Trauern im eigenen Tempo
„Beim Trauern gibt es kein richtig oder falsch“, sagt Verena Kitz. Gerade jetzt seien die Kontaktbeschränkungen eine enorme Belastung. Ein Gespräch über Abschiedsrituale. Von Heike Kaiser.
Seit Anfang des Jahres ist Verena Kitz Leiterin des Zentrums für Trauerseelsorge St. Michael in Frankfurt. Zu ihr und ihrem kleinen Team kommen Menschen, die einen lieben Menschen verloren haben, die zur Bewältigung ihrer Trauer Begleitung und Unterstützung suchen.
„Trauern ist höchst individuell“, sagt sie. „Gerade in der Zeit der Corona-Krise möchten wir Trauernde ermutigen, ihrer Trauer möglichst die Form und den Raum zu geben, den sie brauchen.“
Trotz vieler Einschränkungen gibt es noch viele Möglichkeiten dazu. Beisetzungen waren viele Wochen nur im engsten Kreis möglich. Auf dem Frankfurter Hauptfriedhof durften in den vergangenen Wochen beispielsweise maximal fünf Personen daran teilnehmen. In anderen Kommunen einige mehr. „Der Friedhof ist jedoch auch ein öffentliches Gelände“, sagt die Trauerseelsorgerin. Sie hat schon erlebt, dass die engsten Angehörigen während einer Beerdigung ganz dicht am Grab waren – natürlich im gebotenen Sicherheitsabstand zueinander. „Aber in zehn, 15 Metern Entfernung standen weitere Trauernde, die dadurch gezeigt haben, dass sie Anteil nehmen.“ Manchmal waren junge Leute dabei, die ein Schild gestaltet und hochgehalten haben: „Wir sind bei euch“, stand da drauf zu lesen.
Trotz der nun erfolgten Lockerungen bleiben Einschränkungen. „Denen, die nicht zur Beisetzung kommen dürfen, kann man den Zeitpunkt der Beerdigung nennen und vielleicht die Gebete, die gesprochen werden, die Bibelstelle, die vorgetragen oder die Traueransprache, die gehalten wird, zur Verfügung stellen, dass sie zur selben Zeit an einem anderen Ort mitbeten können“, nennt Verena Kitz eine weitere Möglichkeit der persönlichen Anteilnahme. „Oder sie kommen kurz nach der Beisetzung auf den Friedhof, wenn sich die engsten Angehörigen verabschiedet haben, stellen eine Kerze auf oder werfen eine Blume in das Grab. Manche gestalten auch einen Stein und legen ihn ab“, erzählt sie.
Was ihrer Ansicht nach im Moment immer wichtiger wird, ist, sich die Zeit zu nehmen, den trauernden Angehörigen persönliche Briefe zu schreiben, „in denen das steht, was man vielleicht persönlich am Grab gesagt hätte“.
Verena Kitz bietet an, mit einem oder einer Trauernden spazieren zu gehen. „Ich habe das schon häufiger gemacht. Wir gehen durch den nahe gelegenen Günthersburgpark, und wenn wir Glück haben, finden wir auch eine Bank, die groß genug ist, um uns nebeneinander zu setzen und uns zu unterhalten.“
Bei der Trauerbewältigung helfe auch, eine Schatzkiste mit Erinnerungen anzulegen. „Einer Witwe zum Beispiel könnten Angehörige und Freunde dafür Gegenstände zur Verfügung stellen: Die Ansichtskarte, die der Verstorbene damals aus dem Urlaub in Italien geschrieben hat. Fotos von gemeinsamen Unternehmungen. Das Armband, das er mal zur Erstkommunion geschenkt hat. Das hilft, Erinnerungen wieder einzusammeln.“ Denn Menschen in Trauer hätten oft Angst, nach einer Weile vieles zu vergessen.
Corona zeigt, wie wichtig es ist, sich mit den Themen Trauer und Tod zu beschäftigen. „Das ist eine wichtige Lernerfahrung“, unterstreicht Verena Kitz. Manchmal dürfen selbst engste Angehörige einen Verstorbenen nicht mehr sehen, wenn er an einer gefährlichen Infektionskrankheit wie Corona gestorben ist. Sie rät Trauernden in einem solchen Fall, als Zeichen ihrer Liebe und Zuneigung ein Tuch selber zu gestalten, zu bemalen und es in den Sarg legen zu lassen. Oder einen Brief zu schreiben: „Das hätte ich dir gerne noch gesagt, aber es ging nicht mehr.“
„Der Tod ist so abstrakt. Alles, was hilft, ihn etwas greifbarer werden zu lassen, die Liebe zu einem Verstorbenen mit einem Zeichen auszudrücken, ist eine große Hilfe“, hat Verena Kitz schon so oft miterlebt.
Beim Trauern findet jeder sein eigenes Tempo, sagt sie. Die, die oft zum Grab gehen, genau wie die, die lieber in der Stille zu Hause sich einen Zeitpunkt am Tag suchen, um an den Verstorbenen zu denken, eine Kerze anzuzünden oder ein Gebet zu sprechen. „Was Trauernden gut tut, ist, wenn Menschen aus ihrer Umgebung immer wieder den Kontakt suchen. Und ihnen die Freiheit lassen, auch mal zu sagen: ,Ich kann gerade nicht, aber danke, dass du dich gemeldet hast‘.“
Zur Sache: Im Trauern begleiten
Das Zentrum für Trauerseelsorge St. Michael in Frankfurt ist eine Einrichtung des Bistums Limburg. „Wenn Trauernde zu weit entfernt leben, um zu uns zu kommen, bieten wir auch an, Kontakte zu vermitteln zu Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls Erfahrung in der Trauerseelsorge haben“, sagt Verena Kitz. „Wir helfen dann gerne, eine Trauerbegleitung zu suchen.“ (kai)
Zentrum für Trauerseelsorge St. Michael, Butzbacher Straße 43, Telefon 069/451024, Internet: www.trauerseelsorge.bistumlimburg.de