Interview mit dem nigerianischen Kardinal Onaiyeka

Keine Religion soll über einer anderen stehen

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In Lindau am Bodensee findet die zehnte Weltversammlung von "Religions for Peace" statt. Erstmals ist Deutschland Gastgeber. Einer der Teilnehmer ist der nigerianische Kardinal John Onaiyekan. Im Interview spricht der Erzbischof des Hauptstadtbistums Abuja über seine Erwartungen.

Foto: kna/Harald Oppitz
Die unterstützen, die sich für den Frieden stark machen: Kardinal John Onaiyekan nimmt an der multireligiösen Konferenz Religions for Peace in Lindau am Bodensee teil. Foto: kna/Harald Oppitz


Herr Kardinal, wie viele Teilnehmer werden zu der bevorstehenden zehnten Weltversammlung von "Religions for Peace" erwartet?
Beim letzten Mal hatten wir in Wien rund 700 Teilnehmer. Dieses Mal in Lindau sind es bis zu 900. Der Name sagt schon alles: Es sind Menschen, die davon ausgehen, dass Religionen für den Frieden arbeiten. Sie nehmen die Religion sehr ernst und sehen ihr Potenzial. Manchmal hat die Religion auch Erfolgsgeschichten geschrieben.


Welche Rolle spielt Religion heute im Alltag?
Die Erhebungen des US-Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center haben gezeigt: Trotz des Wandels in modernen Gesellschaften und den Stimmen jener Menschen, die Religion herabwürdigen, nehmen 75 bis 80 Prozent der Befragten ihre Religion sehr ernst. Für das Treffen in Lindau heißt das: Selbst für Menschen im Jahr 2019 vermittelt die Religion wichtige Werte.


Das kann aber auch negative und extreme Folgen haben.
Ja, Religion kann in die eine oder andere Richtung führen. Sie kann Frieden bringen, aber auch Menschen ausschließen. Wenn sich eine Religion über die andere stellt, vergiftet das die ganze Situation. Wir, die wir führende Positionen haben, müssen das ernst nehmen. Wir müssen mehr dafür tun, damit Religion nicht im negativen Sinn genutzt wird. Es reicht nicht aus, dass wir uns treffen, uns gegenseitig anlächeln und sagen: Religion ist etwas Wundervolles. Wir müssen überlegen, wie wir mit Vorurteilen und starken Emotionen umgehen.


Was bedeutet das konkret für das Treffen in Lindau?
Wir treffen uns etwa alle vier Jahre. Ich kenne keine andere Veranstaltung, die so viele religiöse Meinungsführer mehrere Tage zusammen bringt. Wir können sehr frei und ernsthaft miteinander sprechen. Das ist unsere Stärke. Es ist keine Zusammenkunft von Repräsentanten, sondern von Vertretern verschiedener Religionen, die eine gewisse Autorität haben. Für mich als Kardinal heißt das: Ich repräsentiere nicht den Vatikan. Das macht jemand, den wir aus dem Vatikan nach Lindau eingeladen haben.


Immer wieder wird die Frage von Religionsfreiheit diskutiert. Wird das in Lindau eine Rolle spielen?
Heutzutage wird darüber generell oft gesprochen. Dabei müssen wir uns fragen, was das konkret bedeutet und wie es funktioniert. Wichtig ist es, selbst Raum zu haben und anderen Raum zu geben.


Wird es gelingen, solchen Themen mit mehreren hundert Teilnehmern gleichzeitig zu diskutieren?
Es gibt viele Möglichkeiten für inoffizielle Kontakte. Das können auch Menschen nutzen, die offiziell im Konflikt sind, gleich, ob die Ursache dafür religiös bedingt ist oder nicht. Gerade wenn ersteres der Fall ist, sind wir sehr daran interessiert, eine friedliche Lösung zu finden.


Bedeutet das konkret, dass beispielsweise Vertreter aus der Zentralafrikanischen Republik miteinander ins Gespräch kommen werden?
Wir hoffen sehr, erfolgreich zu sein und die verschiedenen Konfliktparteien zusammen zu bringen. Dabei müssen auch immer die Hintergründe für Konflikte analysiert werden. Wichtig ist außerdem, jene zu unterstützen, die sich für den Frieden stark machen. Oft haben sie kaum Ressourcen dafür und werden auch nicht gehört. Lindau muss diesen Menschen eine Stimme geben. Das betrifft nicht nur die Zentralafrikanische Republik, sondern auch die Entwicklungen in Nordafrika, im Sudan, im Südsudan. Ich hoffe, dass es auch Gespräche zu Myanmar und den Rohingya gibt.


Was heißt das für den Umgang mit der nigerianischen Terrormiliz Boko Haram?
In Lindau werden wir sicherlich auch darüber sprechen. Für Nigeria gilt aus meiner Sicht: Wir müssen versuchen, einen Kontakt mit jenen, die heute gerne Banditen genannt werden, aufzubauen. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Regierung das versucht. Immer wenn ich höre, dass 50 oder 100 Terroristen erschossen worden sind, frage ich mich: Wie lange sollen noch mehr Menschen umgebracht werden? Es sind überwiegend unsere Landsleute. Wir müssen also mehr darüber wissen, auch, wer wirklich dahinter steckt. Ich finde, dass man viel mehr machen könnte.


Weshalb engagieren Sie sich für "Religions for Peace"?
Ich war ein junger Bischof in Ilorin, einer Stadt, in der sehr viele Muslime leben, als Kardinal Francis Arinze mit mir darüber sprach. Er war damals Präsident des Päpstlichen Rates für interreligiösen Dialog in Rom und war von "Religions for Peace" zu einer Konferenz eingeladen worden. Wegen seiner Position konnte er nicht direkt mitarbeiten, empfahl mir als Bischof aber, mich einzubringen. Ich nahm an der nächsten Weltkonferenz in Amman teil - und bin heute einer der vier Moderatoren innerhalb dieses Zusammenschlusses.

kna