Neue Forderungen an die Pflegekassen und die Politik werden laut
Pflege: Kompromiss schafft nur kurzzeitig etwas Luft
Nachdem ein Caritas-Pflegedienst in Hildesheim angekündigt hat, Mitarbeiter zu entlassen und Pflegeverträge zu kündigen, werden neue Forderungen an die Pflegekassen und die Politik laut.
Hildesheim/Hannover (epd/bd). Die Caritas in Niedersachsen hat mit Bedauern, aber auch Verständnis auf die Ankündigungen des Hildesheimer Pflegedienstes reagiert, sich teilweise aus der ambulanten Pflege zurückzuziehen. Der Fall mache deutlich, dass der mit den Kassen gefundene Kompromiss „nicht das letzte Wort gewesen sein kann“, sagte Franz Loth, Sprecher der Caritasverbände in Niedersachsen. Für einzelne Pflegedienste könne die insgesamt nicht kostendeckende Refinanzierung durch die Pflegekassen trotz der angebotenen Erhöhung der Wegepauschalen dazu führen, dass sie in wirtschaftliche Existenznot gerieten. Die Diakonie in Niedersachsen betonte unterdessen, der Kompromiss mit den Kassen führe zumindest in die richtige Richtung.
Andere Form der Refinanzierung nötig
„Wir haben seit Jahren damit zu kämpfen, dass die tatsächlichen Kosten unserer Dienste, die in erster Linie aus den tariflichen Vergütungen der Mitarbeitenden bestehen, nicht ausreichend von den Kranken- und Pflegekassen erstattet werden. Das stellt viele unserer Dienste vor große Probleme“, sagte der Direktor des Diözesancaritasverbandes Hildesheim, Achim Eng noch vor Bekanntwerden der Rückzugspläne des Ortscaritasverbandes. Der Vergleich schaffe etwas Luft, verändere die Lage aber nicht grundsätzlich. „Wir benötigen eine andere Form der Refinanzierung, damit die Arbeit der ambulanten Pflegedienste auch langfristig gesichert ist. Alle Verantwortlichen müssen sich dabei vor Augen führen, dass es in erster Linie um die Versorgung von pflegebedürftigen Menschen in ihrem Zuhause geht, deren Zahl in den nächsten Jahren weiter steigen wird“, sagte Eng.
Die Caritas-St. Bernward ambulante Pflege gGmbH in Hildesheim hatte angekündigt, 31 Mitarbeitenden zum 30. Juni betriebsbedingt kündigen zu müssen. Dies betreffe Fachkräfte, Pflegehelferinnen, Hauswirtschaftskräfte und die Verwaltung. Zudem werde der Dienst 118 Patienten die Versorgungsverträge kündigen, sagte Geschäftsführer John Coughlan. Damit ziehe er die Reißleine, um eine Insolvenz zu vermeiden.
Ursache ist laut Coughlan eine mangelnde Refinanzierung durch die Pflegekassen. Die Kassen berücksichtigten weder die tarifliche Vergütung der Mitarbeiter noch die tatsächlichen Kosten für Wege oder pflegerische Leistungen. Die jetzt bekanntgegebenen Erhöhungen seien bei weitem nicht ausreichend.
Der Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen, Hans-Joachim Lenke, wollte die unternehmerische Entscheidung des Hildesheimer Unternehmens nicht kommentieren. Er betonte allerdings, dass auch die Diakonie sich eine deutlichere Erhöhung der Wegestreckenpauschale gewünscht hätte. „Wir halten aber rund 10 Prozent nach wie vor für einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Zudem haben wir immer klar gesagt, dass die mit diesem Kompromiss erkaufte Zeit für die Definition der Eckpunkte künftiger Verhandlungen genutzt werden muss.“
Zaghafter Schritt in die richtige Richtung
Der Vorstandssprecher des Caritasverbandes Südniedersachsen, Ralf Regenhardt, sagte, das Verhandlungsergebnis mit den Kassen sei zwar ein „erster, aber sehr zaghafter Schritt in die richtige Richtung, gleichwohl trägt er nicht angemessen der tariflichen Vergütung unserer Mitarbeiter Rechnung“. Dem Pflegenotstand werde damit nicht abgeholfen. Ähnlich äußert sich Andreas Janitzki, Vorstand des Caritasverbandes Salzgitter. Die aktuelle Einigung verschaffe „etwas Luft“. Dennoch gebe es nach wie vor eine deutliche Lücke zwischen den Tarifgehältern und der Refinanzierung durch die Kassen. Einen Abbau des Pflegeangebots wie in Hildesheim plane sein Verband derzeit allerdings nicht.
Diakonie, Arbeiterwohlfahrt, Caritas und kommunale Sozialstationen hatten sich mit den Krankenkassen auf eine bessere Vergütung der Pflegeleistungen und der Wegepauschalen geeinigt. Loth, der auch Direktor des Caritasverbandes Osnabrück ist, betonte, die Verhandlungen gingen auch nach der Einigung weiter.
Tariftreue muss stärker berücksichtigt werden
Tariftreue müsse stärker als bisher berücksichtigt werden. Anders als Caritas und Diakonie etwa zahlten die vielen privaten Anbieter in Niedersachsen ihre Mitarbeitenden unter Tarif. Loth forderte, alle tatsächlich anfallenden Kosten, im Wesentlichen also Löhne und Gehälter wie auch Fahrtkosten, müssten von den Kassen refinanziert werden. Um das Pflegesystem zukunftsfest zu machen, müsse dessen Finanzierung auf mehr Schultern verteilt werden. Die Politik müsse darüber nachdenken, dafür auch Steuern einzusetzen.
Unter dem Dach der drei niedersächsischen Caritasverbände arbeiten 50 ambulante Pflegedienste mit rund 2500 Mitarbeitenden. Im vergangenen Jahr wurden rund 15 000 Menschen versorgt.