleidung. Er ist behütet – und in einer solchen Umgebung lässt sich wachsen, eine Familie gründen … Doch immer wieder verlangt Jahwe, dass sich seine Behüteten neu auf den Weg machen. Sie sollen ihr Vaterhaus verlassen (nicht vergessen).
Wie auch immer: Für all diese Geschichten gilt: Eine Suche nach der Heimat beginnt im Ersten Testament im Grunde erst mit dem babylonischen Exil: im sechsten Jahrhundert vor Christus wird Jerusalem zerstört und die Denker und Lenker des jüdischen Volkes werden nach Babylon verschleppt. Wo ist ihre Heimat? Die Frage nach der Heimat stellt sich erst im Verlust. Als das Heimweh kommt …
Die ersten biblischen Geschichten sind solche Heimweh-Geschichten. Wie auch jene von Adam und Eva. Vertrieben aus dem Paradies, suchen sie nach ihrem Zufluchtsort, ihrem Raum, Ort, ihrer Wohnstatt, der Heimat …. Und was für das Judentum seit jeher eine Frage nach Identität war, ist es längst auch für die Suchenden in der christlichen Religion geworden: Wo ist das Paradies? Wo ist unsere Bleibe? Der Ort bei Gott. Ewige Zuflucht. Himmel …
Also nicht in dieser Welt. Eine ebenso wichtige Chiffre für die Sehnsucht nach Heimat ist deshalb „das himmlische Jerusalem“ geworden. Vertrieben aus der irdischen träumt der Mensch von einer ewigen Bleibe im Himmel. Träumt von einem Leben an Gottes Ort. In dessen Heimstatt. Heimat.
Und so könnte man auch zum Schluss kommen, dass der Mensch auf Erden gar keinen festen Ort braucht, dass er überall bleiben kann – so lange er sich nur von Gott auf den Weg bringen und führen lässt.
Hier geht's zum ersten Teil der Jahresserie 2018: „Meine Heimat, deine Heimat, unsere Heimat“