Große Kirchengeschichtstagung in Schwerin

Vom Wirken der Jesuitenmissionare in „Luthers Norden“ (1595 –1772/1800)

Meschen besichtigen die Schweriner Schlosskirche.

Foto: Rainer Cordes

Tagungsteilnehmer bei der Besichtigung der Schweriner Schlosskirche

Vom 13. bis 15. März 2025 fand in Schwerin im Bernhard-Schräder-Haus die 12. Tagung zur Kirchengeschichte im Erzbistum Hamburg über die „Jesuiten in der Frühneuzeit in Schwerin und in Nordeuropa“ statt. 15 namhafte gelehrte Personen gaben sich dort ein Stelldichein.

Für diese Tagung kooperierten die Vereine „Jesuitica“, der „Verein für katholische Kirchengeschichte in Hamburg und Schleswig-Holstein“ und das „Heinrich-Theissing-Institut“ in Schwerin; die Federführung lag bei Dr. Georg Diederich (Schwerin), Dr. Niccolo Steiner SJ (Frankfurt/Main) und  Dr. Martin Schröter (Hamburg). Der Tagungsort ist bewusst gewählt worden, da nur in Schwerin die Hausbibliothek der „Alten Jesuiten“ des 18. Jahrhunderts als „Historische Bibliothek Sankt Anna“ fast unverändert überliefert ist. Gleichzeitig konnte die Ausstellung „Europäische Bildung in der Residenzstadt Schwerin – Ausstellung zum Vorseminar der Schweriner Jesuiten“, konzipiert von Dr. Georg Diederich und Barbara Müller, auf der Tagung eröffnet werden.

Der Lutherbiograph Prof. Heinz Schilling (Berlin) eröffnete in der Niels-Stensen-Schule die Tagung über „Ignatius von Loyola als Reformator“ und ordnete das Zeitalter von 1500 – 1700, das traditionell als „Reformation“ und „Gegenreformation“ angesehen wird, genauer als einen „die Konfessionen übergreifenden Umbruch in der westlichen Christenheit“ ein. Ein genauerer Blick auf die drei zentralen Reformatoren Martin Luther, Johannes Calvin und den etwas jüngeren Ignatius von Loyola, zeige entgegen früherer Ab- und Ausgrenzung verblüffende Gemeinsamkeiten, zentral etwa, dass ihnen – anders als den damaligen Päpsten – „die Religion unter den Nägeln brannte“. Sie nahmen ältere Reformimpulse des 15. Jahrhunderts auf, von denen paradoxerweise manches in der Reformation unterging.

Zentrale Unterschiede ergaben sich allerdings im Kirchenverständnis: Während Luther und Calvin den Bibeltext Römer 10, 17 fides in auditu so akzentuierten, dass die Ordnung der Kirche grundlegend zu verändern sei, blieb Ignatius beim Gehorsam zur Kirche (oboedientia ecclesiae); das habe zu den bekannten religiös-politischen Auseinandersetzungen zweier fortan sich radikal bekämpfender Konfessionskirchen geführt, obwohl heute mit Hans Urs von Balthasar sich die andere Lesart anböte, die Unterschiede nur als zwei Glaubensweisen von Prophet und Priester (im Sinne des Deuteronomium bzw. 5. Buch Mose) zu verstehen. Den Jesuiten im Norden sei etwa im Rahmen der Reichsstadt Lübeck die Rolle zugekommen, Impulse für ein friedlich-rechtliches Zusammenleben in der Integration unterschiedlicher Glaubensrichtungen zu setzen – eine bis heute unabgeschlossene Aufgabe. Ohne das zu intendieren, trugen sie damit im Endeffekt zum epochalen gesellschaftlichen Grundwandel von der alteuropäisch ständisch zur neuzeitlich bürgerlich, auf längerer Sicht dann demokratisch verfassten Gesellschaft bei. Konkret für die Reichstädte bedeutete das den Übergang von der kirchlich-religiös wie sozial geschlossenen, weil auf Privilegien und spezifischen Rechten beruhenden  stadtbürgerlichen Gesellschaft des Alten Reiches hin zur offenen, tendenziell liberalen und toleranten bürgerlichen Gesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts.

Karte des Königreichs Dänemark mit angrenzenden Ländern, Stand 1740. Bildnachweis: Heinrich-Theissing-Institut Schwerin

Dr. Niccolo Steiner SJ (Frankfurt/Main) gab mit seiner Einführung einen Einblick in die Problematik, wie nach 1555 Konzilsbeschlüsse des Trienter Konzils in den jeweiligen Territorien durchzusetzen wären, die teils mit reichsrechtlichen Regelungen in Widerstreit standen und wie nach dem Westfälischen Frieden 1648 mit der Aufhebung der cuius regio, eius religio-Regelung umzugehen wäre. Die Verschiedenartigkeit der Lösungsversuche rechtfertige und erfordere eine Mikroperspektive von Fallstudien, die sich mit der Mission und Seelsorge der Jesuiten in „Luthers Norden“ befassten.

Prof. Johannes Meier (Mainz), Prof. Hans-Georg Aschoff (Hannover) und Dr. Martin J. Schröter (Hamburg) nahmen mit Köln und den kleinen Jesuitenmissionen Norddeutschlands das werdende Zentrum der Niederrheinischen Provinz und ihre Dependancen vor Ort in den Blick. Jeweils eine Basisstation bildeten dabei auch die „Residenzen“ der Jesuiten in Münster (was noch näherer Forschung bedarf) und in Hildesheim, über deren Wirken in Spiritualität und Schulunterricht Dr. Christoph Bruns (Hildesheim) kundig einführte. Christoph Flucke (Hamburg) beleuchtete das Profil eines Jesuitenmissionars in „Luthers Norden“ anhand ausgewählter Nachrufe aus den – inzwischen edierten – Jesuitenberichten. Judith Lipperheide (Hamburg) widmete sich in einem Exkurs den Exerzitienhäusern in Frankreich, ihrer Organisation und ihrem Programm – den Exerzitien des heiligen Ignatius von Loyola und ihrer Wirkung. Barbara Müller und Dr. Georg Diederich (beide Schwerin) führten in die Schweriner Geschichte der Jesuitenmission, ihrer Schule und ihres Vorseminars ein, welche einst Schüler u. a. auf den Besuch des Collegium Nordicum in Linz vorbereiteten, um anschließend kundig die Teilnehmenden durch die Stadt und zwei ihrer Höhepunkte, die Schlosskirche und den Dom zu führen.

Welche Schätze an Büchern, Graphiken und naturwissenschaftlichen Instrumenten die Jesuiten für ihre pädagogischen Aktivitäten nutzten und was davon wo überliefert ist, stellte Prof. Gudrun Gersmann (Köln) für den Provinzvorort Köln vor. Infolge der Französischen Revolution wurden größere Teile nach Paris in den Louvre und in die Bibliothèque Nationale verbracht; heute werden diese Sammlungen wieder digital zusammengeführt. Dr. Anne Liewert und Dr. Burkhard Conrad (beide Hamburg)  spürten in Detektivarbeit dagegen die Reste der Jesuiten-Bibliotheken in Schleswig-Holstein, Hamburg und in Frankfurt/Main auf; ein Teil dessen wird im Erzbischöflichen Depositum der Staatsbibliothek „Carl von Ossietzky“ in Hamburg für weitere Vertiefung verwahrt. Dr. Susanne Lang (Darmstadt) zeigte, welche Verluste infolge des Zweiten Weltkriegs Hamburg mit der Zerstörung der Sankt-Josefs-Kirche auf der Großen Freiheit und des Görtz-Palais am Neuen Wall hinnehmen musste. Das religiöse Leben in den kirchlichen Räumen wird anhand seiner Gegenstände durch Erwähnungen in den Jahresberichten anschaulich. Den fulminanten Schlusspunkt setzte Prof. Claudia Wiener (München) mit einem Blick auf die zahlreich von Jesuiten anlässlich der Konversion der schwedischen Königin Christina verfassten Texte, Gedichte und Eulogien. Exemplarisch wurde deutlich, über welche aktive lateinische Sprachkompetenz die Patres als Ausdruck ihrer Gelehrsamkeit verfügten.

Der reiche Schatz dieser Tagung an Beiträgen und Diskursen soll in einem Tagungsband festgehalten werden. Da ist es gut, dass der Verein für katholische Kirchengeschichte schon den 17. Band der Nordalbingensia Sacra zum „Echo der Jesuiten in der Frühen Neuzeit in ´Luthers Norden´“ in der Verlagsgruppe Husum publiziert hat. Die Ausstellung in der Historischen Bibliothek von Sankt Anna in Schwerin kann jeweils dienstags von 15 bis 18 Uhr in der Schweriner Klosterstraße 15 noch bis zum 3. Oktober 2025 besichtigt werden.

Martin J. Schröter