Kultur im Gottesdienst

Theater ist lebensrelevant

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Die Corona-Pandemie ist auch eine Krise der Kulturschaffenden. Mitglieder des „Theater ex Libris“ aus Münster sind jetzt in Gottesdiensten im Bistum Osnabrück aufgetreten. Kirche und Kultur – das funktioniert.


Bei der Andacht in Salzbergen traten (von links) Jakob Reinhardt, Urs von Wulfen und Markus von Hagen vom „Theater ex Libris“ auf. Foto: Sebastian Hamel

Erwartungsvoll sitzen die Gemeindemitglieder am Nachmittag des zweiten Adventssonntags in den Bankreihen der neugotischen St.-Cyriakus-Kirche in Salzbergen. Sie sind gekommen, um eine außergewöhnliche Andacht zu erleben. Neben Pfarrer Daniel Brinker werden auch drei Mitglieder des „Theater ex Libris“ diese Feier mit Worten und Klängen gestalten. 

Der Hintergrund: Wie viele Akteure aus dem kulturellen Bereich sind auch die Mitwirkenden des „Theater ex Libris“ von den aktuellen Corona-Beschränkungen betroffen und können ihrer Tätigkeit nur sehr begrenzt nachgehen. Es kam die Diskussion auf, warum denn Gottesdienste stattfinden dürfen und Kulturveranstaltungen nicht. 

Die Gruppe wurde daraufhin von verschiedenen Kirchengemeinden – mit denen sie bereits in der Vergangenheit kooperiert hatte – eingeladen, um dort in kleinem Ensemble zu lesen. Über den guten Draht zwischen Pfarrer Brinker und „Theater ex Libris“-Darsteller Urs von Wulfen, der beruflich in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Bistums Osnabrück tätig ist, kamen die Künstler auch nach Salzbergen. Zu den weiteren Stationen zählen Bad Laer, Hagen am Teutoburger Wald und Bissendorf.

„Wir wollen uns einladen lassen, innezuhalten und zum Nachdenken zu kommen“, leitet Pfarrer Brinker den Auftritt ein. Alsdann treten Urs von Wulfen und Markus von Hagen an die Mikrofone, Jakob Reinhardt nimmt am Keyboard Platz. Im Gepäck haben die drei Theatermitglieder die 1888 erschienene Kurzgeschichte „Der selbstsüchtige Riese“ des irischen Schriftstellers Oscar Wilde. Das Kunstmärchen handelt von einem Riesen, der einen schönen Garten besitzt, aber keine spielenden Kinder darin duldet. Nachdem er die unerwünschten Gäste vertrieben hat, herrscht in dem Garten ein ewiger Winter. Erst allmählich schwindet der Egoismus des Riesen – und am Ende nimmt die Geschichte eine christlich inspirierte Wendung.

Alle glauben an die Schönheit

Nach der rund 15-minütigen Darbietung richtet sich Urs von Wulfen mit eindringlichen Worten an die Gemeinde: „Seit März können wir nicht mehr das tun, was wir lieben“, sagt er. Für viele bedeute dies eine wirtschaftliche Katastrophe, doch vor allem sei das Theaterspiel eine Herzensangelegenheit. Die Frage, ob Theater denn „systemrelevant“ sei, hält von Wulfen für falsch. Er favorisiert den Begriff „lebensrelevant“ – ein Attribut, das auch für die Kirche gelten sollte. Das Wort „relevant“ stammt vom lateinischen Verb „relevare“ ab, was so viel wie „entgegenheben“ bedeute – das Schöne und Wichtige soll entgegengehoben werden. 

„In unserer Gruppe sind auch Atheisten, aber alle glauben an die Schönheit“, betont er und zitiert die Bibel: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“ Von Wulfen möchte möchte nicht dazu aufrufen, mit den Sicherheitsmaßnahmen zu brechen. Er legt den Anwesenden vielmehr ans Herz: „Nehmen Sie sich Zeit für die lebensrelevanten Dinge.“

Den Mitgliedern des Theaters war es dabei wichtig, nicht zu „schummeln“: So wollten sie bewusst mit einem zeitlich begrenzten Beitrag Teil eines richtigen Gottesdienstes sein – und nicht einfach einen längeren Auftritt als solchen ausgeben. Bei den Kirchenbesuchern kam die Einlage jedenfalls bestens an, sie spendeten kräftigen Applaus. Und auch Pfarrer Brinker kann sich vorstellen, ähnliche Formate künftig wieder anzubieten.

Sebastian Hamel

 

Zur Sache

Das „Theater ex Libris“ (lateinisch: „aus den Büchern“) gehören 15 Mitglieder an. Es tritt seit zehn Jahren unter Leitung des Schauspielers Christoph Tiemann mit Live-Hörspielen auf. Am 20. Dezember streamt das Ensemble mit fachlicher Unterstützung des als „Kirchendude“ bekannten Recklinghausener Pfarrers Hanno Rother auf seiner Facebook-Seite sowie über den „Kirchendude“-Kanal auf der Plattform Twitch ab 18 Uhr „Eine Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens“.