Katholikentag in Stuttgart: Interview mit Kerstin Leitschuh
Plattform für Inspiration
Katholikentag in Stuttgart: Vom 25. bis 29. Mai kann dort jede und jeder aus zahlreichen Angeboten einen individuellen Besuchsplan erstellen. Religiös, politisch, gesellschaftlich – auf jeden Fall vielfältig. Kerstin Leitschuh aus Kassel hat am Programm mitgearbeitet. Im Interview mit Evelyn Schwab erzählt sie mehr darüber.
Ist ein Katholikentag sozusagen der „Branchenkongress“ rund um christlichen Glauben und kirchliche Arbeit?
Leitschuh: Der Katholikentag ist ein Treffen von Christinnen und Christen, die gemeinsam beten, diskutieren, sich austauschen, einander begegnen, feiern und über den Tellerrand hinausschauen wollen. Er ist eine Plattform, sich von anderen Menschen und Projekten für den eigenen Glauben neu inspirieren zu lassen.
Es ist aber auch eine Veranstaltung, die signalisiert, dass sich Christinnen und Christen am Diskurs gesellschaftlicher und politischer Themen beteiligen, sowie ein großer Gebetsort. Diese Tage sind eine ganz besondere Mischung aus Klassentreffen, Wallfahrt, Fortbildung, Stadtfest und Kongress. Und es ist vor allem eine Laienbewegung. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken lädt gemeinsam mit einem gastgebenden Bistum zum Katholikentag ein.
Rund 1500 Veranstaltungen an fünf Tagen – das vorzubereiten, klingt nach viel Arbeit! Wer macht das Programm?
Ja, ein so vielseitiges Programm ist zum einen das Ergebnis anderthalbjähriger Arbeit von vielen Arbeitskreisen. Diese sind bundesweit aus haupt- und ehrenamtlichen Expertinnen und Experten für das jeweilige Thema besetzt. Sie konzipieren und planen die Veranstaltungen. Zum anderen tragen die vielen katholischen Verbände, Organisationen und Einrichtungen ebenso Programmelemente bei. Unterstützt werden alle von einem tollen Team in der Geschäftsstelle vor Ort, das dann die Ideen umsetzt.
Der Trägerverein für den bevorstehenden Stuttgarter Katholikentag wurde im Frühjahr 2020 gegründet. Ende Januar 2020 hatte das Coronavirus offiziell Deutschland erreicht. Was bedeutete das für die Planungen?
Für uns als Arbeitskreis hieß das, dass wir hauptsächlich digital getagt haben. Statt bei den Planungstreffen vor Ort den Geist der Stadt, der Menschen und der Plätze zu schnuppern , saßen wir vor unseren Bildschirmen. Das hat ganz gut funktioniert, spart Zeit und Geld. Aber ist eben auch unpersönlicher. Und wir planten immer mit einer großen Unsicherheit. Denn niemand konnte wissen, wie die Pandemiesituation in diesem Mai sein wird. Wir sind jetzt sehr froh, dass der Katholikentag wie geplant stattfinden wird.
Pandemie, Klimakrise, Ukrainekrieg – dieses Mal drängen sich gesellschaftlich besonders dicke Themenbrocken auf. Welche anderen Ideen sind noch ins Programm aufgenommen worden?
Das Leitwort des Katholikentags ist „leben teilen“. An diesem wurde das Programm ausgefaltet. Wie kann geteiltes Leben konkret aussehen? In meinem eigenen Leben, in meiner Gemeinde, in meiner Stadt? Welcher gesellschaftliche und politische Gestaltungsauftrag lässt sich für uns Christinnen und Christen daraus ableiten? Wie teilt Gott sich mir mit, und was teile ich mit Gott? Diese und viele weitere Aspekte ließen ein buntes und auch intensives Programm entstehen. Der heilige Martin als Patron der gastgebenden Diözese Rottenburg-Stuttgart hat ebenfalls einen festen Platz im Programm.
Gibt es derzeit spezielle Thementrends für religiös Interessierte, etwa bei den Gottesdiensten oder Gebetsangeboten?
Ich denke, die Vielfalt ist auch hier der größte Schatz: Ob Eucharistiefeier, Tagzeitengebete, Meditationen, Wortgottesdienste, Lobpreis, Messenger-Gottesdienst oder Anbetung – jede und jeder kann sich von gewohnten Formen ansprechen lassen oder Neues ausprobieren. Neben den unterschiedlichen liturgischen Formen kommen auch verschiedene kirchenmusikalische Richtungen zum Tragen. Endlich haben wir nach der pandemiebedingten Distanz wieder die Möglichkeit, gemeinsam Gottesdienst zu feiern.
Der 102. Deutsche Katholikentag erwartet seine Gäste so digital wie nie zuvor. Ist die Mehrzahl der Teilnehmer dafür schon bereit, oder vermissen manche doch das dicke Programmheft in ihrer Tasche?
Da scheiden sich in der Tat die Geister. Ich selbst bin ein haptischer Mensch, der gerne mit Notizbuch und Füller arbeitet. So machte das dicke Programmheft mir immer Freude. Ganz praktisch gesehen ist die Umstellung auf die App natürlich toll und sehr komfortabel. Gerade in Zeiten, in denen die Pandemie noch zu kurzfristigen Programmänderungen führen kann, ist das natürlich ein großer Vorteil. Und nebenbei: Ich finde es auch umweltschonender, auf das dicke Programmheft zu verzichten. Die Welt ist digitaler geworden, da können wir uns beim Katholikentag eine Programm-App schon zumuten.
Worauf freuen Sie sich persönlich am meisten in Stuttgart?
Ich freue mich auf alles, was open air in der Stadt stattfindet: Wo die Menschen in und um Stuttgart wahrnehmen, da kommen Christinnen und Christen zusammen, beten und singen miteinander, feiern, erzählen von Gott, laden andere Menschen ein, teilen ihre Gedanken und in diesen Tagen auch ein Stück ihr Leben mitein-ander. Und ich freue mich, dass er überhaupt stattfindet. Viele von uns sind durch die Missbrauchskrise und den Umgang damit enttäuscht und wütend. Da kann der Katholikentag motivieren, Kraft und Freude schenken.
ZUR PERSON
Kerstin Leitschuh (46) war beim Katholikentag 2004 in Ulm im Programmbereich hauptamtlich tätig. Beim Katholikentag 2006 in Saarbrücken hat sie diesen geleitet und ist seitdem der katholischen Großveranstaltung vielseitig ehrenamtlich verbunden: durch die Mitarbeit in der Programmheftredaktion, in vorbereitenden Arbeitskreisen oder durch Veranstaltungsmoderationen.
Beim Katholikentag in Stuttgart ist sie jetzt Vorsitzende des Arbeitskreises Zentrale Veranstaltungen. Der bereitet die Eröffnungsveranstaltung am Mitt-
woch wie auch das Bühnenprogramm am Samstagabend in der Innenstadt vor. An beiden Tagen ist die Kasseler Referentin für Citypastoral in Stuttgart auch als Moderatorin tätig.
Interview: Evelyn Schwab