Weltfrühgeborenentag am 17. November

Licht und Schatten einer Frühgeburt

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Neben einem Kuscheltier liegen ein kleiner und ein großer Schnuller
Nachweis

Foto: Jasmin Lobert

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Nach seiner Geburt konnte Mattis mit seinem Kuscheltier zugedeckt werden. Den kleinen Schnuller bekommt er als Frühgeborenes. Rechts daneben liegt ein Schnuller eines gesund gereiften Neugeborenen. Foto: Jasmin Lobert

Von heute auf morgen verändert sich das Leben von Marina Hauke. Sie erlebt eine Frühgeburt, ein unerwarteter Schock. Viele Baustellen erschweren ihrem Sohn Mattis den Start ins Leben. Am 17. November wird der Weltfrühgeborenentag begangen. In Osnabrück werden an diesem Tag einige öffentliche Gebäude, unter anderem das Christliche Kinderhospital, mit lilafarbenem Licht angestrahlt.

Marina Hauke ist in der 29. Schwangerschaftswoche, dem Baby geht es gut. Alle Werte sind in Ordnung. Am 14. Februar 2016 geht sie noch neun Kilometer am Ostseestrand auf einem Kurzurlaub mit einer Freundin spazieren. Doch schon während des Wochenendes fällt ihr auf, dass sich das Baby in ihrem Bauch wenig bewegt. Sie beschleicht das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung ist. Wieder zu Hause in Fürstenau, im Landkreis Osnabrück, geht sie zum Frauenarzt. Ihr Arzt untersucht sie, wird still und sagt ihr schließlich, dass er sie in das Klinikum Osnabrück einweisen werde. Dort muss sie auf die Kinderintensivstation, die eine Außenstelle des Christlichen Kinderhospitals Osnabrück (CKO) ist.

Vor Ort wird sie gründlich durchgecheckt. „Ich war dreimal beim Wehenschreiber, vier Frauenärzte haben mich untersucht und keiner wusste, was los ist. Alles sah gut aus. Das Herz schlug, es war alles zu sehen, nur das Kind bewegte sich nicht“, erzählt Marina Hauke, während ihr Tränen über die Wange laufen. Eine Ärztin sagt zu ihr: „Ihr Kind ist krank, aber ich sehe nicht, was es hat.“ Marina Hauke reagiert sofort: „Dann müssen wir es holen.“ Sie erinnert sich noch daran, dass sie auf dem Weg zur OP eine Bekannte traf und zu ihr sagte: „Mein Baby kommt jetzt, und ich weiß nicht, ob es überlebt.“ Eine halbe Stunde später ist das Kind auf der Welt. „Noch im Operationssaal haben mich ganz viele Leute gefragt: ‚Wie soll er denn heißen?‘ Aber das wussten wir noch gar nicht. Der Zeitpunkt, sich darüber Gedanken zu machen, ist noch nicht dagewesen“, berichtet Marina Hauke.

Er war gerade einmal so groß wie sein Kuscheltier

Nach der Geburt stellt sich heraus, dass ihr Sohn Wassereinlagerungen im Kopf, einen offenen Rücken und eine nicht durchgängig entwickelte Speiseröhre hat. Ein offener Rücken kommt häufig bei einer Trisomie vor, also bei einer genetischen Veränderung. Die Ärzte gehen auch bei ihrem Sohn von einer Trisomie aus. Die Überlebenschancen sind vor allem bei einer Trisomie 18 gering, deshalb soll zunächst das Testergebnis abgewartet werden, bevor weitere Operationen geplant werden. Vier Tage warten und bangen die Eltern. 

Innerhalb dieser Tage muss Marina Haukes Mann zum Standesamt fahren, um das Kind anzumelden. In dieser Situation sagt er zu ihr: „Oh Gott, heute muss ich mein Kind anmelden und morgen fahre ich vermutlich wieder hin, um es für tot erklären zu lassen.“ Als ihr Mann gerade aufgebrochen ist, kommen viele Ärzte in ihr Zimmer und erklären ihr, dass das Kind nun doch operiert werden müsse, weil der Magen die künstliche Beatmung nicht aushalte. „16 Stunden nach der Geburt wurde der kleine Mann operiert, dabei war er gerade einmal so groß wie sein Kuscheltier“, erzählt Marina Hauke. „Man vertraut den Ärzten einfach, man muss ihnen vertrauen. Man hat ja keine andere Wahl.“ Zu dem Zeitpunkt ist ihr Sohn mit 1200 Gramm das zweitkleinste Baby, dass in Osnabrück operiert wurde.

In diesen ersten Tagen steht das Kind auf der Kippe. Als gläubige Eltern sind sie froh, dass der damalige Pfarrer Hubert Schütte aus ihrer Heimatpfarrei am Tag nach der Operation eine Nottaufe spendet. Mit einem Lächeln erinnert sich Marina Hauke daran: „Da stand dieser zwei Meter große Mann und sagte: ‚Ich habe das auch noch nie gemacht, ich weiß nicht genau, ob ich das Wasser nehmen darf?‘ Und wir standen da zusammen mit den Schwestern und es war einfach nur schön. Das war uns sehr wichtig, dass er da getauft wurde.“

Eine Kindheit voller Operationen und Krankenhausaufenthalte

Am dritten Tag nach der Geburt kommt die erlösende Nachricht. Bei ihrem Sohn Mattis liegt keine Trisomie vor. Damit können alle weiteren Operationen geplant werden. Die Speiseröhre muss geschlossen und der offene Rücken operiert werden. Kein leichtes Vorhaben. Britta Zobel, Kinderärztin, Fachärztin für Kinderlungenheilkunde sowie Kinderpneumologie und Oberärztin der Kindertagesklinik am CKO, erzählt: „Die OP am Brustkorb, um die Speiseröhre zu schließen, ist technisch sehr aufwendig. Bei Mattis ist sie jedoch unkompliziert verlaufen.“ Sie ergänzt: „Auch wenn Mattis mehrere Baustellen hatte, war klar, dass hier eine Maximaltherapie erfolgen wird.“ 

Mattis ist knapp eineinhalb Monate auf der Kinderintensivstation. Allerdings kehrt auch danach wenig Ruhe ein. Die Kindheit von Mattis ist geprägt von Krankenhausaufenthalten, Operationen und Therapie. Bis heute hat Mattis über 50 stationäre und ambulante Aufenthalte im CKO hinter sich. „Für Mattis war Corona das Beste, was passieren konnte. Das muss man einfach so sagen“, berichtet Marina Hauke. „Es waren weniger Kinder im Kindergarten, es wurden Masken getragen, die Hände gewaschen und desinfiziert. Für uns war das der erste Winter ohne Krankenhausaufenthalt.“ 

Mittlerweile sind Mattis Startschwierigkeiten ganz gut unter Kontrolle. Zwar hat er durch die künstliche Beatmung Asthma entwickelt und darüber hinaus Probleme mit Lungenentzündungen und Infekten, aber an sich lebt er ein normales und glückliches Leben. Die Ärztin Britta Zobel, die Mattis seit 2018 behandelt, ist guter Dinge: „Manchmal kann sich der Alterungsprozess vorteilig auswirken. Ich bin guter Hoffnung, dass das auch bei Mattis so sein wird.“ Und: „Mattis hat das Glück, dass er sehr führsorgliche Eltern hat. Sie machen wirklich alles, damit das Kind die optimale Therapie erhält. Mattis ist wie eine kleine Pflanze, die von ihren Eltern gut versorgt wird und nun prächtig gedeiht.“ 

Drei Frauen stehen nebeneinander und halten einen Elefanten aus Stoff in der Hand
Nicola Santel, Marina Hauke und Anika Woltering (v.l.) mit ihrem Maskottchen "Elmar". Foto: Jasmin Lobert

Über ihre Hebamme Nicola Santel erfährt Marina Hauke von einer weiteren Mutter, die ein Frühgeborenes bekommen hat. Um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen, beschließen die drei Frauen, sich zu treffen. Damit ist im Jahr 2017 der Grundstein für die seit 2019 offiziell bestehende Selbsthilfegruppe „Elmar“ gelegt worden, die in Fürstenau ansässig ist. Elmar steht für „Eltern mit außergewöhnlichen Rackern“. Um die organisatorischen Dinge der Selbsthilfegruppe kümmern sich derzeit Nicola Santel, Marina Hauke und Anika Woltering. 

Auch Anika Wolterings Sohn kommt zehn Wochen zu früh auf die Welt. Im Unterschied zu Marina Hauke muss Anika Woltering vor der Geburt einige Zeit im Krankenhaus verbringen. Mit Wehenhemmer und wenig Bewegung kann die Geburt um sieben Wochen verzögert werden. „Ohne den Rückhalt der Familie hätte ich das definitiv nicht so lange ausgehalten“, berichtet Anika Woltering. Im Gespräch betonen die Mütter, wie sehr ihnen der Austausch in der Selbsthilfegruppe geholfen hat, um ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Sowohl Anika Woltering, als auch Marina Hauke haben nach ihren Frühgeburten noch ein weiteres, gesundes Kind zur Welt gebracht. Die Selbsthilfegruppe hat ihnen geholfen, Mut für diese Entscheidung zu fassen.

Die Gruppe trifft sich regelmäßig zum Stammtisch, zu Vorträgen und zu besonderen Aktionen. In diesem Jahr feierten sie ein Sommerfest mit knapp 30 Familien. Mittlerweile finden sich in der Gruppe nicht nur Eltern von Frühgeborenen, sondern die ganze Bandbreite an „außergewöhnlichen Rackern“. Einige der Kinder haben Seh- oder Hörbeeinträchtigungen, das Down-Syndrom oder andere Behinderungen. „Alle Eltern sind bei  uns willkommen“, sagt Marina Hauke. „Jeder hat seine Geschichte und jedes Gefühl hat seine Berichtigung.“ Bei den Gruppentreffen haben alle schon viel gelacht, zusammen geweint, sich ausgetauscht und Tipps gegeben. Marina Hauke sagt: „Aus dem, was uns allen passiert ist, machen wir gemeinsam etwas Positives.“

 

Zur Sache

"Elmar" ist eine Selbsthilfegruppe für Eltern und Familien mit Frühgeborenen und Kindern mit verschiedenen Beeinträchtigungen in Fürstenau. Elmar steht für "Eltern mit außergewöhnlichen Rackern". Informationen gibt es unter: www.elmar-treff.de oder per Mail an: info@elmar-treff.de.

 

Jasmin Lobert