Wallfahrt nach Telgte

Maria ist hautnah dabei

Teilnehmer Telgter Wallfahrt

Foto: Astrid Fleute

Das Kreuz hat Barni, wie er genannt wird, selbst getischlert. Er trägt es jedes Jahr nach Telgte – ebenso wie Maria auf seiner Wade.

Foto: Astrid Fleute

Bernold Kamp aus Georgsmarienhütte pilgert gern. Am liebsten auf der großen Osnabrücker Wallfahrt nach Telgte im Münsterland. Seit über 40 Jahren ist er dabei. Vor 15 Jahren hat er sich das Bild der Muttergottes auf die Wade tätowieren lassen – und es nie bereut.

Dinge, die ihm wichtig sind, gehen bei Bernold Kamp unter die Haut. Mehrere Tattoos zieren seinen Körper. Jedes Motiv ist fein ausgewählt. Sie zeigen, was für das Leben des 52-Jährigen eine besondere Bedeutung hat. Mit dabei: die Gottesmutter. 

Liebevoll streicht Barni, wie er von allen genannt wird, über seine rechte Wade. Schon leicht verblasst, aber unübersehbar ist dort das Bild der schmerzhaften Muttergottes von Telgte, einem Marienwallfahrtsort im westfälischen Münsterland, zu sehen. Seit etwa 15 Jahren trägt er dieses Motiv bei sich, acht bis zehn Stunden und zwei Sitzungen brauchte die Tätowiererin, bis sie die Pietà auf sein Bein projiziert hatte. Und er wird durchaus angesprochen auf seine ungewöhnliche Verzierung. Begeistert erzählt er allen, die danach fragen, von seiner Liebe zur Telgter Wallfahrt, die Grundlage für das Tattoo und für ihn jedes Jahr „absolute Kraftquelle und Gemeinschaftserlebnis“ ist. 

Mit etwa 13 Jahren ging Barni zum ersten Mal mit nach Telgte. Mit einem Freund reihte er damals sich ganz selbstverständlich ein in den Pilgerstrom der größten Fußwallfahrt Nordwestdeutschlands, die jedes Jahr im Juli von Osnabrück über Georgsmarienhütte, Glandorf und Ostbevern zum Wallfahrtsort zieht (siehe „Zur Sache“). Er erinnert sich: „Mein Elternhaus stand nah an der Bundesstraße 51, auf der die Pilger betend und singend in den frühen Morgenstunden vorbeizogen. Schon als kleines Kind habe ich sie nachts gehört.“ Mit seinen Eltern sei er stets am Sonntagabend nach Oesede gefahren, um die Pilger bei ihrer Rückkehr zu begrüßen. „Wie die Menschen nach 80 Kilometern Fußmarsch immer noch die Fahnen hochhielten, das hat mich damals schwer beeindruckt“, erzählt er. Eines Tages beschloss er, selbst mitzugehen.

Wenn es seitdem einen Termin im Jahr gibt, der für Barni gesetzt ist, dann ist es der zweite Sonntag nach Peter und Paul, der traditionelle Termin der Wallfahrt. Seit 172 Jahren findet sie an diesem Wochenende statt. „Ich verschiebe alles, aber dieser Termin ist fix. Da kann kommen, was will“, betont er. 35 Kilometer hin und auch wieder zurück – das ist für ihn auch eine sportliche Herausforderung. „Es ist schon ein gewisser Stolz da, wenn man es geschafft hat“, erzählt er. Selbst in der Corona-Zeit, als die große Wallfahrt 2021 und 2022 ausfallen musste, nahm er die Anstrengung auf sich und zog im kleinsten Kreis mit eng befreundeten Pilgern los – auf der Schulter ein Kreuz, das der gelernte Tischler selbst geschnitzt hat und bis heute in Ehren hält. 

Wallfahrtslieder und Hardrock - beides ist kraftvoll.

Was ihn an der Telgter Wallfahrt so fasziniert? „Der Glaube und die Gemeinschaft, die ich hier jedes Jahr erfahre“, sagt er sofort. „Man trifft hier Leute, die man sonst das ganze Jahr nicht sieht.“ Jeder Pilger habe sein Anliegen und natürlich bete man unterwegs und in Telgte für seine Lieben und für Dinge, die einem wichtig seien. Barni erzählt: „Es ist einfach ein anderer Schnack hier. Und wenn die Pilger beim Abendgottesdienst in Telgte singen, dann hebt das Dach ab.“ Ein besonderer Schlüsselmoment sei es, auf dem Rückweg Oesede zu erreichen: „Wenn dann in der Kirche die Orgel mit dem Telgter Lied einsetzt, dann brechen die Dämme“, meint er und bekommt schon beim Erzählen eine Gänsehaut. Die Wallfahrt sei ein Fest – ein Fest des Glaubens, der Gemeinschaft und der Freundschaft. Sein persönliches Highlight war es, ein Teilstück mit dem großen Kreuz in allererster Reihe zu gehen. „Das ist absolut etwas Besonderes und hat mich sehr stolz gemacht.“ Gern würde er das noch einmal erleben – und erinnert sich wieder an seine Kindheit: „Am liebsten dann auf der letzten Etappe nach Oesede rein.“ Er beginnt zu schwärmen und meint schmunzelnd: „Wenn einen die Wallfahrt catcht, ist man einfach dabei. Und dann gibt es noch ganz verrückte Leute, die sich das sogar aufs Bein tätowieren lassen.“ 

Marientattoo auf der Wade
Das Bild der schmerzhaften Muttergottes von Telgter auf der Wade. Foto: Astrid Fleute

Neben der Gottesmutter hat Barni auch Tattoos zur Musik und zu seiner Gitarre, die für ihn ein großes Thema sind, und zur Waldbühne Kloster Oesede, wo seine ganze Familie Theater spielt. Am liebsten hört er AC/DC. Wallfahrtslieder und Hardrock, das ist für ihn kein Gegensatz. „Beides ist kraftvoll, beides gibt ein gutes Lebensgefühl. Hardrockfans und Wallfahrer sind eine gute und friedliche Gemeinschaft. Gewalt- und Stresspotenzial gehen hier gegen null.“

Direkt neben der Pietà ziert auch ein Motiv des Tischlerhandwerks seine Wade. „Das passt zum Glauben. Jesus kam ja auch aus dem Handwerk“, erklärt er. Wenn Menschen ihn ansprechen, die den Glauben kritisch sehen oder über das Motiv der Gottesmutter verwundert sind, dann sagt er ihnen: „Kommt doch mal mit. Diese Wallfahrt, man muss sie erleben.“ Ein Arbeitskollege hat für dieses Jahr sogar zugesagt. Auch seine beiden Kinder und seine Frau sind bereits Teilstrecken mitgegangen. Das freut ihn besonders. Freunde aus der Jugendzeit und Mitglieder seines Wallfahrtsvereins Oesede-Harderberg sind jedes Jahr enge Wegbegleiter.

Von der Wallfahrt zehrt Barni ein ganzes Jahr. „Es tut gut, sich diese Tage freizuschaufeln, sich einmal Zeit zu nehmen für Wesentliches und das nachklingen zu lassen“, sagt er. Neupilgern rät er, neue Wanderschuhe mindestens ein Vierteljahr vorher einzulaufen und im Hinterkopf zu haben, dass man bei Bedarf auch mal ein Teilstück mit einem Begleitfahrzeug fahren kann. Feuerwehr, Malteser und THW begleiten den Pilgerzug. „Das ist ein Rundum-Sorglos-Paket, nur gehen muss man selber“, meint er schmunzelnd und ausdrücklich voller Lob.

Manchmal fährt Barni auch außerhalb der Saison mit seinem Mountainbike nach Telgte und zündet in der Kapelle eine Kerze an. Das gibt ihm Kraft. Sein Tattoo mit der Gottesmutter hat er nie bereut: „Es gehört einfach zu mir, ich stehe dazu.“

 

Zur Sache

Die Osnabrücker Telgter Wallfahrt ist mit etwa 8500 Menschen eine der größten Fußwallfahrten im deutschsprachigen Raum. Jedes Jahr legen die Pilger von Osnabrück nach Telgte eine 43 Kilometer lange Strecke zurück oder stoßen auf dem Weg dazu. Seit 1852 pilgern die Gläubigen am zweiten Sonntag nach dem Fest Peter und Paul. Dieses Jahr starten sie zum 172. Mal.

 
Astrid Fleute