Über das „die Kirche im Dorf lassen“
„Kirchort“ ist nicht nur Trostwort
Was ist wesentlich für die Kirche 2030? Heute geht es in unserem „kleinen ABC der Kirchenentwicklung“ um den so verschieden gebrauchten Begriff des „Kirchortes“. Sicher ist: Es geht um weit mehr, als die Kirche im Dorf zu lassen. Von Johannes Becher.
Wer kennt ihn nicht, den Ausspruch, man solle oder wolle doch jetzt mal „die Kirche im Dorf lassen“? Was ist gemeint? Nicht abhaben, schön auf dem Teppich bleiben. Also ursprünglich positive Eigenschaften wie Bodenhaftung und Bescheidenheit.
Wer heute im Raum der Kirche davon spricht, man möge doch bitte die Kirche im Dorf lassen, der meint das nun nicht mehr sprichwörtlich, sondern ganz gebäude-echt. Das Gotteshaus, die Dorfkirche soll erhalten bleiben – liturgisch belebt mit Gottesdienst und frommer Feier.
Da liegt es nahe, dass es mancherorts beim Gründen neuer pastoraler Verbünde, Räume, Gemeinschaften oder Pfarreien zur Wortbildung „Kirchorte“ gekommen ist. Ein Trostwort! Es soll deutlich machen, dass es auch in größeren Pfarrräumen weiterhin Dorfkirchen gibt. Wo eine solche genutzt wird, existiert also ein „Kirchort“ alter Prägung im neuen Gefäß der Großpfarrei. Oder in bürokratischem Strukturendeutsch: Mit „Kirchort“ ist hier eine selbstständige Kirchengemeinde in einer Großpfarrei gemeint.
Für forschere Denker auf dem Feld der modernen „Kirchenentwicklung“ ist dieses rein bewahrend-beschwichtigende Agieren der falsche Ansatz. Rückständig im Wortsinn. Wenn zum Beispiel Dr. Christian Hennecke, einer der Motoren der Kirchenentwicklung in Deutschland, von „Kirchorten“ spricht, dann meint er: „Orte, an denen erfahrbar wird, dass Gottes Gegenwart hier wirkt; dass andere merken, dass sie hier leben können.“
Hennecke spricht deshalb lieber von „Segensorten“. Vor allem wegen der Weite, die sich in diesem Begriff spiegelt. „Eigentlich kann jeder Ort ein Kirchort sein“, sagen seine Mitarbeiterinnen: Einrichtungen der Caritas, katholische Schulen oder Kindergärten, aber auch die Familie, der Hauskreis, eine Parkbank oder der Sportplatz. Und natürlich auch das Kirchengebäude selbst.
Ein Denken, dass in deutschen Bistümern längst Schule macht. Wo Kirche so verstanden wird, da geht es weniger um Gebäude und Strukturen, sondern um Lebendigkeit. Klar: an einem Kirchort soll sich „Kirche ereignen“, wie es im Pastoralsprech tönt. Wo in Jesu Namen zwei oder drei versammelt sind, da lässt sich Gott erfahren, da wird Glaube spürbar, da ist Kirche. Manche Bistümer – zum Beispiel Fulda – sprechen deshalb lieber von einem „Netzwerk pastoraler Orte“. Ein „Kirchort“ ist dann quasi ein Knoten im Netzwerk. Und das ist weit mehr als ein schwacher Trost.