„Klaps auf den Po ist nicht okay“
Eine gespielte Szene sagt oft mehr aus als viele Worte. Deshalb haben die Kinder Samuel (9 Jahre) und Ann-Sophie (10 Jahre) aus Großentaft ein Theaterprojekt verwirklicht. Ihr Thema: Das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung.
Eine Szene, wie sie sich hundertfach in deutschen Familien abspielt: Zwei Kinder sitzen im Wohnzimmer am Tisch und machen ihre Hausaufgaben. So beginnt eine Videosequenz, die bei dem Theaterprojekt erstellt wird. Vater und Mutter sind genervt und beginnen zu streiten – konkret über den nicht aufgeräumten Tisch, an dem der Junge und das Mädchen sitzen. Nach verbalen Attacken wird der Vater handgreiflich. Erst „fegt“ er Gegenstände wie Papier und anderes mit seinem Arm von dem Möbelstück. Als der Sohn protestiert und sich diese Gewalteskalation verbittet, droht er, auch ihm gegenüber handgreiflich zu werden, wird aber daran gehindert von der Mutter. Soweit ein Einblick in die Videosequenz beziehungsweise die dargestellte Szene.
Gewalt gegen Kinder wie die oben dargestellte – vor 50 oder 60 Jahren war das noch an der Tagesordnung. „Bis in die Neuzeit waren Kinder in praktisch allen Kulturen das Besitztum ihrer Eltern beziehungsweise der Familien und ohne irgendwelche eigenen Rechte“, betont Melanie Möller. Die Referentin beim Kolpingwerk des Bistums ist die Mutter von Kinderrechts-Reporter Samuel. Dieses Bild habe sich im 20. Jahrhundert verbessert – durch die Vereinten Nationen. „In Deutschland gibt es seit nunmehr 30 Jahre Kinderrechte, die jedem Kind zustehen – von Geburt an!“, so Möller.
„Für eine gute Entwicklung der Kinder ist neben der Grundlagen, die durch den Staat geschaffen werden, aber auch unser Wertesytem entscheidend“, ist Möller überzeugt. Diese Werte seien wie Wegweiser auf dem Lebensweg. „Der christliche Glaube stellt die Grundlage für unser soziales Handeln und soziale Normen dar und wirkt sich direkt auf die Entwicklung der Kinder aus, die so eine ganze Gesellschaft prägen“, ist Melanie Möller überzeugt.
Deutschland: Situation von Kindern gut – aber verbesserungswürdig
Die Situation von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist für die Kolping-Referentin vermutlich so gut wie noch nie zuvor. Aber: „Dennoch werden Kinderrechte auch in Deutschland tagtäglich verletzt. Die Lage ist in vielen Bereichen verbesserungsfähig.
In Deutschland soll wie in den anderen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen nun herausgefunden werden, wie Kinder und Jugendliche selbst die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland bewerten. Die National Coalition Deutschland, ein Netzwerk von derzeit 120 deutschen Organisationen, wurde von unserer Bundesregierung beauftragt, einen Kinderrechte-Report aus Sicht der Kinder zu erstellen (siehe „Zur Sache“). Es ist der Zweite in der Geschichte (siehe „Zur Sache“). An dem Mitmachprojekt beteiligen sich elf Teams, Ann-Sophie und Samuel als einziges Team aus dem Bistum. „Ich setzte mich für Kinderrechte ein, weil ich möchte, dass Kinderrechte überall eingehalten werden und dass kein Kind mehr Gewalt erfahren muss“, beschreibt Samuel seine Motivation.
Für Daniela Vögler, Mutter von Ann-Sophie, steht fest: „ Es macht eine entscheidende Veränderung, ob die Kinder eine Kinderrechtsverletzung ‚nur‘ empfinden oder sie tatsächlich um ihre Rechte wissen. Im Bewusstsein in ihrem Wissen um die Rechte, können sie diese auch aktiv einfordern.“ So kam es beispielsweise in dem Projekt vor, dass die Kinder einen Spieleabend forderten. Begründung: Sie hätten das Recht auf Freizeit und Spiel.
Gegenstand des Projekts von Samuel und Ann-Sophie war Artikel 19 der UN-Kinderrechtskonvention: das Recht auf gewaltfreie Erziehung. Unterstützt wurden und werden die beiden durch Theater-/ und Sozialpädagoge Bernd Krieg. „Ich war sofort begeistert von der Idee. Theater ist meine große Leidenschaft. Besonders spannend war das Projekt für mich, da ich mich auf die Ideen der Kinder einlassen wollte und ich im Vorfeld nicht wusste, welche Ergebnisse aus dem Projekt resultieren.“
Drehbuch wurde nach dem Wunsch der Kinder geschrieben
Die beiden Kinderrechtereporter hatten für einen Projekttag weitere Kinder ihres Alters eingeladen. Dabei präsentierten beide Kinder mit Bernd Krieg und Theaterkollegin Anna-Lena Kommer die bereits erwähnte alltägliche Szene einer Familie mit unterschiedlichen Gewaltansätzen.
Nach der Spielszene erarbeiteten Samuel und Ann-Sophie mit den Kindern Ideen und mögliche Lösungsansätze, wie Erwachsene Erziehung besser machen können. Im zweiten Teil des Projekttheaters entstand eine neue Szene, bei der die Ideen der Kinder eingearbeitet und gespielt wurden.
Aus der gemeinsamen Arbeit resultierten Forderungen: „Alle Kinder sollen ihre Rechte kennen“ sagt Samuel, „damit sie wissen, was okay ist und was nicht“. Ann-Sophie fügt hinzu: „Noch immer wird jedes sechste Kind in Deutschland geschlagen. Das ist zuviel! Ich möchte, dass das weniger werden!“ Und noch einen dritten Wunsch haben die Kinder: „Auch ein kleiner Klaps auf den Po ist nicht in Ordnung. Wir möchten, dass das alle wissen und danach handeln.“
Zur Sache: Report zu Kinderrechten
Bei dem Kinderrechte-Report geht es darum, dass sich Kinder und Jugendliche aktiv an der Berichterstattung zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention an die Vereinten Nationen beteiligen. Bei der Berichterstattung gibt es den Staatenbericht aus Sicht der Bundesregierung, den Ergänzenden Bericht der Zivilgesellschaft und den Kinderrechtereport aus Sicht von Kindern und Jugendlichen.
Dieser Bericht besteht vor allem aus zwei Bausteinen. Zum einen gibt es eine breit angelegte Umfrage, um möglichst viele Kinder und Jugendliche in ganz Deutschland zu erreichen. Zum anderen gibt es eigenständig durchgeführte Projekte von Kindern und Jugendlichen. Die Themen und die Umsetzung dieser Projekte sehen sehr unterschiedlich aus. Es gibt Filme und Umfragen, es wurde eine Kinderrechte AG und ein Kinder- und Jugendparlament initiiert und vieles mehr. Eines dieser Projekte ist auch das Theaterprojekt von Ann-Sophie Vögler und Samuel Möller.
In Berlin fand jüngst das zweite Arbeitstreffen zu diesen Projekten statt. Beim ersten Treffen im April haben die Kinder und Jugendlichen zum einen viele Informationen erhalten und zum anderen ihre Projekte geplant und vorbereitet. Nun wurden die Projekte in ihrer Vielfalt und Einzigartigkeit vorgestellt.
www.kinderrechtereport.de