Kleines ABC der Kirchenentwicklung

„Religiosität des Diesseits“

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Was ist wesentlich für die Kirche 2030? Heute geht es in unserem „kleinen ABC der Kirchenentwicklung“ um „Open Innovation“ – einen Begriff, der eher im Wirtschaftsleben bekannt ist als in der Pastoral. Anders gefragt: Was passiert, wenn die Seelsorge auf den Marktplatz von Angebot und Nachfrage gerät? Von Johannes Becher.

Die „Leuchttürme“ der Kirche stehen mitten im Dorf, sagt der Pastoraltheologe Matthias Sellmann – inspiriert von Dietrich Bonhoeffer. | Foto: AdobeStock / Matauw
Die „Leuchttürme“ der Kirche stehen mitten im Dorf, sagt der Pastoraltheologe
Matthias Sellmann – inspiriert von Dietrich Bonhoeffer.
Foto: AdobeStock / Matauw

„Open Innovation“: Wieder so ein englischer Ausdruck. Dabei ließe sich verständlich auf Deutsch sagen, was einige Vordenker moderner Seelsorge dabei im Sinn haben: Es geht um offene Erneuerung, um ein geplantes Verändern und Verändert-Werden. Und wie bei so vielen Impulsen für die Kirchenentwicklung steht auch hinter diesem Begriff wieder eine veränderte Haltung. Über viele Jahrhunderte war sich Kirche selbst genug, zog sie alles Neuern aus sich selbst.Jetzt geht es darum, sich bewusst den Impulsen von außen, dem Fremden, zu öffnen. Sich der queren Welt auszusetzen und Gefahr zu laufen (oder die Chance zu haben), durch diese verändert zu werden. Matthias Sellmann, Bochumer Pastoraltheologe, sieht darin auch eine Verwirklichung des Konzils. Sellmann: „Nach ,Gaudium et spes‘ sind Renovierungen, Veränderungen, Innovationen und Verbesserungen der Sichtbarkeit kirchliches Routineprogramm und nicht etwa Ausnahmezustand einer Kirche, die ,normalerweise‘ in unbeeindruckter Souveränität einfach ihre überkommenen Traditionen zu pflegen hätte.“ 

Die Rede von der „ecclesia semper reformanda“, der sich stets und stetig verändernden Kirche, gehört genau hierher. Es geht darum, ihre Traditionen den Menschen und der Welt auszusetzen. Sich von außen inspirieren zu lassen. Das Risiko (die Chance) zu sehen, dass Gottes Offenbarung eben nicht nur aus Heiliger Schrift, Lehramt und Tradition heraus vollständig verstanden werden kann. Nochmals Sellmann: „Die Kirche braucht, um sein zu können, was sie sein soll, ein Wissen, das ihr nicht offenbart ist, sondern ihr nur von außen zukommen kann.“ Solches Denken ist nicht ganz neu unter Theologen. Karl Rahner gab diesbezüglich bereits Impulse und Dietrich Bonhoeffer formuliert in seiner „Religiosität des Diesseits“: „Jesus ruft nicht zu einer neuen Religion, sondern zum Leben.“ Deshalb stehe die Kirche „mitten im Dorf“.

Und dort geht es darum, sich im Wettbewerb der Angebote als Kirche zu behaupten. Der Pastoralreferent Florian Sobetzko hat deshalb als einer der ersten die Pastoral der Kirche dem betriebswirtschaftlichen Denken ausgesetzt. Erneuerung folgt dort häufig aus dem Werben um „Kunden“ auf dem Marktplatz der (Sinn-)Angebote. In solchem Denken werden die Wünsche und das Wissen der „Kunden“ bewusst mit einbezogen in das Entwickeln neuer „Produkte“. Übersetzt ins kirchliche Leben hieße das etwa, Katechetinnen zu beteiligen am Erarbeiten neuer Erstkommunionkurse … Deshalb fordert Sobetzko, Seelsorge brauche „Open Innovation“. Anders gesagt: einen offenen Wettbewerb der besten Ideen.

 

Zitiert: Missverständnis

„Die Tatsache, diese Neuaufbrüche als Luxusproblem einer verunsicherten Kirche anzusehen, ist Ausdruck eines fundamentalen Missverständnisses von Innovationsnotwendigkeit der katholischen Kirche und Beleg für die mangelnde institutionelle Absicherung neuer pas-toraler Ansätze. Es sei die Anmerkung erlaubt, ob denn eigentlich mit vergleichbarer Intensität und Grundsätzlichkeit eine kritische Analyse der eher traditionellen kirchlichen Angebote und Dienstleistungen stattfindet.“

Andreas Fritsch, Münster