Lebenskunstabend in Surwold

Künstlerinnen zeigen Vielfalt

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Eine Frau steht in einer Kirche am Ambo, neben ihr ein Kunstwerk.
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Foto: Ayleen Over

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Vera Butterweck-Kruse erzählt von ihrer Tochter. Foto: Ayleen Over

Mit Gemälden, Musik und Literatur interpretierte das Künstlerinnenkollektiv „Lebenskunst“ in Surwold das Thema Vielfalt. Dabei ging es vor allem um die Geschichte eines Mädchens mit Trisomie 21.

Vera Butterweck-Kruse genoss ihre Schwangerschaft. 2014 erwartete sie mit ihrem Mann Lars das dritte Kind. Auch die Geburt per Kaiserschnitt verlief problemlos. Doch als ihr die Krankenschwester ein Bild des Neugeborenen brachte, war die junge Mutter beunruhigt. Die Augen ihrer Tochter sahen irgendwie anders aus, da stimmte etwas nicht. „Nein, das kann nicht sein, da ist nichts, ich bin nur durcheinander“, beschreibt Vera Butterweck-Kruse ihr Gefühlschaos. 

Die Besucher eines Lebenskunstabends in St. Josef Surwold hören aufmerksam zu, während Gastrednerin Butterweck-Kruse von ihrer Tochter Anna erzählt. Das Mädchen kam überraschend mit Trisomie 21, auch Down-Syndrom genannt, zur Welt. Anna ist anders als andere Kinder, aber auch ein Beispiel dafür, wie vielfältig Menschen sind. Vielfalt – dieses Thema greift das Künstlerinnenkollektiv „Lebenskunst“ an diesem Abend auf. 

Im Gemälde zeigt sich die Vielfalt der Emotionen 

Viele Interessierte kommen in die Kirche St. Josef. Kerzen brennen, einige Gemälde stehen auf Staffeleien verteilt im Kirchenraum. Der Chor St. Cäcilia Lehe singt. Wer sich für Vielfalt einsetze, sagt Moderatorin Maria Butterweck, erweitere auch den Dialog mit Gott. „Ich bin da“ lautet der Titel der Veranstaltung, er bezieht sich auf den Ruf Samuels, „Hier bin ich“, und verweist ebenfalls auf die Vielfalt zu Gott.  

Vier Frauen stehen vor einer Kirche
Das Künstlerinnenkollektiv "Lebenskunst" befasste sich mit dem Thema Vielfalt.

Zunächst geht es um das Gemälde „Vielfältiges Du“ von Silvia Gerbrand, der Malerin im Künstlerinnenkollektiv. Zu sehen ist eine blühende rote Rose in der Bildmitte. Sie wird von zwei Händen umschlossen. Rund um die Rose sind Gesichter abgebildet: traurige, wütende, nachdenkliche. Kunst, sagt Silvia Gerbrand solle zum Nachdenken anregen. Zugleich habe sie den Vorteil, immer wieder anders interpretiert werden zu können. In ihrem Gemälde kommt die Vielfalt der Emotionen zum Ausdruck. Die Gesichter stehen stellvertretend für unsere Gesellschaft und unsere Gefühle. Die Rose, erklärt sie, sei vor allem das Symbol der Liebe, aber auch von allem Schönen in unserem Leben. Die Dornen an der Rose können wehtun – so wie auch Vielfalt schmerzen kann.   

Auch Doris Brinker greift in ihrem selbstverfassten Text die Dornen auf. „So wie ich bin, bin ich gut“, beginnt sie und erzählt in lyrischer Form, wie es hilft, die Dornen und die negativen Seiten im Leben zu akzeptieren und so zum lebendigen Kern des Seins zu gelangen. „Im Kern sind wir alle vollkommen. Wenn wir dies verinnerlichen, sind wir alle wunderschön“, schließt Doris Brinker ihre Gedanken ab. 

Als die Ärzte Vera Butterweck-Kruse mitteilten, dass ihre Tochter Anzeichen für Trisomie 21 zeige, bekam sie Angst und sorgte sich um die Zukunft von Anna. „Ich fragte mich: Wird sie jemals selbstständig sein, arbeiten, einen Freund haben?“ Während Anna auf der Intensivstation untersucht wurde, hatte sie zwiespältige Gefühle – die Freude über die Geburt der Tochter, aber auch das bange Warten auf Antworten. 

„Viele sind uns aus dem Weg gegangen“

Zunächst behielten sie und ihr Mann die wahrscheinliche Diagnose für sich. Es wurde nicht nur Trisomie 21 festgestellt, sondern auch ein Herzfehler, der ab dem dritten Lebensmonat operiert werden musste. Dass sie sich für einen Kaiserschnitt entschieden hatte, rettete vermutlich Annas Leben. „Es zeigte mir auch, dass auf Mütter gehört und ihre Gefühle ernst genommen werden sollten“, sagt Butterweck-Kruse.  Der Alltag der Familie veränderte sich. Vor allem die Reaktionen in ihrem Umfeld machten Vera Butterweck-Kruse zu schaffen. „Viele sind uns aus dem Weg gegangen, haben ihren Kopf gesenkt oder weggeguckt, andere hatten Mitleid“, beschreibt sie die Zeit. Dabei sei Anna gar kein Problem, sondern ein großes Glück. „Sie lacht so lange, bis alle anderen auch lachen“, erzählt sie stolz.  

Die Farben stehen für Annas Lebensmut

Silvia Gerbrand lernte Anna bereits vor einigen Jahren kennen. Im Auftrag der Familie sollte sie nach einer Fotovorlage ein Gemälde von Anna anfertigen. Doch nachdem sie das Mädchen erlebt hatte, überarbeitete sie das Bild noch einmal komplett. „Anna ist einfach Anna, einzigartig, lebendig, authentisch, witzig“, erzählt sie. Das Ergebnis steht auf einer  Staffelei am Altar: ein lächelndes blondes Mädchen im blauen T-Shirt. Pusteblumen und Seifenblasen stehen für Leichtigkeit, die Farben im Hintergrund für Annas  Lebensmut. Natürlich sei ihr bewusst, dass es trotz aller schönen Momente nicht leicht sei, ein Kind mit einer Behinderung großzuziehen, sagt Malerin Gerbrand. „Aber jeder Mensch kann und soll mit seiner eigenen Vielfalt das Leben anderer bereichern.“ 

Doris Brinker geht in ihrem Text „Du bist da“ auf den Zwiespalt der Gefühle ein – auf die Freude über das Kind, dass wie alle anderen scheint und doch anders ist als erwartet. Moderatorin Maria Butterweck ergänzt diese Worte um die Bedeutung des Ja-Sagens zum Leben. „So, wie ich bin, bin ich gut, weil ihr Ja gesagt habt“, trägt sie vor. Unter der Leitung Christa Dickebohms trägt der Chor aus Lehe zwei weitere Lieder vor, anschließend spendet Doris Brinker einen Segen, in dem die „umfassende Liebe den Blick differenzieren und das Herz öffnen“ soll. 

Ayleen Over