Was uns diese Woche bewegt
Nach den Wahlen in Ostdeutschland
Die AfD gewinnt die Thüringer Landtagswahl. In Sachsen liegt die als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei nur knapp hinter der CDU. Und auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) erzielt auf Anhieb zweistellige Werte. Was ist da nur passiert? Populismus ist kein ostdeutsches Phänomen. Es verfängt in diesen krisenhaften Zeiten, in denen sich vieles zu schnell ändert, weltweit. Aber warum wird gerade in den östlichen Bundesländern die Demokratie so geringschätzig betrachtet? Das treibt mich, die selbst dort geboren wurde, besonders um.
Es hatte doch so schön angefangen, 1989, als der Osten die Freiheit errungen hat. Ein Volk war für die Demokratie aufgestanden. Moment – wirklich das ganze Volk? Nein, sagt der Ostberliner Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk und stellt in seinem neuen Buch „Freiheitsschock“ klar: „Vielen ging es eher um freie Fahrt als um Freiheit.“ Revolutionen sind immer die Sache einer mutigen Minderheit. Da war die DDR keine Ausnahme. Auf die Straßen ging eben nicht die überwältigende Mehrheit – die wartete erst mal ab, was passiert.
Und das, sagt Kowalczuk, sei auch entscheidend in der Frage: Wie bringe ich mich in eine demokratische Gesellschaft ein? „Ein Großteil der Ostdeutschen erwartet vom Staat weitaus mehr, als ein liberaler Staat zu leisten in der Lage ist. Sie erwarten nämlich alles von ihm. Sie sagen nicht Ich, sondern sie sagen: Du, du! Du musst machen! Und das ist gewissermaßen der Anknüpfungspunkt für AfD und BSW.“
Man muss kein Psychologe sein, um zu wissen, dass jahrzehntelange Dauerpropaganda Spuren hinterlässt. Dass ich trotzdem einen differenzierten Blick habe, verdanke ich starken Gegengewichten: meinem Elternhaus und der Kirche. Es ist möglich, die Folgen einer Diktatur zu überwinden. Das erfordert jedoch harte, individuelle Arbeit, denn durch Erinnerungsarbeit stellt man sich auch selbst infrage. Viel einfacher ist es, Opfer zu sein und für Missstände und persönliches Scheitern übermächtige Feinde und Gegner verantwortlich zu machen.
Die ostdeutsche Schriftstellerin Anne Rabe begründet den Erfolg der Populisten auch mit verpasster Aufarbeitung und Versäumnissen: „Man hat unterschätzt, dass eine Zivilgesellschaft nicht von allein entsteht, also gerade mit der Prägung aus dem Osten, mit dieser durch und durch Staats-getragenen Organisation des Lebens. Da dachte man: Ach, das kommt von allein. Das war ein Versäumnis der großen Parteien. Da waren die Rechtsextremen sehr viel gewiefter und haben solche Räume viel schneller besetzt.“
Totalitäre Ideologien wie die der AfD bauen auf Freund-Feind-Gegensätze ohne Zwischentöne auf. Das ist etwas, das viele in Ostdeutschland gut kennen. Und auch der Wagenknecht-Populismus kommt dort besser an als anderswo, denn Antiamerikanismus und die allgemeine Ablehnung des Westens wurden uns tagtäglich eingepflanzt. Ich habe es selbst erlebt. Wer in einer Diktatur sozialisiert wurde und sich nicht aktiv damit auseinandersetzt, entwickelt mitunter zerstörerische Wut und vererbt Hass bis in die zweite und dritte Generation.
Zurzeit verbreitet sich eine Ost-Wut auf einen dominanten Westen. Und eine Wut auf "die da oben", die keine Sofortlösungen haben auf immer mehr, oft massive globale Veränderungen. „In Ostdeutschland wird diese aktuelle Transformationserfahrung überlagert von einer bereits erfolgten Transformation, die viele an den Rand dessen brachte, was sie aushalten können“, meint Kowalczuk. Das lasse viele Menschen verzweifeln und nach radikalen, einfachen Antworten suchen.
Einfache Antworten gibt es leider nicht. In einer demokratischen Gesellschaft werden Kompromisse ausgehandelt. Das ist anstrengend, aber immer dem vorzuziehen, was Populisten wollen: eine Konsensgesellschaft, eine homogenisierte Gesellschaft, ohne auf der Suche nach Kompromissen zu sein. Populisten können die von ihnen verachtete Demokratie zum Kippen bringen. Wir müssen aufpassen, dass ihnen das nicht gelingt.