Organtransplantation schenkt neues Leben
Ostern kommt der Stein ins Rollen
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Sein zweites Leben beginnt mit dem Klingeln des Notfallhandys an einem Freitag um 18.10 Uhr auf der Hannoverschen Straße in Osnabrück. Patrick Boberg ist mit dem Fahrrad unterwegs. Die Anruferin fragt ihn, ob er bereit sei – bereit für eine neue Lunge. Ein passendes Organ sei gefunden worden. „Die Stimme am Telefon“, erinnert sich Patrick Boberg, „war für mich wie die Stimme eines Engels, ohne Witz. Ohne neue Lunge hätte ich es vielleicht noch ein halbes Jahr geschafft.“
Plötzlich geht alles ganz schnell. 15 Minuten nach dem Telefonat steht der Notarzt vor seiner Tür und bringt ihn mit Blaulicht ohne Sirene ins Transplantationszentrum nach Hannover. Noch am selben Abend liegt Patrick Boberg auf dem Operationstisch. Die Worte des Operateurs hat er auch 22 Jahre später noch im Ohr: „Herr Boberg, ich habe gerade mit Ihrer Lunge gespielt. Das ist eine Sportlerlunge, Sie kriegen ein richtig geiles Organ.“
Patrick Boberg, Jahrgang 1968, leidet an Mukoviszidose, einer angeborenen Stoffwechselerkrankung, bei der bestimmte Körperdrüsen abnorm dickflüssige Sekrete produzieren. Husten, Atemnot und wiederkehrende Lungenentzündungen prägen seine Kindheit und Jugend und bremsen ihn aus. Damals ist die Krankheit noch nicht so gut bekannt und behandelbar. Die Diagnose wird bei Boberg erst im Alter von sechs Jahren gestellt – mit der Prognose, dass er mit Glück das 18. Lebensjahr erreicht.
Seine Eltern unternehmen alles, um ihm zu helfen. Sie konsultieren bundesweit Ärzte, eignen sich Klopftechniken an, damit sich der zähe Schleim in der Brust löst, sie organisieren Therapien, fahren sogar zu einem Wunderheiler in die Niederlande. Patrick Boberg muss regelmäßig inhalieren, braucht bald zusätzlichen Sauerstoff und kann vor lauter Angst, zu ersticken, oft nicht einschlafen. Vier- bis fünfmal im Jahr liegt er im Krankenhaus, schluckt Antibiotika. „Irgendwann habe ich Blut gehustet, weil die kleinen Äderchen in der Lunge durch den Hustendruck geplatzt sind.“
Je älter er wird, desto dringender muss er sich mit dem Gedanken einer Lungentransplantation befassen. „Ich war zu dem Zeitpunkt 31 Jahre alt, und meine Chancen standen 40 zu 60: 40 Prozent für mich, 60 Prozent gegen mich. Aber ich wusste, dass ich kämpfen muss und dass ich es schaffen werde.“
Die OP dauert 18 Stunden, danach liegt Boberg noch zwei Wochen lang im Koma. Die alte Lunge, erfährt er später, war so vernarbt und mit dem restlichen Gewebe verwachsen, dass sie in Stücken herausgeschnitten werden musste. Und er wurde mit einem kleinen Trick animiert, wieder selbst zu atmen: Die Sauerstoffflasche gluckerte zwar im Hintergrund, war aber nicht angeschlossen.
Auch eine andere Geschichte erzählt man sich in der Familie bis heute: Patrick Bobergs Mutter ist damals mit der Kirchengemeinde in Rom, als sie erfährt, dass ihr Sohn transplantiert werden soll. Sie will so schnell wie möglich nach Hannover. Also setzt der Pfarrer alle Hebel in Bewegung, damit sie den letzten Nachtzug nach Deutschland erreicht und weist den Taxifahrer auf Italienisch an, Vollgas zu geben. Alle anfallenden Strafmandate würden übernommen.
Ich kann zwar keinen Marathon laufen, bin aber in den letzten anderthalb Jahren 9000 Kilometer mit dem Rad gefahren.
Nach dem Aufwachen spürt Patrick Boberg sofort, dass er freier atmen kann. „Das war der Wahnsinn“, sagt er. Obwohl das Luftholen noch schmerzt. „Während der OP habe ich mir einen Pilz eingefangen, der von den Rippen geschält werden musste wie Spargel.“ Der Genesungsprozess dauert mehr als 18 Monate. Boberg ist dankbar: seinen Eltern, seinem Bruder und vielen anderen Menschen, die mit ihm gehofft und für ihn gebetet und Kerzen angezündet haben – und natürlich seinem Spender, dessen Namen er nicht kennt.
Den 5. April, den Tag der erfolgreichen Transplantation, feiert die Familie wie einen zweiten Geburtstag. „Je näher dieses Datum rücke, sagt Boberg, desto hibbeliger werde er. „Da passiert was im Kopf, jedes Jahr aufs Neue.“
Heute lebt er „ganz normal“, ist berufstätig, hat eine eigene Familie. „Ich kann zwar keinen Marathon laufen, bin aber in den letzten anderthalb Jahren 9000 Kilometer mit dem Rad gefahren.“ Der Reiseverkehrskaufmann radelt auch bei Wind und Wetter zur Arbeit nach Bissendorf im Landkreis Osnabrück. Allerdings muss er täglich starke Medikamente einnehmen, um so das neue Organ vor einer Abstoßung durch das Immunsystem zu schützen.
Es sei fast ein Wunder, sagt er, dass er schon so lange mit einer gesunden Lunge lebe. „Manchmal frage ich mich, wie lange sie noch hält, ob ich bald retransplantiert werden muss. Ich habe damals viele Menschen kennengelernt, die trotz eines gespendeten Organs heute nicht mehr da sind. Das berührt mich.“
Gelegentlich meldet sich noch die Medizinische Hochschule Hannover. Dann setzt sich Patrick Boberg ins Auto und trifft Patienten, die auf der Transplantationsliste stehen und Angst vor dem großen Eingriff haben. Er spricht ihnen Mut zu. „Das mache ich gern.“ Ansonsten, betont er, wolle er sein Leben leben und nicht immer über das fremde Organ im Körper nachdenken. „Ich brauche Freiheiten und habe auch mit 55 noch viel Nachholbedarf.“ Es sind oft die einfachen Dinge, die er wertschätzt: sich aufs Rad setzen oder loslaufen, über den Schölerberg, und Frühlingsluft schnuppern. Darüber kann er sich freuen „wie ein kleiner Junge“. Zum Glück, sagt er, „habe ich eine Frau, die das alles mitmacht.