Das Ethik-Eck

Seit Jahren arbeiten wir in derselben Firma. Guter Kollege, habe ich immer gedacht...

Image
ethik_eck.jpg

Die Frage lautet diesmal: Seit Jahren arbeiten wir in derselben Firma. Guter Kollege, habe ich immer gedacht. Bis jetzt. Wir haben zum ersten Mal über Politik gesprochen. Oh, Gott. Der hat so verquere Ansichten über Flüchtlinge und Klimawandel … Wie kann ich wieder meinen Frieden finden, damit wir weiter zusammenarbeiten können? Oder sollte ich kündigen?



Dr. Beatrice van Saan-Klein
Biologin, Umweltbeauftragte des Bistums Fulda

Ansage
Bis zu einem gewissen Punkt sind andere Meinungen zwar zu respektieren, aber gerade die Ansichten über Flüchtlinge können menschenverachtend sein und sind dann eben nicht mehr hinzunehmen. Wenn der Kollege aber ansonsten ein guter Kollege ist und die verqueren Ansichten bisher kein Thema waren, dann sind möglicherweise neue Beweggründe die Ursache. Hat er Ängste, vielleicht existenzieller Natur? Könnte sein Job oder seine Wohnung gefährdet sein, so dass er dafür Gründe bei anderen sucht. Falls Sie Ursachen finden, versuchen Sie ihm zu helfen. Signalisieren Sie ihm, dass Sie ihn als Person und als guten Kollegen nach wie vor wertschätzen, aber weisen Sie ihn konsequent darauf hin, dass auch er die Menschwürde und Problemlage der Flüchtlinge achten muss. Eine anonyme Gruppe „die Flüchtlinge“ ist leichter zu verunglimpfen als eine konkrete Person. Erzählen Sie ihm von guten Erfahrungen mit ganz konkreten Menschen, die geflüchtet sind. Vielleicht ist auch eine direkte Begegnung zum Beispiel in der Kantine möglich, die ihm zeigt, der andere ist ja eigentlich ganz nett.
Ähnliches gilt beim Thema menschengemachter Klimawandel. „Leugner“ begegnen einem manchmal als Menschen, die sich einen sehr verschwenderischen Lebensstil leisten können und nicht bereit sind, über persönliche Einschränkungen nachzudenken. Das sehe ich sehr kritisch, dem ist aber mit guten Worten kaum beizukommen. Aber auch das Umgekehrte ist denkbar. Als diejenigen, die sich einiges leisten können, sprechen wir gerne von „weniger ist mehr“. Wer sich aber gerade so das Nötigste zum Leben leisten kann und sich dann vielleicht auch mal zum Beispiel eine Flugreise gönnt, wird sich diese kaum madig reden lassen. Ein Kleinreden der Klimakrise ist dann vielleicht nur der Angriff zur Selbstverteidigung. Auch wenn sich bei jedem Einkommen durch bewussten Konsum Klimagase und eben auch Geld einsparen lassen, so bedarf es doch hoher Sensibilität und vor allem eines gelebten guten Beispiels, um Einsicht und eine Änderung des Konsumverhaltens zu erreichen.
Ein Vorleben liebender Achtsamkeit gegenüber allen Mitgeschöpfen und unvoreingenommene Wertschätzung des Kollegen als Mitmensch kann vielleicht mehr bewirken als ein Gesprächsabbruch.
Wenn wirklich gar nichts mehr geht, können Sie letztlich höflich darum bitten, die kritischen Themen während der Arbeit nicht anzusprechen.


Ruth Bornhofen-Wentzel
Leiterin der Ehe- und Sexualberatung
im Haus der Volksarbeit in Frankfurt

Aushalten
Wie gut, dass es diesen Kollegen gibt – denn dieser Kollege ist ein guter Kollege. Was macht das aus? Vielleicht ist er zuverlässig, hilfsbereit, hält Absprachen ein, packt mit an. Oder er ist freundlich und seit Jahren vertraut.
Und jetzt die Politik! Da werden auf einmal Unterschiede sichtbar und zwar deutliche. Es gibt ein Erschrecken: Das kann doch nicht sein, das passt doch nicht zusammen. Wenn ich jemanden so patent finde, dann muss er doch mir ähnlich sein. Wir müssten uns doch auch auf anderen Gebieten gut verstehen.
Ist aber nicht so. Der Kollege wird für seine Ansichten seine eigenen guten Gründe haben, die ich nicht kenne oder die für mich nicht gelten. Ich kann mich dafür interessieren, muss es aber nicht zwingend.
Das ist vielleicht der Unterschied zwischen einem Kollegen und einem Freund. Da möchte ich doch mehr wissen und mich auf einer Wellenlänge fühlen. Da lohnt es sich, sich auseinanderzusetzen und zu versuchen, sich gegenseitig zu verstehen. Die Freundschaft soll ja bleiben, und beide sollen gerne zusammen sein wollen. Beim Kollegen ist das anders. Da trifft man sich am Arbeitsplatz wieder, unabhängig von der Beziehung, die man hat.
Es ist nicht immer leicht, auszuhalten, dass es Spannungen und Widersprüche gibt, die nun mal da sind. Und die nicht ausgeräumt werden können, in Beziehungen, aber auch in einem selbst. Und vielleicht auch nicht ausgeräumt werden müssen.
Wie mit dieser Spannung umgehen? Was machen mit dem Widerspruch? Für den inneren Ausgleich hilft es, Klarheit zu schaffen. Es kann hilfreich sein, eine Grenze zu ziehen und die Unterschiede auszusprechen. Du siehst das so – ich sehe das so, wir verstehen uns da nicht gut. Oder auch: Ich kann diese Ansichten schlecht ertragen und ich will gleichzeitig weiter gut zusammenarbeiten. Und dann sich abzusprechen: Wir lassen hier die Diskussion sein oder wir reden über dies oder jenes nur dann, wenn beide es wollen. Das hilft auch gegen Eskalationen oder schlechte Stimmung. Es ist klar, was miteinander geht und was nicht.
Kollegen können in wichtigen Fragen nun mal unterschiedlicher Meinung sein. Gut, dass es bei der Arbeit darum nicht geht. Es sind Fragen der persönlichen und privaten Erfahrung und Sicht auf die Welt. Die anderen guten Erfahrungen mit dem Kollegen ändern sich dadurch ja nicht. Sie dürfen bleiben und können weitergehen.


Stephan Goertz
Professor für Moraltheologie an der Universität Mainz

Verquer?
Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie blühen Verschwörungsideologien. Weil das Virus uns alle angeht, da wir alle von einer Ansteckung bedroht sind, lassen uns verquere Ansichten, zum Beispiel von Corona-Leugnern oder Impfgegnern, nicht kalt. Eine Auseinandersetzung kann dabei schnell eskalieren. Zuviel steht auf dem Spiel. Mit Argumenten, so scheint es, kommt man Verschwörungsideologien nicht bei. Wenn man dem Konflikt aber nicht ausweichen kann, wie kann man dann zu einem erträglichen Mitein-ander finden?
Mir kommen bei der Frage zwei Gedanken. Zunächst: Was ist eine „verquere“ Ansicht? Nicht jede von der eigenen politischen Überzeugung abweichende werden wir verquer nennen dürfen. Differenzen sind zu tolerieren – auch wenn es schwerfallen kann. Schließlich hält man die eigene Position zumeist für die richtige und vernünftige.
Anders sieht es aus, wenn verquer in die Richtung der angesprochenen Verschwörungsideologien geht. Hier verlässt, verkürzt gesprochen, der oder die andere den Boden einer gemeinsamen Orientierung an der Wirklichkeit – ähnlich wie in einer Sekte, die sich im Kampf gegen die böse Welt in sich selbst verkapselt.
Eine dritte Ebene von verqueren Ansichten bilden Überzeugungen, die sich mit der Menschenwürde und den Menschenrechten nicht vereinbaren lassen, also zum Beispiel gewaltbereiter Rassismus oder religiöser Fanatismus. Hier an Toleranz zu appellieren, könnte für eine demokratische, freiheitliche Gesellschaft selbstzerstörerisch werden.
Nun aber – das ist der zweite Gedanke – zum geschilderten Fall. Was ist zu tun, wenn Gespräche mit dem Kollegen über die genannten Themen das gemeinsame Arbeiten schwer erträglich machen? Wenn die Zusammenarbeit den eigenen inneren Frieden bedroht? Sich mit verqueren Ansichten zu arrangieren, kann nach dem oben Gesagten nicht immer verlangt werden. Aber, und das hat mich bei der Frage verblüfft, warum sollte dann die eigene Kündigung in Frage kommen? Zunächst stehen andere in der Verantwortung. An erster Stelle der Arbeitgeber, dem der Betriebsfrieden nicht gleichgültig sein darf. Auch könnte man an den Betriebsrat herantreten, um nach einer Lösung zu suchen.
Eine Kündigung wäre meines Erachtens nur dann in Betracht zu ziehen, wenn sich trotz aller Bemühungen keine Änderung der Situation herbeiführen lässt, man weiteren Auseinandersetzungen aus dem Wege gehen will und sich gut eine neue Stelle finden lässt. In diesem Fall könnte der eigene innere Friede tatsächlich wichtiger sein als ein permanentes Sich-Aufreiben.