Die Kirche im Umbau
Traumjob Pfarrvikar?
Die Kirche ist im Umbau. In allen Bistümern in Deutschland wird die Zahl der Pfarreien reduziert, die Seelsorgeräume werden größer. Um eine solche XXL-Pfarrei zu leiten, braucht es besondere Talente. Die sind nicht jedem Priester gegeben. Deshalb verzichten viele Seelsorger gerne auf Leitungsfunktionen und arbeiten lieber als Pfarrvikar.
Es gibt sie. Immer häufiger. Die Priester, die auf Leitung verzichten, um sich „wieder mehr dem Kerngebiet priesterlicher Seelsorge zu widmen“. Sie nehmen mit Freude die Aufgabe eines Pfarrvikars an und fühlen sich dadurch keineswegs zurückgesetzt in die zweite Reihe, sondern eher befreit von der Last der pfarrherrlichen Bürde. Sie sind lieber Vikar – im allgemeinen Verständnis klingt da irgendwas von Aushilfe mit – als Leitender Priester, Moderator eines Pfarrverbunds oder wie sonst die neuen Titel heißen.
Das Interesse am „Job“ des Pfarrvikars steigt, die Praxis lässt ohnehin nichts anderes zu: Zumindest für eine Übergangszeit wird es wegen der Fusionen zu Großpfarreien noch mehr Priester geben als leitende Pfarrer nötig sind. So wird aus der Not eine Tugend: So mancher ausgebildete Pfarrer mit Examen darf sich endlich wieder mehr auf geistliche Begleitung und Seelsorge konzentrieren.
Nicht wenige Priester brennen aus
Die neuen Strukturen, die in den Bistümern unterschiedlich weit entwickelt sind, sorgen vor allem für mehr Klarheit. Die vergangenen Jahre, in denen vielen Priestern im Jahresturnus „unter Beibehaltung der bisherigen Tätigkeit“ die Seelsorge für einen weiteren zusätzlichen Kirchort auferlegt wurde, haben Spuren hinterlassen. Nicht wenige Priester sind überfordert, brennen aus, weil sich mit den übertragenen Aufgaben die eigene Rolle nicht änderte. Mehr Gottesdienstverpflichtungen, mehr Gremiensitzungen … Sie blieben Allesmacher.
Mit der nun häufiger getroffenen Unterscheidung zwischen leitenden Pfarrern und Pfarrvikaren ändert sich allmählich das Bild vom Pfarrherren, der für alles zuständig sein muss und will. In etlichen Regionen sind zur Entlastung inzwischen auch Fachleute für die Verwaltung eingestellt worden.
Die Zeit der Einzelentscheider und Alleinunterhalter ist vorbei
Fakt ist auch: Nicht jedem guten Priester ist auch das Talent gegeben, ein Team zu leiten, Konflikte mit Mitarbeitenden konstruktiv zu lösen, ständig neue pastorale Modelle zu erproben … So mancher kommt auch gesundheitlich an seine Grenzen. Da ist es nur verantwortlich und vernünftig, nach Talenten und – wie es in der Sprache der „Kirchenentwickler“ heißt – Charismen zu fragen. Und nicht allein die Weihe zum Kriterium für eine Aufgabe zu machen.
Über die künftige Rolle von Priestern wird derzeit in allen deutschen Bistümern diskutiert. Auch die Debatten des Synodalen Wegs sind von Fragen zu Klerikalismus, Teamfähigkeit der Priester und der geforderten Mitbestimmung aller Getauften geprägt. Die Zeiten des Pfarrers als allgewaltigem Einzelentscheider und Alleinunterhalter sind vorbei. In Zeiten der „Kirchenentwicklung“ sind die „Ermöglicher“ gefragt, die Verantwortung abgeben, Aufgaben delegieren und sich über kreative Gemeindemitglieder freuen, die ihren Glauben selbstständig in Wort und Tat bezeugen. Und die Praxis zeigt: Das ist auch das, was viele Priester wollen.
Von Johannes Becher
„Generell spüre ich schon eine gute und starke Entlastung“
Menschen begegnen möchte Pfarrer Andreas Omphalius. „Den Glauben durch persönliche Beziehungen weitergeben – das ist es, worauf Jesus im Evangelium Wert legt“, sagt er. „Deshalb bin ich Priester geworden.“ Andreas Omphalius, Jahrgang 1975, ist Pfarrer und wirkt aktuell als Pfarrvikar in Mörfelden in St. Marien Königin des heiligen Rosenkranzes sowie in der Pfarrgruppe Nauheim und Königstädten Jakobus und Johannes. Als leitender Pfarrer war er neun Jahre in der Pfarrgruppe Otzberg tätig, bis er gefragt wurde, ob er als Pfarrvikar nach Mörfelden wechseln würde. Dort wurde dringend ein Pfarrer gebraucht. Seit 2019 arbeitet Pfarrer Omphalius im Team mit Pfarrer Christof Mulach, der als leitender Pfarrer in Nauheim und Königstädten und als Pfarradministrator in Mörfelden tätig ist.
Hat ein Pfarrvikar mehr Freiheiten für die Seelsorge als ein leitender Pfarrer? „Generell spüre ich schon eine gute und starke Entlastung“, antwortet Andreas Omphalius. Zuvor betreute er 12 Ortschaften rund um Otzberg. Heute findet er mehr Zeit für Gespräche oder die Einzelseelsorge. Weil aber bald nach seinem Wechsel die Corona-Pandemie ausbrach, habe er noch wenig Erfahrung als Pfarrvikar unter „normalen Bedingungen“ machen können. Die Menschen in den Gemeinden würden keinen Unterschied zwischen Pfarrer und Pfarrvikar machen. „Der Pfarrvikar ist akzeptiert.“ Doch zwischen der aktuellen Situation und dem Priesterbild, wie er es in seiner Jugendzeit erlebt hat, „klafft schon eine Lücke“, sagt Andreas Omphalius. Pfarrer zu sein für etwa 3000 bis 4000 Katholiken in einem überschaubaren Bezirk mit einer Kirche, einer Kita, einem Pfarrhaus, so hatte er es vorgelebt bekommen. „Dass ich Seelsorger und Begleiter von Menschen sein kann, dass ich Beziehungen aufbaue, das ist mir wichtig.“ Die Sorge treibt ihn und, wie er erzählt, auch weitere seiner Mitbrüder um, „dass in größeren Pfarreien die Zeit im Auto mehr wird, dass der Aufbau von Beziehungen schwieriger wird, wenn die Katholikenzahlen in einer Pfarrei beispielsweise im fünfstelligen Bereich ankommen“. „Das sind nicht mehr die Bedingungen, unter denen ich als Priester angetreten bin.“
Auch ein Pfarrvikar trägt Verantwortung
Auch findet er, dass Leitung zum Pfarrer-Sein dazugehört. Die Frage „nur Seelsorger oder Verwalter?“ stelle sich nicht. „Das eine schließt das andere nicht aus.“ Das Leiten habe verschiedene Aspekte. „In einer Leitungsfunktion gibt es mehr Gestaltungsmöglichkeiten und Anerkennung. Zugleich muss man mehr Spannungen aushalten, hat mehr zusätzliche Termine wie etwa Sitzungen mit den Räten.“ Jedoch: Wenn Pfarrer-Sein nur aus Verwaltungsarbeiten bestehen würde, „dann hätte ich auch bei der Bank bleiben können“, erläutert Andreas Omphalius, der nach der Schule zuerst eine Lehre bei der Dresdner Bank absolvierte. Aber auch ein Pfarrvikar – auch wenn er nicht leitet – trägt Verantwortung. Beispielsweise wenn er sich um die Ministrantenarbeit kümmert und er überlegen muss, welche finanziellen Ausgaben dabei angemessen sind, nennt Andreas Omphalius ein Beispiel. Und: Nicht nur ein leitender Pfarrer, „auch ich als ein Pfarrvikar sitze viel am Computer und schreibe beispielsweise Protokolle.“ Ganz ohne Verwaltung gehe es eben doch nicht. (wei)
Mehr Stellungnahmen zum Thema vom Fuldaer Generalvikar Christof Steinert, vom Personaldezernenten im Bistum Mainz, Hans-Jürgen Eberhardt, und vom Regens des Bistums Limburg, Christof May, finden Sie in der gedruckten Ausgabe 22 vom 6. Juni.