Zwischenbericht in Mainz vorgestellt

Studie zu sexuellem Missbrauch entdeckt Fehlverhalten

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Bagatellisieren, Ignorieren, Schweigegebote: Der Regensburger Rechtsanwalt Ulrich Weber spricht von Fehlverhalten im Umgang mit sexualisierter Gewalt im Bistum Mainz. Er stellte den Zwischenbericht seines Aufklärungsprojekts vor. Von Anja Weiffen.

Pressekonferenz unter Corona- bedingungen: Rechtsanwalt Ulrich Weber im Erbacher Hof in Mainz, Foto: Bistum Mainz
Pressekonferenz unter Corona- bedingungen: Rechtsanwalt Ulrich Weber
im Erbacher Hof in Mainz, Foto: Bistum Mainz

Wie kann es sein, dass ein Priester Vorfälle sieht und sie nicht meldet? Wie kann es sein, dass verantwortliche Stellen nicht informiert wurden, obwohl pädophile Neigungen eines Beschuldigten bereits Stadtgespräch waren? Wie kann es sein, dass das Umfeld von Betroffenen trotz klarer Indizien für eine Täterschaft insbesondere Priestern ein unerschütterliches Vertrauen entgegenbrachte? 

Struktureller Missbrauch auf breiter Ebene

Mit einer ganzen Reihe solcher „Wie kann es sein“-Fragen macht Rechtsanwalt Ulrich Weber bei der Präsentation seines Zwischenberichts im Erbacher Hof in Mainz deutlich, wie sich die Lage im Bistum Mainz im Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Vergangenheit dargestellt hat. „Struktureller Missbrauch auf breiter Ebene“ ist Webers Pressemitteilung zum Zwischenbericht überschrieben.

Im Juni 2019 hatte die Mainzer Bistumsleitung den Regensburger Rechtsanwalt und sein Team als externe Aufklärer mit dem unabhängigen Aufklärungsprojekt „Erfahren. Verstehen. Vorsorgen“ (EVV) beauftragt. Das Projekt untersucht den Zeitraum von 1945 bis 2019. Es soll folgende Fragen klären: „Gibt es Rahmenbedingungen im Bistum, die sexuelle Gewalt befördert oder nicht verhindert haben?“, „Wie wurde mit Fällen sexueller Gewalt umgegangen, nachdem sie bekannt geworden waren?“ und „Gab es im Bistum seit dem Zweiten Weltkrieg weitere, bislang unbekannte Fälle von sexueller Gewalt?“

Ulrich Weber geht mit der Präsentation des Zwischenberichts vor allem auf die zweite Frage nach dem Umgang mit Vorfällen ein. Er spricht von Fehlverhalten, nicht nur von der jeweiligen verantwortlichen Bistumsleitung – 90 Prozent der Vorfälle ereigneten sich vor 2014, die aktuelle Bistumsleitung ist erst seit 2017 im Dienst –, sondern auch innerhalb von Pfarrgemeinden. 

„Klare Indizien und Kentnisse durch Mitarbeiter vor Ort wurden in den Pfarrgemeinden negiert, bagatellisiert und/oder für sich behalten.“ Melder und Betroffene seien – teils sogar durch Anwendung körperlicher Gewalt – unter Druck gesetzt, diskreditiert und isoliert worden. 

Die Bistumsleitungen hätten in der Vergangenheit nicht angemessen auf einschlägige Meldungen von Vorfällen reagiert, es habe keine funktionierenden Kontrollmechanismen gegen den weiteren Einsatz von Priestern trotz Kenntnis früherer Taten gegeben. 

Häufige Reaktion sei Versetzung gewesen

Eine häufige Reaktion auf Missbrauchsfälle sei einzig die Versetzung in eine andere Pfarrei gewesen. Selbst schwere Missbrauchsfälle hätten lediglich zu geringen Sanktionen seitens der Bistumsleitung geführt. Weber spricht auch von Schweigegeboten. Er betont auf Nachfrage, dass bei Personalentscheidungen die Verantwortung beim Bischof liegt und nicht beim Personalchef. 

Im Unterschied zu der MHG-Studie von 2018, die für das Bistum Mainz von 53 Tätern und 169 Opfern spricht, macht das Projekt EVV 273 Beschuldigte und 422 Betroffene aus. Diese Differenz entsteht durch das „abweichende Untersuchungsdesign“, wie Weber mitteilt. Die EVV-Vorfälle sind weiter gefasst und reichen beispielsweise von der Ausnutzung der Beichte bis hin zum schweren sexuellen Missbrauch eines Vorschulkindes.

Weber: „Wir erwarten von dem Zwischenbericht eine Motivation, dass sich Wissensträger bei uns melden. Wir wollen Meldungen provozieren.“

Kontakt: Rechtsanwalt Ulrich Weber, Telefon 0941 / 7 06 06 31, E-Mail: uweber@uw-recht.org

 

Zitiert: „Wir wollen Transparenz schaffen“

„Wir wenden den Blick nicht ab. Wir wollen Transparenz schaffen und wir wollen gerade die systemischen Fragen verstehen, die in der Kirche dazu beitragen, dass sexuelle Gewalt nicht verhindert oder sogar befördert wird.“ (…) 

„Dieses Projekt ist einer der Schritte, die wir als Kirche gehen, um Glaubwürdigkeit und Vertrauen zurückzugewinnen, die durch sexualisierte Gewalt, missbrauchtes Vertrauen sowie Wegsehen und Desinteresse zerstört worden sind.“ (…) 

„Wir werden nicht auf die Suche nach Entschuldigungen gehen. Wir werden uns der Frage stellen, was solches Fehlverhalten für das Leben der Kirche heute bedeutet, für unsere Präventionsarbeit, aber auch für die historische Einordnung und Erinnerung an Menschen, die früher im Bistum gearbeitet und Verantwortung getragen haben.“

Aus dem Statement von Bischof Peter Kohlgraf als erste Reaktion auf den Zwischenbericht von Rechtsanwalt Ulrich Weber

 

 

Zur Sache: „Perspektive der Betroffenen muss leitend sein“

Weihbischof und Generalvikar Udo Markus Bentz erläutert in seiner ersten Reaktion auf den Zwischenbericht Maßnahmen des Bistums: „Wir sind dabei einen Betroffenen-Beirat einzurichten. Vertreter dieses Rats sollen künftig in unserer mit externen Experten besetzten Aufarbeitungskommission mitarbeiten und sie kritisch begleiten.“ In persönlichen Gesprächen sei deutlich geworden, so Bentz, dass die Perspektive der Betroffenen nicht nur Voraussetzung für eine Aufarbeitung ist, sondern leitend für die Wege der Aufarbeitung sein muss. „Die Betroffenen geben den Ton an, geben die Perspektive vor.“ Die Ende 2018 eingerichtete Aufarbeitungskommission wird aktuell neu aufgestellt und soll künftig von einem externen Mitglied geleitet werden.

Zu Anerkennungszahlungen sagt Bentz, dass diese seit der Neuorganisation der Aufarbeitung im Bistum 2018 nicht über Kirchensteuermittel finanziert werden. Nur Kapitalerträge des Bistums werden verwendet. Auch fordere man von noch lebenden Tätern finanzielle Beteiligung ein. (wei)