Demenzkranke im Gottesdienst

„Sehr schön war’s“

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Demenzkranke im Gottesdienst
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Fotos: Nicola Trenz

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Ein Gottesdienst ist für viele Demenzkranke vertrautes Terrain.

In normalen Gemeindegottesdiensten fühlen sich Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen nicht immer wohl. Gut, wenn es dann besondere Angebote gibt: kürzer und tolerant bei Unruhe oder Zwischenrufen.

Die Reihen der Kirche sind gut gefüllt. Manche Besucher haben Rollatoren dabei, vor der ersten Kirchenbank sitzen Menschen in Rollstühlen. Die Kirchenglocken läuten. Jemand wird durch den Mittelgang zum Platz begleitet. 

Die Blicke sind Richtung Altar gerichtet, als die Orgel erklingt und den Klassiker „Großer Gott, wir loben dich“ anspielt. Eine Dame singt, ein wenig schief, bereits beim Intro kräftig mit. Hier in der Aachener Kirche Sankt Jakob schaut sie dafür niemand schräg an.

Denn besonders eingeladen sind zu diesem Gottesdienst Menschen mit Demenz und deren Begleitungen. Seit 15 Jahren bereitet Gemeindereferentin Caroline Braun zusammen mit einem Team solche Gottesdienste vor. „Ein Angebot für Menschen, die sich in ihrer Heimatpfarrei vielleicht nicht mehr wohlfühlen, weil sie merken: Die Leute gucken mich komisch an“, so die Seelsorgerin. Denn Menschen mit demenziellen Veränderungen verhalten sich nicht immer, wie die Gesellschaft es für normal hält. 

„Der Herr sei mit euch“, sagt der Pfarrer wie zu Beginn jedes katholischen Gottesdienstes. „Und mit deinem Geiste“, antwortet die Gemeinde. Bei aller Vergesslichkeit im Alltag sind bei vielen Betroffenen tief verwurzelte Erinnerungen noch da. Und so sind auch in vielen der Menschen Glaube und religiöse Rituale tief verankert. Vertraute Lieder, vertraute Gebete, der vertraute Ablauf eines Gottesdienstes und die Vergewisserung des eigenen Glaubens – „das gibt Sicherheit und Kraft“, sagt Caroline Braun.
„Ganz übergreifend muss sich Seelsorge auf jeden Menschen einstellen, passend auf die jeweilige Zielgruppe“, so die Theologin. „Und so ist es bei Personen mit demenziellen Veränderungen meine Aufgabe, einen guten Kontakt zu den Einzelnen aufzubauen; eine gemeinsame Ebene.“ 

Das gelte auch allgemein im Umgang mit Demenzerkrankten. Eine ruhige Atmosphäre helfe beim Versuch zu verstehen, was die Person empfindet oder was sie sagen möchte. Auch versucht Braun zum Beispiel, durch Erinnerungen und Erfahrungen Zugang zu Erkrankten zu bekommen. Musik, Gerüche oder Gegenstände können dafür Vehikel sein und dazu führen, dass Menschen ins Erzählen kommen.
Und so fragt sie in der Predigt im Gottesdienst die mehr als 100 Gottesdienstbesucher: „Wer von Ihnen ist schon mal gepilgert? Vielleicht nach Lourdes? Oder nach Kevelaer?“ Vor dem Altar stehen Wanderschuhe, ein Rucksack und Sonnencreme. Caroline Braun spricht klar und mit kurzen Sätzen. „Nicht kindlich, aber einfach“, so sei der Austausch mit demenzkranken Menschen bestenfalls, sagt sie.

Nur wenige Angehörige kommen mit

Und sie rät, immer darauf einzugehen, was die Person erzählt oder tut. „Nie in Konfrontation gehen und nicht das Gefühl geben, dass der Mensch etwas falsch gemacht hat, das macht nur unsicher“, sagt sie. Es gehe doch darum zu vermitteln: Trotz Defiziten gibt es ganz viel, was noch in dir drin ist, was du kannst! „So eine Sicherheit zu erleben, das ist für jeden Menschen schön.“

Beim Vaterunser bleibt fast kein Mund geschlossen. Die meisten in Sankt Jakob beten dieses wichtigste Gebet aller Christen wohl schon seit 70, 80 oder sogar 90 Jahren. Sie gehören zu einer Generation, für die kirchliches und gesellschaftliches Leben eng verbunden waren. Kirchenchor, Gottesdienstbesuche, Kuchenbacken fürs Gemeindefest: An Kirche hängen für viele ältere Menschen Erinnerungen an Gemeinschaft und Zugehörigkeit genauso wie an wichtige Momente im Leben. Todesfälle, Schützenkönig und die Taufe des eigenen Kindes: Kirche als Teil des Lebens.

Caroline Braun bedauert, dass dies vielen Angehörigen aus jüngeren Generationen anscheinend nicht bewusst ist; sie kämen nur selten mit Demenzerkrankten zu den Gottesdiensten. Stattdessen nähmen Einrichtungen das Angebot gut wahr und brächten die Senioren zur Kirche. 

Zweimal im Jahr bietet Braun diese Gottesdienste in Aachen an, zuletzt im Rahmen der großen Heiligtumsfahrt im vergangenen Juni. Auch an vielen anderen Orten gibt es mittlerweile demenzsensible Gottesdienste, ob evangelisch, katholisch oder ökumenisch. 

„Gehet hin in Frieden“, sagt der Pfarrer. „Dank sei Gott, dem Herrn“ – alle wissen, wie der Gottesdienst endet. Caroline Braun spricht von einem „Geländer“, das die bekannte Form den Menschen gebe. Ungewöhnliches bieten demenzsensible Gottesdienste deshalb nicht. Sie setzen auf bekannte Bibelstellen, Gebete und Lieder und einen vertrauten, typischen Rahmen: Glockenläuten, Kirchenraum, liturgische Kleidung. Und: Kurz sollten Gottesdienste für Menschen mit Demenz sein, etwa 20 bis 30 Minuten.

Zum Auszug spielt die Orgel ein bekanntes Marienlied. Ein Chor singt, viele Menschen singen mit. „Bei Liedern merkt man manchmal richtig, wie sich die Augen der Menschen weiten“, sagt Caroline Braun.
Anne Steffens wird im Rollstuhl aus der Kirche geschoben. „Ich bin jetzt sehr glücklich“, sagt sie. Eigentlich habe sie es nicht mehr so mit Kirche und war lange nicht mehr dort. Aber: „Sehr schön war’s.“ Was ihr besonders gefallen hat? „Die Gemeinschaft“, sagt die Bewohnerin eines Seniorenheims, „und die Musik“. Steffens und ihre Begleiterin steuern zu Kaffee und Kuchen ins Gemeindezentrum. Auch das gehört zu den demenzsensiblen Gottesdiensten in Aachen immer dazu.

kna