Was Papstreisen mit den Menschenrechten zu tun haben

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Papst und Fidel Castro
Nachweis

Foto: imago/ZumaWire

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Papst Johannes Paul II mit Fidel Castro

Eine neue Studie beweist: Papstbesuche verbessern die Menschenrechtslage im Gastgeberland. Warum ist das so? Woran zeigt es sich? Und wie könnte die Kirche diese Erkenntnis nutzen? Der Hamburger Rechtswissenschaftler Jerg Gutmann, einer der beiden Autoren der Untersuchung, gibt Antworten.

Am auffälligsten, sagt Jerg Gutmann, seien die Ereignisse in Kuba und auf den Philippinen. Beide Länder hat Papst Johannes Paul II. besucht, und in beiden haben seine Reisen Bemerkenswertes bewirkt. Auf den Philippinen ließ der Diktator Ferdinand Marcos einen Monat vor dem Papstbesuch 1981 das Kriegsrecht aufheben, das bis dahin über acht Jahre gegolten hatte. Und er ließ 340 Gefangene frei. Kubas Diktator Fidel Castro entließ 1998 die Hälfte aller politischen Gefangenen – einige von ihnen vor, einige kurz nach dem Besuch des Papstes. Gutmann sagt: „Diese strategischen Signale sind nicht zufällig gewählt. Die Politiker möchten beim Papstbesuch in einem möglichst guten Licht dastehen.“ 

Der Hamburger Rechtswissenschaftler hat mit seinem Brüsseler Kollegen Marek Endrich eine empirische Untersuchung veröffentlicht, die zeigt: Wenn Päpste reisen, dann verändern sie etwas. In den Ländern, die sie besuchen, verbessert sich vor ihrer Ankunft die Menschenrechtssituation – und nach ihrer Abreise verschlechtert sie sich zumindest nicht wieder. Analysiert haben die Forscher alle Papstbesuche außerhalb Italiens von 1964 bis 2019. 

Jerg-Gutmann
Jerg Gutmann. Foto: Universität Hamburg / Kursun

Wie sie auf die Idee dazu gekommen sind? Gutmann sagt, er habe sich schon immer dafür interessiert, wie Religion sich auf Politik und Gesellschaft auswirkt. Und das Thema Menschenrechte sähen Endrich und er in den vergangenen Jahrzehnten „als den Markenkern der katholischen Kirche, als etwas, wofür sie wirklich steht“. Sie wollten herausfinden, ob das Bekenntnis zu Menschenrechten nur ein frommer Wunsch ist oder mehr. 

Grundlage ihrer Untersuchung waren die jährlichen Berichte von Amnesty International und dem US-Außenministerium zur Menschenrechtssituation in Ländern auf der ganzen Welt. Darin werden Folter, das Verschwinden von Oppositionsunterstützen und die Bedrohung von Journalisten dokumentiert. Aus diesen Berichten ließen sich mit statistischen Verfahren Kennzahlen bilden, die beschreiben, wie es etwa um die Meinungsfreiheit, die Religionsfreiheit und die Bewegungsfreiheit steht – und wie sie sich verändert haben.

Die spürbaren Auswirkungen in Kuba und auf den Philippinen, erläutert Gutmann, seien nicht repräsentativ. Ihre Untersuchung habe für Papstbesuche in Autokratien keinen statistisch signifikanten Effekt nachweisen können. Auch Autokraten seien Papstbesuche zwar nicht egal, denn auch sie stünden in den internationalen Medien gern gut da – vor Investoren und Touristen, vor anderen Regierungschefs, vor der einheimischen Bevölkerung. 

In Demokratien hätten die Besuche jedoch deutlicher gewirkt. Das liege vermutlich daran, dass Politiker in Demokratien stärker auf ihre Außendarstellung angewiesen seien und Mehrheiten für ihre Wiederwahl bräuchten. Positive Schlagzeilen bei einem international beachteten Papstbesuch helfen da natürlich. Im demokratischen Sri Lanka wurden vor dem Papstbesuch 2015 insgesamt 1000 Strafgefangene durch den Präsidenten begnadigt. Häufig sind die Verbesserungen der Menschenrechtslage unspektakulärer und subtiler – und eben doch wissenschaftlich messbar.

Noch, sagt Gutmann, hätten er und sein Kollege ihre Studie nicht an den Vatikan geschickt. Aber vielleicht sei das eine Überlegung wert. Er glaube zwar nicht, dass die Ergebnisse die Politstrategen dort überraschen würde. Aber womöglich könnte die Studie helfen, das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie wirkungsvoll die päpstliche Außenpolitik ist. 

Der Vatikan könne diese Wirksamkeit ruhig mehr vermarkten, sagt Gutmann: „Das ist eine starke Botschaft.“ Der Vatikan solle „damit selbstbewusst auftreten“. Zum einen, um das Thema Menschenrechte weiter zu stärken; zum anderen, um Gläubige zu begeistern und neue Mitglieder zu gewinnen. Zuletzt habe die Kirche ja oft durch Missbrauchs- und Finanzskandale in den Schlagzeilen gestanden, da sei ein positiver Impuls doch wertvoll.

Und was hat Gutmann selbst aus seiner Studie gelernt? Welche Erkenntnis nimmt er aus 55 Jahren Papstreisen mit? „Für Johannes Paul II. hatte ich die größten Sympathien“, sagt der Rechtswissenschaftler. Beeindruckt habe ihn, wie stark und erfolgreich er sich für die Demokratisierung in Osteuropa engagiert hat, besonders in seinem Heimatland Polen. „Er war sehr kompetent darin, politische Zeichen zu setzen. Er ist eine Figur, vor der ich sehr großen Respekt habe“, sagt Gutmann. Johannes Paul II. habe „ein unglaubliches Vermächtnis hinterlassen. Für andere Päpste ist es schwierig, in seine Fußstapfen zu treten.“

Zur Person
Jerg Gutmann (40) hat in Stuttgart und Marburg studiert und ist seit Januar 2019 Juniorprofessor an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg.

Andreas Lesch