Endrucksvolle Kirchbauten aus der Nachkriegszeit

Signale des Neubeginns

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Wolfsburg war in der Nazizeit als Stadt ohne Kirchen geplant. Heute prägen eindrucksvolle Kirchbauten aus der Nachkriegszeit das Stadtbild. Die KiZ stellt sie zum Start einer kleinen Serie vor. 

ä Die Deckenkonstruktion der Heilig-Geist-Kirche wurde bis tief nach unten gezogen und schafft eine eigene Dynamik.
Die Deckenkonstruktion der Heilig-Geist-Kirche wurde
bis tief nach unten gezogen und schafft eine eigene Dynamik.  

Sie ist die ältere und auch die extravagantere der beiden Kirchen, die der finnische Stararchitekt Alvar Aalto in den 1960er Jahren in Wolfsburg gebaut hat: Die evangelische Heilig-Geist-Kirche auf dem Klieversberg ist ein eleganter Bau ganz in Weiß – wie die jüngere Schwester, die Stephanuskirche im Stadtteil Detmerode – selbstbewusst, dabei offen, lichtdurchflutet, mit einem freistehenden Glockenturm aus Stahlbeton, der 32 Meter hoch in den Himmel ragt. Der Turm der Heilig-Geist-Kirche setzt sich aus zwei dünnen Betonscheiben zusammen, wie an einer Leiter sind dort die einzelnen Glocken angebracht, oben erhebt sich ein fast filigranes Kreuz.

Die Kirche am Wolfsburger Klieversberg wurde 1962 geweiht, als Herzstück des Gemeindezentrums mit Pfarr- und Küsterwohnungen, Gärten und Kindergarten. Sie prägt den Stadtteil und fügt sich in die Landschaft ein. Und sie ist, wie die Stephanuskirche, die 1968 eingeweiht wurde, ein beeindruckendes Zeugnis moderner Sakralbaukunst als Signal des Neubeginns nach dem Zweiten Weltkrieg. Der renommierte finnische Architekt ist ein bedeutender Vertreter der Internationalen Moderne, der in der Tradition namhafter Architekten wie Le Corbusier und Mies van der Rohe steht. Dass er in Wolfsburg zwei Gotteshäuser und in der Innenstadt auch das Kulturhaus gebaut hat, ist europaweit einmalig. Aaltos Kirchen gehören zu den touristischen Anziehungspunkten der Stadt – diese beiden Kirchen haben eine einzigartige Raumwirkung. 

Der Innenraum der Heilig-Geist-Kirche hat einen trapezförmigen Grundriss, dadurch entwickelt sich eine ungewöhnliche Dynamik: Wer die Kirche betritt, blickt auf die vom Altar her aufsteigende schalenförmige Decke aus Holz, die das Kirchenschiff überwölbt: Durch die hellen Fenster fällt das Licht, der Raum weitet sich und empfängt seine Besucherinnen und Besucher geradezu mit offenen Armen. Der Blick fällt auf den Altar, einen einfachen Block, und auf die schlichte Kanzel, die im Licht des Nordfensters steht. Die Orgel- und Chorempore liegt auf der gegenüberliegenden Seite. Über der kleinen Taufkapelle im Süden öffnet sich ein Oberlichtfenster. So wird die Kirche von mehreren Seiten ins Licht getaucht, die warmen Holztöne der Decke und der Kirchenbänke erden den Raum und lassen ihm zugleich seine Leichtigkeit. 

Der bronzene Kruzifixus des Künstlers Karl-Henning Seemann zeigt einen leidenden Christus – mit ausgezehrtem Körper, die linke Hand deutet seinen Todeskrampf an. Die expressive Figur erhöht noch einmal die Spannung in diesem Raum, der sehr viel Himmel und sehr viel Natur hineinlässt. Die Heilig-Geist-Kirche ist verlässlich geöffnet. Doch das beeindruckende Gotteshaus sowie das Gemeindezentrum mit seinen Gebäuden sind längst zu groß geworden für die Gemeinde. Sie kann die notwendigen Sanierungskosten nicht mehr aufbringen. Deshalb soll das Ensemble demnächst verkauft werden.

Gemeinsam mit der Stadt Wolfsburg hat der Kirchenkreis Wolfsburg-Wittingen eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, um ein Konzept für eine sinnvolle Nachnutzung des denkmalgeschützten Ensembles zu entwickeln. Superintendent Christian Berndt und Gemeindepastor Holger Erdwiens wünschen sich, dass die Heilig-Geist-Kirche nach dem Verkauf wenigstens teilweise für Gottesdienste genutzt werden kann. „Das Ensemble soll zwingend erhalten bleiben“, betont auch Stadtbaurat Kai-Uwe Hirschheide. Denkbar wäre etwa eine kulturelle Nutzung, die in den Stadtteil hineinwirkt.

Viel Beton und dennoch überaus markant: St. Stephanus
Viel Beton und dennoch überaus markant:
St. Stephanus 

Die Stephanuskirche, die Alto wenige Jahre später im Stadtteil Detmerode gebaut hat, steht direkt am Marktplatz, am Ende der Fußgängerzone in diesem Neubaugebiet aus den 1960er Jahren. Eine Kirche, die sich in den Alltag einfügt. Ihre Fassade erinnert auf den ersten Blick eher an ein Kino als an ein Gotteshaus. Wäre da nicht der unvollendete Turm, der wie eine verkürzte Leiter nach oben weist. Der halbhohe weiße Betonturm, dem die Glocken fehlen, erinnert an eine Stele, er ist inzwischen zum Wahrzeichen des Stadtteils geworden. Das Gemeindezentrum hat ein großzügiges Foyer, von hier aus betritt man werktags auch die Kirche, die ebenfalls auf einem trapezförmigen Grundriss errichtet wurde. Und auch hier scheint der Raum aus weißen Wänden in Bewegung zu sein, dafür sorgt der Lichteinfall durch die hellen Fenster, ein Spiel aus Licht und Schatten. An der Decke hängen kreisrunde, hölzerne Schallreflektoren, sie schweben wie Holzschirme über den Köpfen der Menschen. Eine „sachliche Festlichkeit“, die für Aaltos Bauten charakteristisch ist, prägt auch diesen Kirchenraum.


Ebenfalls viel Beton und auch markant:
St. Raphael 

In Blickachse zur evangelischen Stephanuskirche steht die katholische St. Raphael-Kirche, ein Trutzbau aus Beton von 1973, dem manch ein Gemeindemitglied zunächst skeptisch gegenüber stand. Von einem „Bunker“ war die Rede oder auch von einer „Festung“. In dem Gemeindezentrum nach den Plänen von Toni Hermanns wird die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils aufgenommen: Die geschwungene Holzdecke zentriert den Blick auf den Altar, der wie eine Insel mitten im Kirchenraum steht – nah bei den Menschen. In der Kirche hat man unterschiedliche Materialen verbaut: Holz, Beton oder Industrieglas. „Hier sieht man, dass mit sehr viel Herz für die neue Liturgie gebaut wurde und dass hier einige mutige Menschen am Werk waren, die diese Ideen auch umgesetzt haben“, betont Pfarrer Thomas Hoffmann. Er predigt gern in dieser Kirche mit dem weithin sichtbaren Metallkreuz. Eine Kirche mit Ecken und Kanten. Heute steht sie unter Denkmalschutz – als ein bemerkenswertes Beispiel der Architektur ihrer Zeit.

Die Wolfsburger Heilig-Geist-Kirche ist verlässlich geöffnet, die beiden anderen Kirchen auf Anfrage über die jeweiligen Gemeindebüros. 

Von Karin Dzionara

 

 

Neue Serie 

Zu kühl, zu beliebig, zu viel Beton? Nie zuvor wurden so viele Kirchen gebaut wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch diese Gotteshäuser sind längst nicht so beliebt wie die mittelalterlichen Dome und Kathedralen oder die neogotischen Kirchen mit ihren Türmchen und Spitzbögen. Nun ist man vielerorts dabei, die oft auch verborgene Schönheit moderner Kirchenbauten wieder zu entdecken. Viele von ihnen standen damals für einen religiösen Aufbruch. In einer kleinen Serie stellen wir Ihnen einige spannende Beispiele der Nachkriegsmoderne vor.