Jahresserie 2020: Hoffnungsgeschichten

„Mission beginnt mit dem sensiblen Zuhören“

Image
peru_adobe.jpg

Kann man bei der christlichen Mission auch von einer Hoffnungsgeschichte sprechen? Nachgefragt bei Professor Klaus Vellguth, Direktor des Missionswissenschaftlichen Instituts der Hochschule Vallendar (PTHV).


Sonnenuntergang über Lima in Peru: Wie viel Licht, wie viel Schatten hat die christliche Missionierung den Menschen in Lateinamerika gebracht?

Professor Vellguth, was heißt es, dass Deutschland ein Missionsland geworden ist?

Im Jahr 1943 erschien in Frankreich das Buch „Frankreich – ein Missionsland“ (La France – Pays de Mission) und irritierte die Christen in unserem Nachbarland, deren Kirche bei ihnen mit gallikanischem Stolz den Ehrentitel der „Ältesten Tochter der Kirche“ trug. Doch schon damals wurde deutlich dass die christlichen Länder Westeuropas vor der Herausforderung stehen, in ihren eigenen pastoralen Kontext hinein missionarisch zu wirken.

Heute ist offensichtlich: Ebenso wie die meisten Länder Westeuropas ist auch Deutschland ein Missionsland. Kardinal Karl Lehmann bemerkte diesbezüglich bereits im Jahr 2000: „Ein Grundwort kirchlichen Lebens kehrt zurück, das Wort Mission. Wenn nicht alles täuscht, erleben wir im Augenblick eine Renaissance dieses Wortes und, was wichtiger ist, der Sache.“

Ein gutes Jahrzehnt später wählten die Kardinäle mit Papst Franziskus einen Bischof von Rom, der unermüdlich die missionarische Dimension der Kirche betont und zuletzt in seinem „Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ auf die Notwendigkeit verwies, „den Primat der Evangelisierung zurückzugewinnen, um die Zukunft mit Vertrauen und Hoffnung in den Blick zu nehmen“. Dabei betonte Papst Franziskus, dass jede Evangelisierung beziehungsweise Missionierung stets mit der Selbstevangelisierung beziehungsweise Selbstmission beginnen müsse.

Der von der Kirche in Deutschland eingeschlagene Synodale Weg wird dann erfolgreich sein, wenn er mit der Selbstmission (Umkehr) beginnt und uns dazu führt, auch in Deutschland wieder eine missionarische Kirche zu sein, in der Menschen Christus begegnen.

 

Was können denn die klassischen Länder der Missionare von gestern heute „in den Missionen“ lernen?

Schon das Zweite Vatikanum hat sich mit einer Unterscheidung von Missionierungsländern einerseits und Missionsländern andererseits schwer getan. Die Konzilsväter betonten stattdessen im Missionsdekret „Ad gentes“, dass das Wesen der gesamten Kirche missionarisch ist. Aber natürlich kann beispielsweise die Kirche in Deutschland viel im weltkirchlichen Austausch von anderen Ortskirchen – gerade auch auf der südlichen Hemisphäre – lernen.

Von Asien kann die Kirche in Deutschland lernen, dass religiöse und kulturelle Pluralität ebenso wie der Dialog mit anderen Religionen als ein spiritueller und theologischer Reichtum erlebt werden kann.
Von den afrikanischen Kirchen können wir lernen, dass die „Kirche als eine Familie Gottes“ Heimat schenken kann.
Von den lateinamerikanischen Kirchen können wir lernen, dass sich in der „Option mit den Armen“ eine Christusbegegnung realisiert.
Und die Kirchen in Ozeanien können uns im Zeitalter von „Fridays for Future“ mit ihrer Schöpfungssensibilität und Schöpfungsspiritualität bereichern.

 

Inwieweit hat der Gedanke die Missionsarbeit verändert, dass Gott längst bei den Menschen ist, bevor ein Christ dort anfängt zu predigen?

Im letzten Jahrhundert schrieb der brasilianische Theologe Leonardo Boff bereits das Buch „Gott kommt früher als der Missionar“. Mit diesem Titel wollte er betonen, dass Gott zu allen Zeiten bei allen Menschen ist und zu ihnen spricht – durch die Schöpfung, durch Lebenserfahrungen der Menschen, durch menschliche Beziehungen, durch Glück und Leid, durch Liebe, Geborgenheit und Verzweiflung. Deshalb beginnt jedes missionarische Wirken auch stets mit dem sensiblen Hinhören und mit der tastenden Frage: Wo zeigen sich in einem konkreten Kontext die Spuren Gottes? Diese Frage sollte natürlich auch stets im Zentrum der Pastoral stehen.

 

Weltweit tragen Religionen offensichtlich mehr zu Hass und Krieg als zum Frieden bei. Zumindest vermitteln Massenmedien diesen Eindruck. Inwiefern kann interreligiöses Arbeiten erfolgreich Frieden fördern?

Es sieht oft so aus, als ob das Aufeinandertreffen von Religionen zu Konflikten führt. Um die Ursachen von religiösen Konflikten weltweit zu untersuchen, hat Missio Aachen unter Leitung von Dr. Marco Moerschbacher ein Forschungsprojekt gestartet, das interreligiöse Gewalt in Afrika untersucht und dazu zahlreiche Feldstudien durchführt. Das Ergebnis: Tatsächlich werden Religionen meist als Brandbeschleuniger missbraucht, ohne selbst Ursache eines Konfliktes zu sein. Die eigentlichen Konfliktursachen sind ethnisch, wirtschaftlich, politisch, historisch etcetera begründet. Um einen Missbrauch der Religion als Brandbeschleuniger zu verhindern, fördert Missio in Afrika und Asien interreligiöse Projekte. Denn tatsächlich sind die Weltreligionen – und dies hat inzwischen auch die Bundesregierung in den letzten Jahren erkannt – wichtige Partner, um sich für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung und eine zukunftsfähige globale Entwicklung einzusetzen.

 

Sind Sozialraumorientierung und Partizipation – Schlüsselbegriffeder Kirchenentwicklung – auch in der Missionsarbeit schon zum Leitgedanken geworden?

Sozialraumorientierung und Partizipation sind Schlüsselbegriffe sowohl der Pastoral als auch der Mission. Denn Pastoral und Mission gehören untrennbar zusammen. Die Pastoral der Kirche ist immer missionarisch und die Mission der Christen muss sich immer pastoral realisieren.

Gerade die Missionswissenschaft hatte schon früh eine Sensibilität für die Notwendigkeit der Sozialraumorientierung. Christliche Missionare vertraten bei ihrer Begegnung mit fremden Kulturen in Asien und Lateinamerika einen Ansatz der Akkomodation (Anpassung).

Auf dem indischen Subkontinent suchte beispielsweise Roberto de Nobili als „römischer Sannyasin“ schon im 17. Jahrhundert den Dialog mit den Brahmanen. Mit ähnlichen Missionsmethoden war Alexandre de Rhodes (1593 bis 1660) im alten Annam (im heutigen Vietnam) tätig, während in Lateinamerika unter anderen José de Anchieta (1534 bis 1597), der „Kirchenvater Brasiliens“, sowie in Peru José de Acosta (1540 bis 1600) einen Missionsansatz vertraten, den man heute als „kultursensibel“, „kontextorientiert“ oder eben „sozialraumorientiert“ bezeichnen würde.

Auch die Partizipation ist ein Schlüsselbegriff in der Missionswissenschaft. Und die vielleicht interessantesten theologischen Konzepte der letzten Jahrzehnte wurden von deutschen Missionaren entwickelt. Ich denke hier beispielsweise an die deutschen Missionare Fritz Lobinger und Oswald Hirmer, die am südafrikanischen Lumko-Institut Modelle einer partizipativen Kirche entwickelt haben. Papst Franziskus hat sich bei seinen Überlegungen zu neuen Zugangswegen zum Priestertum und Formen des priesterlichen Amtes von Fritz Lobinger inspirieren lassen.

 

Wäre ein eigenständiger liturgischer Ritus zum Beispiel für die indigenen Völker am Amazonas ein sichtbarer Ausdruck für das neue Verständnis?

Ja, es ist an der Zeit, kontextsensible liturgische Riten – auch für die indigenen Völker am Amazonas – zu gestalten und zu approbieren (zuzulassen).

Es gab nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil erste Anläufe, solche liturgischen Riten zu entwickeln. Nachdem Papst Paul VI. die afrikanischen Bischöfe (übrigens: im Rahmen der ersten Afrikareise eines Papstes überhaupt) in Kampala im Jahr 1969 ausdrücklich dazu ermutigt hatte, eigene Ausdrucksformen des Glaubens zu finden, wurde der sogenannte „Zairische Ritus“ als eine in Zentralafrika inkulturierte Form der Liturgie entwickelt. Dieser Ritus wurde von Rom offiziell approbiert. Leider blieb der Zairische Ritus bis heute eine Ausnahme.

Es bleibt zu hoffen, dass im Anschluss an die Amazonassynode neue Initiativen zur Entwicklung kontextsensibler liturgischer Riten unternommen werden.

Übrigens: Hoffentlich nicht nur in anderen Regionen der Erde. Auch bei uns in Deutschland braucht es in Zeiten überalterter und sich leerender Gottesdienste Christen, die sich nicht damit abfinden, dass die christliche Liturgie für die meisten Menschen irgendwie „aus der Zeit gefallen“ ist. Auch bei uns sind Suchbewegungen notwendig, um zeitgemäße und junge Wege der Feier des christlichen Glaubens zu entwickeln.


Interview: Johannes Becher

 

ZUR PERSON

Klaus Vellguth
Dr. Klaus Vellguth, geboren 1965, ist Leiter der Abteilung Theologische Grundlagen bei Missio in Aachen. Der Professor ist auch Direktor des Instituts für Missionswissenschaft (IMW) an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar