Ehrenamt in der Schule

Lesepaten wecken Leselust

Kind und Erwachsener schauen in ein Buch

Foto: Claudia Sturm

Ehrenamtliche Leselernhelfer fördern parallel zum Unterricht einzelne Schülerinnen und Schüler.

Dieses Ehrenamt hat Günter Baum gern übernommen: In der Drei-Religionen-Schule in Osnabrück arbeitet der pensionierte Pastor mit Kindern an ihrer Lesefähigkeit – parallel zum Unterricht. Der Bedarf an solchen Leselernhelfern ist groß.

„Katrin bringt eine Kiste in den Keller.“ Der Erstklässler liest diesen Satz langsam und konzentriert vor. Günter Baum, Lesepate an der Drei-Religionen-Schule in Osnabrück, will wissen: „Habt ihr denn auch einen Keller zu Hause?“ Das Kind schaut ihn mit großen Augen an und fragt: „Was ist denn ein Keller?“ Der 71-Jährige stutzt. „Gut, dass ich nachgehakt habe“, sagt er. Vor allem bei Schülerinnen und Schülern aus Migrationsfamilien hapert es manchmal noch etwas mit der deutschen Sprache. Deshalb achtet Baum darauf, dass diejenigen, mit denen er übt, nicht nur ihre Lesefähigkeit verbessern – also flüssiger lesen –, sondern die Texte auch verstehen.

Seit einem Jahr ist Günter Baum ehrenamtlicher Lesepate. Die perfekte Aufgabe in seinem Ruhestand, findet er. Im Berufsleben war er Pastor der evangelisch-reformierten Gemeinde, außerdem Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Osnabrück – und als solcher auch im Beirat der Drei-Religionen-Schule tätig. Als er hörte, dass an der Grundschule noch Lesepaten gesucht werden, meldete er sich. Schließlich ist er selbst ein begeisterter Leser – und wer etwas mit großer Begeisterung macht, dem gelingt es leichter, das an andere weiterzugeben. Auch in seiner Familie mit acht Enkelkindern ist Baum gefordert. Seiner jüngsten Enkelin in Berlin zum Beispiel liest er manchmal abends per Zoom-Schaltung vor. „Ich halte dann verschiedene Bücher in die Kamera, und sie sucht sich eines aus.“

Lesepate
Günter Baum ist einmal pro Woche an der Drei-Religionen-Schule in Osnabrück im Einsatz. Foto: Thomas Osterfeld

Laut PISA-Studie 2022 schneiden deutsche Schülerinnen und Schüler so schlecht ab wie nie. Im Lesen erreichen sie auf internationaler Ebene nur noch Durchschnittsniveau. Vor allem das Leseverständnis habe gravierend abgenommen, das sei erschütternd, sagt Claudia Sturm, Vorsitzende des Osnabrücker Vereins „Mentor – Die Leselernhelfer“. Denn eine gute Lesefähigkeit sei auch im digitalen Zeitalter wichtig für Bildung, Beruf und gesellschaftliche Teilhabe. Lesen erweitert das Vokabular, erhöht die Rechtschreibkompetenz und fördert das Sprachgefühl. Der Bedarf an ehrenamtlichen Leselernhelfern sei groß – sogar an weiterführenden Schulen seien sie im Einsatz, erklärt Sturm.

Sie füllen eine Lücke und entlasten die Lehrkräfte enorm. Leselernhelfer, meistens Senioren, sind festen Klassen zugeordnet und üben mit einzelnen Kindern parallel zum Unterricht. Das fördert die Sprache und das Verstehen von Wörtern und Texten – in den Grundschulen geschieht das oft auf spielerische Weise. Claudia Sturm, pensionierte Schulrätin im Kirchendienst, freut sich immer wieder über positive Rückmeldungen und hebt das Konzept des Eins-zu-eins-Verhältnisses hervor. „Dadurch haben Kinder die Chance, so zu lesen, wie sie es gerade können. Sie sind vom Gruppendruck befreit und bekommen eine Wertschätzung, die sie zu Hause oft nicht haben.“

Zwei Stunden pro Woche investiert Günter Baum in sein Ehrenamt. Er begleitet als „Anfänger bei den Anfängern“ zwei erste Klassen und „wandert“ mit ihnen durch die Grundschulzeit, sodass er die Kinder gut kennenlernt – und sie ihn. „Kinder empfinden es als Privileg, wenn ein Außenstehender in die Schule kommt“, erklärt Baum. Aus diesem Grund schickt die jeweilige Lehrerin nicht nur Kinder mit Lesebedarf zu ihm, sondern manchmal auch solche, die schon fit sind im Lesen.

Lesen regt die Fantasie an, es entstehen Bilder im Kopf.

Lesen dürfe aber nicht nur Mittel zum Zweck sein, sagt Baum. „Es gibt so schöne Geschichten, die Spaß machen, die die Fantasie anregen. Im Kopf entstehen Bilder.“ Er fragt deshalb auch nach den Interessen und Hobbys der Kinder. Dementsprechend kann er beim nächsten Mal Bücher mit kurzen Textpassagen mitbringen. Und der Lesepate spart auch nicht mit Lob, wenn es mit dem Lesen gut klappt. „Dann glänzen die Augen der Kinder.“

Vorlesen und gemeinsam lesen – das sei das A und O, auch zu Hause, sagt Claudia Sturm. Aber längst nicht jedem Kind wird vorgelesen. 36,5 Prozent der Ein- bis Achtjährigen kommen laut Bildungsstudie „Vorlesemonitor 2023“ der Stiftung Lesen selten bis nie in den Genuss. Zudem gibt es in jeder zweiten Familie höchstens zehn Kinderbücher.

Vorlesen fördert die frühe Sprachentwicklung, etwa mit Blick auf das Vokabular. Durch das Vorlesen bekommen Kinder ein Gefühl dafür, was ein Wort in unterschiedlichen Kontexten bedeutet – ein wichtiger Aspekt, wenn es um das Erlernen von Sprache geht. Der Verein Mentor in Osnabrück stattet seine Leselernhelfer unter anderem mit Ausweisen für die Stadtbibliothek aus. „Dann können sie eine Auswahl an Büchern mit in die Schule nehmen“, sagt Claudia Sturm. Außerdem stellt eine Bibliothekarin bei den Einführungsveranstaltungen für neue Mentoren aktuelle Kinderbücher vor.

Die Lesementoren arbeiten auch mit der „Kunterbunten Kinderzeitung“, die der Mentor-Verein abonniert hat. „Total genial“, schwärmt Claudia Sturm. Zu aktuellen Themen gibt es nicht nur kurze, verständliche Texte, sondern auch Fragen und Rätsel dazu. Schwierige Wörter werden erklärt. „Die Kinder freuen sich immer schon auf die neue Zeitung.“

 

Anja Sabel

Im Verein „Mentor – Die Leselernhelfer Osnabrück“ sind zurzeit 185 Mentorinnen und Mentoren an 45 Schulen in Stadt und Landkreis Osnabrück tätig. Die Idee geht zurück auf den Buchhändler Otto Stender, den die ersten PISA-Ergebnisse so erschreckt hatten, dass er die Mentor-Bewegung 2003 in Hannover ins Leben rief. Heute gibt es bundesweit rund 130 Vereine. Ehrenamtliche Leselernhelfer müssen nicht pädagogisch vorgebildet sein, sollten aber Freude am Lesen mitbringen.