Gleichnis der Brotvermehrung

"Kein Beitrag ist zu gering"

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Fünf Brote und zwei Fische reichten, um Tausende satt zu machen, erzählt das Evangelium. Ein Wunder Gottes? Oder ein Wunder des Teilens? Beides!, sagt Claudio Ettl, theologischer Referent im Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg.

In diesem Eine-Welt-Laden werden faire Produkte verkauft.
Wie können wir das Gleichnis der Brotvermehrung heute umsetzen? Zum Beispiel, indem wir fair konsumieren, sagt Claudio Ettl. 

Herr Ettl, das Evangelium dieses Sonntags erzählt, wie Jesus mit fünf Broten und zwei Fischen mehrere tausend Menschen speist. Ist das eine Erzählung über ein Wunder oder gibt es eine ganz menschliche Erklärung?

Es ist eine der großen Wundergeschichten, die in allen Evangelien vorkommt: Ganz viele Menschen werden mit ganz wenig gesättigt. Die Geschichte hat aber auch etwas sehr Realistisches und reflektiert eine menschliche Grunderfahrung: Ich möchte etwas tun, um eine Not zu lindern, habe aber nur sehr begrenzte Mittel dafür. Wie gehe ich mit diesem Dilemma um? Dafür bietet die Geschichte eine Perspektive.

In einem Kinderkirchenlied singen wir „Wenn jeder gibt, was er hat, dann werden alle satt“. Ist das damit gemeint?

Es geht in diese Richtung. Es soll aber nicht heißen, ich muss nur etwas tun und alles wird gut. Natürlich ist mein eigener Beitrag wichtig. Aber eben nicht allein. Diese Bibelstelle erzählt, dass ich die realistische Hoffnung haben darf, dass sich die Dinge gut entwickeln. Zu meinem Handeln kommt etwas hinzu, das ich nicht in der Hand habe und nicht planen kann. 

Das menschliche Handeln wird also von Gott vollendet?

Ja. In der Erzählung handeln die Jünger ja sehr vernünftig. Sie mahnen Jesus, dass es spät geworden sei und er sich um die vielen Leute kümmern müsse. Jesus sagt, sie sollen die Menschen nicht wegschicken. Er zeigt den Jüngern, dass es mehr gibt als das rationale Handeln. Die menschliche Aktivität ist wichtig, aber sie mündet hier in eine Haltung der Hoffnung, die motivieren soll: Aus diesem Wenigen kann und wird trotzdem etwas Positives erwachsen.

Jesus sagt den Jüngern, dass sie ihm die Brote und Fische bringen und sie dann verteilen sollen. Einfach so loszulegen, ohne sich große Gedanken zu machen: Wenn ich das auf menschliches Handeln übertrage, ist das nicht ziemlich naiv?

Aus der Perspektive der Vernunft ist das naiv. Die Jünger warnen ja, dass nur fünf Brote und zwei Fische da sind. Die Erzählung sagt aber, dass ich als Christ zu allen rationalen Überlegungen die Hoffnung dazugeben kann. Die Hoffnung kann aus dem etwas Sinnvolles und Ausreichendes machen, was rational bedacht zu wenig, unvernünftig oder naiv ist.

Claudio Ettl arbeitet in Nürnberg als theologischer Referent.
Claudio Ettl arbeitet in Nürnberg
als theologischer Referent. 

Eine Deutung dieser Stelle könnte sein: Zuerst dachten die Jünger, dass sie nur fünf Brote und zwei Fische haben. Dann haben sie eingesammelt, was alle mitgebracht haben, und es ist doch mehr als genug. 

Ja, das ist eine Deutung, die man immer wieder hört. Eine solche Interpretation macht die Stelle zu einem Beispiel menschlicher Solidarität. Ich finde es aber spannender, den Text als Hoffnungsgeschichte zu lesen, die Gott nicht außen vorlässt. Angesichts einer Situation, in der wir glauben, dass wir immer nur zu wenig tun können, können wir trotzdem auf Gott vertrauen und aktiv werden. Als Christen gibt es für uns in scheinbar ausweglosen Situationen diese Hoffnung, dieses Trotzdem: Lasst uns mit dem, was wir haben, anfangen und sehen, was daraus werden kann. Jesus sagt über die Brote und Fische: „Bringt sie mir her!“ Aus diesem kleinen Anfang wird am Ende sogar mehr, als notwendig ist.

In der Kirche engagieren sich viele Menschen, um in Notlagen zu helfen. Etwa die Eine-Welt-Kreise, die auch viel zu wenig tun können, um große Not zu lindern. Was heißt diese Erzählung für ein solches Engagement?

Die erste Botschaft ist: Kein Beitrag ist zu gering. Was ändert sich wirklich, wenn ich meinen Konsum umstelle, auf Billigfleisch verzichte und Biofleisch kaufe? Rational sind das berechtigte Fragen. Aber: Es ist ein Anfang. Das ist der Impuls der Geschichte: Jeder Schritt ist ein Schritt, der zeigt, dass es auch anders geht. Diese Geschichte wird hier erzählt: Jesus zeigt, es geht anders, als ihr erwartet habt. Das ist kein Vorwurf, sondern ein Zuspruch: „Habt Vertrauen!“ Jede noch so kleine Aktion, wie der Eine-Welt-Verkauf nach dem Gottesdienst, ist ein Anfang und ein Zeichen der Hoffnung als Christ, dass auch das Wenige zur Veränderung beiträgt.

Ich kann also solche kleinen Anfänge machen in der Hoffnung, dass sich daraus etwas entwickelt?

Genau. Es gibt aber keine Garantie. Hoffnung heißt ja, dass ich es nicht in der Hand habe. Aber für uns als Christen ist diese Hoffnung mehr als ein schwacher Schimmer. Wenn wir ernst nehmen, dass Gott unsere Hoffnungen, Ängste und Sorgen kennt, können wir unsere Hoffnung als Basis für unser Handeln nehmen. Nicht die Hoffnung, die zuletzt stirbt, sondern die Hoffnung, die uns motiviert. Das wird in der Bibelstelle sehr großartig dargestellt: Es sind unvorstellbar viele Menschen, anschließend bleiben dennoch zwölf Körbe übrig. Also ein wirklich großes Geschehen, was sich aber auch auf eine ganz konkrete Haltung im Kleinen beziehen kann. Gebt die Hoffnung dazu und schaut, was wird. 

Kennen Sie Beispiele?

Nehmen Sie die Textilindustrie. Da war vieles wirklich schlimm. Es gab diese schlimmen Unglücke in Bangladesch. Dann fingen immer mehr Menschen an, sich beim Kleiderkauf Gedanken zu machen. Wir sind heute einen Schritt weiter: Der Mindestlohn für die Näherinnen ist gestiegen. Es hat positive Veränderungen gegeben. Wir sind noch nicht am Ziel, aber die Situation ist besser geworden. Und begonnen hat es, weil Verbraucher zunehmend Fragen gestellt haben. Das war am Anfang genauso irreal. Aber es ist ein langer Weg. So Knall auf Fall wie in der Wundergeschichte verändert sich die Welt leider selten.

Um die Hoffnung nicht zu verlieren, brauche ich auch einen langen Atem.

Ja. Das zeigen uns die Evangelien auch: Jesus ist ständig auf dem Weg. Auch im Alten Testament findet sich dieses Bild. Wir sind unterwegs. Wir sind noch nicht am Ziel, sondern müssen immer wieder aufbrechen und suchen. Der lange Atem gehört dazu und trotzdem kann es plötzliche Überraschungen geben.

Interview: Ulrich Waschki