Bischof Heiner Wilmer fordert ein radikales Umdenken in der Kirche

Runter vom hohen Ross

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Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer fordert ein radikales Umdenken in der Kirche. Er sagt, die Bischöfe seien „nicht die katholische Stiftung Warentest“. Und er lobt den Kirchenkritiker Eugen Drewermann.


„Der Missbrauch von Macht steckt in der DNA der
Kirche“: Heiner Wilmer, Bischof von Hildesheim | Foto: kna

So klar hat sich noch kein deutscher Oberhirte geäußert: Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer fordert angesichts von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt ein radikales Umdenken in der Kirche. Er spricht sich für ein Kontrollsystem aus und sieht im Kirchenkritiker Eugen Drewermann einen „verkannten Propheten“. In einem Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger sagte Wil-mer, die Kirche nehme das Problem von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch immer noch nicht ernst genug. „Ich glaube, der Missbrauch von Macht steckt in der DNA der Kirche. Wir können das nicht mehr als peripher abtun, sondern müssen radikal umdenken“, sagte der Bischof. Leider fehle es an jeder Idee, welche Konsequenzen das für die Theologie haben müsse.Von der Vorstellung, dass es in der Kirche zwar einzelne Sünder gebe, die Kirche an sich aber rein und makellos sei, müsse man sich verabschieden. „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es ,Strukturen des Bösen‘ in der Kirche als Gemeinschaft gibt“, so Wilmer. „Um das Böse in der Kirche einzudämmen, brauchen wir eine wirksame Kontrolle der Macht in der Kirche. Wir brauchen Gewaltenteilung, wir brauchen ein System von ,Checks and Balances‘.“

Der Missbrauchsskandal sei für das Selbstverständnis der Kirche eine Erschütterung, deren Tragweite mit der Eroberung und Plünderung Roms durch die Westgoten unter Alarich im 5. Jahrhundert vergleichbar sei. „Danach geriet die frühe christliche Theologie in eine Sinnkrise“, erläuterte der Bischof.

„Wer bestimmt,  was katholisch ist?“

Wilmer forderte auch von seinen Mitbrüdern im bischöflichen Amt ein Umdenken: „Alle Selbstherrlichkeit, alles Anspruchsdenken muss fallen. Wir Bischöfe sitzen für mein Empfindenimmer noch zu sehr auf dem hohen Ross. Wir müssen davon herunterkommen: nicht mehr von oben herab, von oben nach unten, sondern auf Augenhöhe mit den Menschen. Und selbst das ist mir noch zu wenig. ,Face to face‘ reicht nicht. Es braucht ein ,Side by side‘.“ Wilmer betonte: „Wir sind nur Kirche, wenn wir an der Seite der Menschen sind, im Schulterschluss mit ihnen.“Der Hildesheimer Bischof fragte: „Wer bestimmt eigentlich, was katholisch ist?“ Und gab die Antwort gleich selbst: „Wir tun immer noch so, als wäre das die Hierarchie; als hätten wir Bischöfe das Recht auf das Label katholisch. Falsch! Wir sind nicht die katholische Stiftung Warentest.“

Die Bischöfe, so erläuterte Wilmer, müssten „Empfänger sein, Hörende, Lernende im Gespräch mit den Katholikinnen und Katholiken, aber auch mit Christen anderer Konfessionen und den Nichtglaubenden“. Wenn er von Kardinal Gerhard Ludwig Müller höre, Laien könnten nach der heiligen Ordnung der Kirche nicht über geweihte Amtsträger urteilen, dann stimme das so nicht. In den ersten Jahrhunderten seien immer wieder Diakone und Priester vom Volk per Akklamation zum Bischof gewählt worden. „Es gab in der Kirche weitaus mehr Formen der Partizipation, als wir heute praktizieren. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Opfer unserer eigenen Geschichtsvergessenheit werden“, betonte der Hildesheimer Oberhirte. Lob fand Wilmer für den Kirchenkritiker Eugen Drewermann. Der sei ein „von der Kirche verkannter Prophet unserer Zeit“, sagte er. Propheten seien schon in der Bibel Menschen gewesen, die ungeschminkt die Wahrheit gesagt hätten – und dafür ins Abseits gedrängt oder gar mundtot gemacht wurden. „Wir brauchen auch heute solche Männer und Frauen, die uns Bischöfen auf die Füße treten, und mag das noch so wehtun“, sagte Wilmer. Drewermann, Autor des dreiteiligen Werkes „Strukturen des Bösen“ und „Kleriker“, hatte Anfang der 1990er-Jahre zunächst seine Lehrerlaubnis verloren und wurde dann vom Priesteramt suspendiert, 2005 trat er aus der Kirche aus. Zu den „prophetischen Männern“ zählt der Bischof auch Pater Klaus Mertes, der 2010 den Missbrauchsskandal in Deutschland öffentlichgemacht hat. Wilmer sagte: „Mertes mahnt uns bis heute unablässig, dass wir die Perspektive der Betroffenen einehmen müssen. (...) Wir brauchen einen radikalen Wandel, einen neuen, unverstellten Blick auf unsere Wurzel, unseren Ursprung: das Leben und die Botschaft Jesu. Und können nicht mehr weitermachen wie bisher.“

„Kein klammheimliches  Verschwindenlassen“

Wilmer versicherte, in seinem Bistum „alles Geschehene aufdecken und aufklären“ zu wollen: „Mit mir wird es kein klammheimliches Verschwindenlassen in irgendwelchen Schubladen geben. Wir brauchen auch dringend so etwas wie Wahrheitskommissionen. Das sehe ich gerade an den Fällen, über die wir hier im Bistum Hildesheim diskutieren.“ Im Bistum Hildesheim werden dem ehemaligen Bischof Heinrich Maria Janssen Missbrauchstaten zur Last gelegt. Erst vor Wochen hatte sich ein zweiter Betroffener beim Bistum gemeldet, nachdem 2015 erste Vorwürfe bekannt geworden waren.

Matthias Bode

 

Interview im Kölner Stadt-Anzeiger als pdf-Datei (mit freundlicher Genehmigung des KSA)