Rettet die Bücher!
Wenn Bibliotheken brennen und Archive zusammenstürzen, geht Wissen für immer verloren. Gleichzeitig schreitet die Digitalisierung weiter voran. Aber welches ist die beste Methode, um Wissen für künftige Generationen zu sichern, das in Büchern festgehalten ist? Einblicke in eine Schatzkammer. Von Julia Hoffmann.
Es ist ein Kettenbuch: Das „Liber fundationum et consuetudinum ecclesiae cathedralis Moguntinae“ war früher mit einer Kette an einem Pult befestigt, damit es nicht geklaut werden konnte. Früher – das ist in diesem Fall schon Jahrhunderte her, das Buch entstand zwischen 1362 und 1511. Die Handschrift enthält zum Beispiel ein Verzeichnis der Stiftungen für Gottesdienste und Urkundenabschriften (siehe „Zur Sache“).
Das Dompräsenzbuch ist gut erhalten. Der Ledereinband hat einige Wurmlöcher, aber die Schrift ist noch gut lesbar. Die Seiten sind aus Pergament, also Tierhaut gefertigt, sie sind besonders langlebig. Das Buch hatte sozusagen „Glück“, dass es nicht nach 1850 angelegt wurde. Denn damals wurde säurehaltiges Papier eingeführt. Dieses Material zerfällt mit der Zeit und führt heute noch zu Problemen. Heutzutage gibt es auch säurefreies Papier.
Ein weiteres typisches Problem bei Handschriften: Der so genannte Tintenfraß, der durch die Verwendung von Eisengallustinte entsteht. Die Tinte frisst Löcher in die Seiten, die Texte sind nicht mehr lesbar. Das alte Sakristeibuch ist zum Glück nicht davon betroffen.
Damit das etwa DIN A4 große Buch mit den ungefähr 250 Seiten noch lange erhalten bleibt, wird es in der Mainzer Martinusbibliothek in einem speziellen Raum gelagert: Der „Schatzkammer“, wie Bibliothekarin Martina Pauly den fens-terlosen Raum nennt. Hier lagern Bücher, vor Licht geschützt, bei 18 Grad Raumtemperatur und einer möglichst konstanten Luftfeuchtigkeit von 48 Prozent. Das schützt sie auch vor Schimmelbefall. Ein Thermohygrograph überwacht das Klima. Die Luft wird über eine Klimaanlage in den Raum geleitet, zuvor durch Filter geführt, gereinigt und von Schadstoffen befreit.
Das Sakristeibuch lagert hier nicht allein. Etwa 2000 Bände reihen sich in Regalen auf. Darunter sind mittelalterliche Handschriften, Wiegendrucke (Inkunabeln) – also Bücher aus der Zeit Johannes Gutenbergs, die bis 1500 beziehungsweise 1520 (Postinkunabeln) gedruckt wurden – und andere Raritäten. Insgesamt beherbergt die Mainzer Martinusbibliothek etwa 300 000 Bände und 200 laufende Zeitschriften.
Mit einfachen Mitteln lässt sich der Zerfall alter Bücher wie des Kettenbuchs aufhalten. Es lagert zum Beispiel in einem Stehsammler mit Schuber aus Papier. Das klingt banal, aber der Schuber ist aus einem speziellen, säurefreien Papier gefertigt, und wurde mit einem Laser passgenau für das Buch ausgeschnitten. Er stützt es, damit es sich nicht verzieht und kein Schmutz zwischen die Seiten dringt. Außerdem beschädigen so die Beschläge aus Metall keine benachbarten Bücher.
Das Dompräsenzbuch ist nicht für jeden frei zugänglich. Wer es studieren möchte, muss sich vorher anmelden und braucht einen wissenschaftlichen Grund, um es anzuschauen. Wäre es da nicht einfacher, alle Bücher zu scannen und digital verfügbar zu machen? „Digitalisierung kann sinnvoll sein, um die Informationen einfacher verfügbar zu machen. Aber eine Datei kann nie das Original ersetzen“, betont Pauly. Mit der Digitalisierung sind zahlreiche Probleme verbunden: Etwa die kurze Halbwertszeit von Dateiformaten. Vor einigen Jahren gab es noch Disketten, dann CDs, jetzt sind Dateiformate wie jpg oder PDF aktuell, im Vergleich zu der Langlebigkeit von Papier können die Formate nicht mithalten. Dazu kommt das Problem des Speicherplatzes, und die Kosten für das Einscannen. Eine wichtige Frage ist, wer die Hoheit über die digitalen Daten hat. Problematisch wird es, wenn ein Konzern den Speicherplatz bereitstellt und kontrolliert, wer unter welchen Bedingungen Zugang zu Informationen erhält.
Darüber hinaus gibt es noch einen weiteren Aspekt: „Diese Bücher sind Kulturgüter, es geht bei ihrer Erhaltung darum, das kulturelle Erbe der Kirche zu bewahren und es für künftige Generationen zu sichern“, sagt Pauly. „Sie lassen ja auch nicht den Dom zerfallen und ersetzen ihn durch eine Projektion, ein Hologramm“, merkt sie an.
Ein Mittel, um vor allem die inhaltliche Information von Zeitungen oder Gemälden zu sichern, sind Mikrofilme aus Polyester. Bei diesem fotografischen Verfahren werden Buchseiten auf Plastikbändern abgebildet. Im Schwarzwald etwa lagern solche Mikrofilme in unterirdischen Stollen. Sie halten weit über 100 Jahre.
Wenn es um Bedrohungen alter Bücher geht, drängen sich Bilder der brennenden Herzogin Anna Amalia-Bibliothek in Weimar auf. „Solche Großereignisse sind Gott sei Dank sehr selten“, beschwich-tigt Pauly. Ein viel größeres Problem seien Wasserschäden. Vor allem durch Rohrbrüche oder Leckagen an Heizungen. Alle 14 Tage komme es in einer deutschen Bibliothek oder einem Archiv zu einem Wasserschaden. Deshalb sollte schon beim Bau darauf geachtet werden, dass ein Heizungsrohr nicht direkt über einem Bücherregal mit wertvollen Exemplaren verläuft.
Eine weitere Bedrohung stellen Tiere wie Papierfischchen, Geisterfischchen, Nagekäfer oder Ratten dar. Von diesen Schädlingen ist das Dompräsenzbuch zum Glück verschont geblieben.
Wird es aus dem Regal genommen, kommen weitere einfache aber effektive Hilfsmittel zum Einsatz, um das Buch zu schützen: Keilförmige Schaumstoffpolster werden rechts und links des Buchrückens untergelegt. Dadurch wird es nicht vollständig geöffnet und Nähte und Einband geschont.
Da die Restaurierung von Büchern aufwändig und teuer ist, liegt der Schwerpunkt auf der Prävention. Bücher werden reihenweise professionell gereinigt und verpackt, um sie vor dem Zerfall zu bewahren. Ist eine Restaurierung dennoch notwendig, werden beschädigte Seiten zum Beispiel stabilisiert oder unterfüttert, je nach Schaden. „Früher wurde oft Chemie eingesetzt um Bücher zu konservieren, darauf verzichtet man heute weitgehend“, sagt die Fachfrau. Das Buch wird möglichst im Originalzustand belassen, denn jede Behandlung kann später wieder Probleme nach sich ziehen, erklärt sie. In Rheinland-Pfalz werden 25 Prozent der mittelalterlichen Handschriften von kirchlichen Einrichtungen aufbewahrt, schätzt Pauly. „Es ist wichtig, dieses kulturelle Erbe zu bewahren und somit auch ein Stück Kirchengeschichte, ebenso wie bei einem Kirchengebäude“, appeliert sie.
Drei Tipps, wie Sie Ihre Bücher vor Schäden bewahren, erfahren Sie in diesem Videoclip.
Zur Sache: Kettenbuch
Das Dompräsenzbuch oder älteres Sakristeibuch befand sich im Mainzer Dom und wurde 1793 bei der Bombardierung der Stadt durch den Domvikar und Sakristan Johann Heinrich Juncker (1725 bis1807) gerettet. Er nahm es an sich und vermachte es dem Priesterseminar. So kam es in die Martinus-Bibliothek. Es enthält zum Beispiel ein „Nekrologium“ mit den Sterbetagen der Erzbischöfe seit dem heiligen Willigis und eine Auflistung der Kirchenfeste und Riten. (jul)
Zur Sache: Wer rettet die Bücher?
Die Koordinierungsstelle zur Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) entwickelt seit 2011 eine bundesweite Strategie zum Erhalt schriftlicher Kulturgüter. Sie verfügt über ein jährliches Budget von 600.000 Euro. In Rheinland-Pfalz kümmert sich die „Landesstelle Bestandserhaltung“ um den Bestandsschutz, in Hessen seit 2017 die „Koordinierungsstelle Bestandserhaltung Hessen“ (KBH). (jul)