Wie das Christentum in Albanien wieder auflebt

Man spricht nicht über die Seele

Kirche in Albanien

Fotos: privat

Katechese Sommermission in Qebik: Kapuziner Andreas Waltermann und die Franziskanerin Tereze Ferra sind viel unterwegs, um Eucharistie zu feiern, Gläubige auf Sakramente vorzubereiten oder Religionsunterricht zu geben. 
 

Vor 35 Jahren zerfiel in Albanien die letzte kommunistische Diktatur Europas. Heute sind die Christinnen und Christen dort froh, ihren Glauben wieder leben zu können. Doch die Verfolgung im atheistischen Vorzeigestaat hat Spuren hinterlassen.

Nachts haben Tereze Ferra, ihre Eltern und Geschwister Radio Vatikan gehört. Leise und heimlich. In den Bergen im Norden Albaniens konnte man den katholischen Kirchensender aus Rom empfangen. Ferra hat damals zum ersten Mal ein Gebet auf Latein gehört. „Meine Mutter sagte, das sei der Rosenkranz“, erzählt sie. Auf diese Weise hat die heute 59-jährige Franziskanerin gelernt, dass sie Christin ist. Doch getauft war sie nicht. Das war zu gefährlich. 

In Albanien lebten damals wie heute vor allem orthodoxe und katholische Christinnen und Christen sowie muslimische Gläubige verschiedener Konfessionen. Doch die kommunistische Regierung hatte 1967 ein Religionsverbot erlassen und versucht, Albanien in einen atheistischen Vorzeigestaat zu verwandeln. Jegliche Religionsausübung war bis November 1990 verboten.

Gotteshäuser wurden zerstört, als Turnhallen oder Ställe genutzt. Geistliche und Gläubige verschwanden, wurden in Straflagern interniert oder hingerichtet. „Aber in den Gläubigen hat manches weitergelebt und das Überleben der Kirche gerettet“, erzählt Andreas Waltermann. Der Kapuziner lebt seit 2008 in einer Kommunität in Fushë-Arrëz im Norden Albaniens. Die deutschen, italienischen und albanischen Kapuzinerbrüder betreuen 5000 Katholiken in der Kleinstadt und in 31 Bergdörfern im Umkreis von 100 Kilometern. 

Gläubige trafen sich heimlich zum Gebet in den Wäldern

Waltermann staunt, wie die Menschen ihren Glauben bis heute bewahrt und damals versteckt haben. Gemeindemitglieder erzählten ihm, wie sie sich in den Wäldern zum Beten getroffen und mit einem Kopfnicken das Kreuzzeichen gemacht haben, um sich einander zu erkennen zu geben. Ordenschwester Ferra lebt auch in seiner Gemeinde. Sie hat von ihrer Mutter und ihrer Tante christliche Gebete zum Weihnachtsfest, zum Nikolaustag und zu Heiligenfesten gelernt. Gesprochen haben sie nur nachts, „bei verschlossenen Fenstern und Türen und zugezogenen Vorhängen, immer in der Angst, ausspioniert zu werden“, wie sie erzählt. Auch Nachbarn und Verwandte konnten Spione sein, wie die Familie ihres Onkels, die nur 150 Meter weiter wohnte. „Sie waren alle stramme Kommunisten“, sagt Ferra. 

Eucharistie AlbanienAuch Ded Ndoj berichtet, wie sie als Kinder lernen mussten zu lügen, um sich und ihre Familien zu schützen. Der Familienvater ist heute kirchlicher Mitarbeiter in der Pfarrei der Kapuziner. „Nach einem Fest wie Ostern oder Weihnachten wurden wir von der Lehrerin, einer kommunistischen Aktivistin, immer ausgefragt“, erzählt der 51-Jährige. Was sie gestern gemacht hätten? „Nichts“, musste er damals antworten. Was sie gegessen hätten? „Wie immer, Brot und Bohnen.“ Heute sagt er: „Wir wussten, dass die Lehrerin hinterhältig und gefährlich für uns werden konnte.“ 

Das endete vor 35 Jahren. Im Juli 1990 begann die letzte kommunistische Diktatur Europas zu zerfallen; tausende Albanerinnen und Albaner flohen damals entweder in westliche Botschaften oder auf Schiffen über das Mittelmeer in andere europäische Länder. „Das war eine große Freude, überall“, sagt Ndoj. Die Christen begannen, ihren Glauben wieder zu leben. „Weil die Kirchen zerstört waren und es keine Priester gab, mussten wir anfangs mit dem leben, was in unseren Erinnerungen noch lebendig war“, erzählt er. Er erinnert sich, wie er 1994 zum ersten Mal an einer heiligen Messe vor einer zerstörten Kirche teilnahm. Der Priester, der sie feierte, habe zur Zeit der Kommunisten fast 30 Jahre lang im Straflager schuften müssen, erzählt Ndoj. 

Ordensschwester Ferra erinnert sich, wie sie zusammen mit 200 anderen jungen Menschen getauft wurde und mit 27 Jahren zur Erstkommunion ging – ohne Vorbereitung. Es fehlte an Katecheten. Heute gibt sie Kindern und Jugendlichen Religionsunterricht. Kapuziner Andreas Waltermann spürt, wie froh die Menschen sind, dass sie ihren Glauben wieder leben können. Aber der Kommunismus habe Spuren hinterlassen, sagt er: „Ich erlebe auch nach 17 Jahren immer noch so eine Reserviertheit, wenn ich frage: Was macht eigentlich der Glaube persönlich mit ihnen und Ihrem Leben? Man spricht nicht über die Seele.“ 

Seelsorge bedeutet für ihn vor allem, die Menschen in den weit entfernten Orten zu besuchen und Vertrauen aufzubauen. An einem Vormittag vor Weihnachten hat er denen, die nicht mehr in die Kirche gehen können, die Krankenkommunion nach Hause gebracht. Seine Nachmittage sind mit Religionsunterricht ausgefüllt. Aber Seelsorge heißt für ihn auch: Häuser bauen, Dächer reparieren, Lebensmittel an arme Familien ausgeben und jungen Menschen helfen, dass sie ihre Ausbildung finanzieren können. 

Waltermann bewegt, wie die Familien mit der Armut umgehen. Vor einigen Wochen luden ihn die Eltern einer körperlich und geistig behinderten jungen Frau ein, nach dem Gottesdienst vorbeizukommen. In dem „miserablen Gesundheitssystem“, wie es Waltermann nennt, sind kranke und behinderte Menschen auf sich gestellt. Doch, so sagt er, „für die Eltern, die Tag und Nacht bei ihrer Tochter sind, war der Glaube ein Stück Trost“. 

Barbara Dreiling