Das "Ethik-Eck": Umgehen mit der Nachrichtenflut

Umweltverschmutzung ist Innenraumverschmutzung?

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Die Frage lautet diesmal: „Umweltverschmutzung ist Innenraumverschmutzung“: So hat es mal ein kirchlicher Umweltbeauftragter gesagt. Gilt das denn auch für die Flut „schmutziger“ Informationen, die Tag für Tag auf mich einprasseln – im Internet, aber auch auf den Straßen? Ist „ohne Nachrichten“ ein sinnvoller Innenweltschutz oder nur Weltflucht?


Beherrsche ich mein Handy, oder beherrscht es mich?
Wieviel Informationen und mediale Reize sind gut? Wieviel „Innenraumschutz“ braucht es? Das kann sicher nicht pauschal gesagt werden, weil jeder Mensch anders ist.
Es gibt introvertierte Typen, denen äußere Reize schnell zu viel werden und die sich entsprechend schützen müssen; es gibt extrovertierte Typen, denen Kommunikation zur Entspannung wirklich hilft. Absolute Lösungen sind jedenfalls mit Vorsicht zu genießen. Keine Informationen laufen auf Weltflucht oder zumindest auf Weltfremdheit hinaus; zu viele Informationen können umgekehrt eine permanente Flucht vor der eigenen inneren Welt in die äußere sein.
Entscheidend ist jeweils: Was hilft mehr, um im Alltag achtsam mit mir selbst, den Mitmenschen und mit Gott in Beziehung zu sein? Helfen die Informationen mir, in Freiheit mein Leben in den Dienst Gottes zu stellen, oder halten sie mich davon ab, sind sie – vielleicht manchmal unbemerkt – zu „Freiheitsräubern“ (Bianca Maier) geworden? Beherrsche ich noch mein Handy, oder beherrscht es mich? Das meint „Freiheitsräuber“. Alles, was in der Welt ist, ist auf Gott hin geschaffen, vor allem wir selbst. Deshalb sollen alle geschaffenen Dinge uns helfen, Gott zu finden und ihm zu dienen. Wenn sie uns dabei helfen, sollen sie gebraucht werden, wenn sie uns daran hindern, soll man sie lassen.
In der medialen Flut unserer Zeit sollte es „medienfreie“ Zeiten und Orte geben, zum Beispiel dann, wenn man mit Gott verabredet ist (in der Gebetszeit, im Gottesdienst und erst recht bei Einkehrtagen oder Exerzitien), und auch, wenn man mit anderen Menschen zusammen ist. Vielleicht auch, wenn man mit sich selbst verabredet ist, also zu sich kommen möchte. Sonst geht es frei nach Heinz Erhard: Ich kehre heute bei mir ein – hoffentlich bin ich zuhause! Die mediale Flut legt allzu nahe, stetig bei etwas zu sein, und zwar bei dem, was gerade an Dingen auf mich einströmt – also nicht bei Gott, beim anderen, bei mir, denen doch nach dem wichtigsten biblischen Gebot meine Liebe gelten sollte. Dinge an sich zu lieben, ist Götzendienst. Dinge dürfen schön und gut sein, aber auf Gott hin, nicht um ihrer selbst willen. Das ist am Ende das Richtmaß für das ganze christliche Leben, auch für die Frage, wieviel Raum ich welchen äußeren Dingen in meinem Leben geben sollte.

Schwester Igna Kramp
gehört der Congregatio Jesu (Maria-Ward-Schwestern) an und leitet im Bistum Fulda den Entwicklungsbereich Geistliche Prozessbegleitung.

 

Immer mehr Sofort
Ja, das wäre mal was, gerade in den langen Monaten der Pandemie … keine Nachrichten mehr, keine Zahlen und Warnungen. Und da sind ja auch noch die Nachrichten zur Klimakatastrophe, zu all dem, was sich ändern müsste, jetzt gleich, ganz dringlich. Und dann noch das Private.
Für viele ergibt das einen Dauerdruck, so viel, was schwierig und bedrohlich ist, und ein Gefühl, es wird immer schlimmer und schneller.
Und „schmutzige Nachrichten“, was ist damit gemeint? fake news, allzu Intimes und Privates? Gibt es ja auch, jede Menge.
Wie verlockend: einfach abschalten, mal seine Ruhe haben. Wunderbar: Die Augen und Ohren zumachen. Aber ehrlich – wie lange wäre das auszuhalten? Würden wir nicht gerne bald mal blinzeln und kurz hinschauen, die Ohren spitzen, um was mitzukriegen?
Und die Idee: früher war es einfacher, stimmt natürlich nicht. Und es ginge besser, wir wüssten vieles nicht oder es würde uns nicht aufdringlich hinterher getragen, stimmt auch nicht.
Vielleicht ist der Umgang mit Nachrichten komplizierter geworden, für manche von uns. Es gibt mehr Angebot, mehr Verfügbarkeit, mehr Sofort. Aber andererseits auch nicht wirklich. Wo Menschen waren und sind, gibt es Denken, Sprechen, Meinen, Phantasie, Vermutung, und das in allen Schattierungen und Spannungen; ich finde es schwierig, da in schmutzig oder nicht schmutzig zu unterscheiden.
Hat sich vielleicht nur das Wie verändert?
Es braucht eine Haltung. Schon immer. Auch in einer begrenzteren Welt mit einem begrenzten Wissen und Informationen, die lange brauchten, bis sie ihre Adressaten erreichten, gab es diese Haltung und diese Entscheidung: Mit was beschäftige ich mich, was wähle ich aus?
Schon immer gab es schlimme Nachrichten über Katastrophen, Horrormeldungen und Klatsch, üble Nachrede und dummes, verletzendes Gerede.
Wofür nehme ich mir die Zeit? Was lasse ich mit mir machen?
Erstmal ist es ein großer Gewinn, wie schnell und umfassend und unterschiedlich das Wissen der Welt zur Verfügung steht. Wunderbar beeindruckend, was wir alles erfahren können. Wir können unterscheiden und uns entscheiden.
Die wesentlichen Nachrichten sind die, die mich berühren. Wie es den Menschen geht, die mir nahestehen, und die Bilder und Berichte, von denen ich mich berühren lasse. Was mich ins Herz trifft. Und mich zum Denken und Handeln bringt. Alles andere lässt sich ausschalten oder gar nicht erst einschalten, lässt sich wegwischen, zur Seite legen und lassen.

Ruth Bornhofen-Wentzel
war Leiterin der Ehe- und Sexualberatung im Haus der Volksarbeit in Frankfurt.

 

Mystik der offenen Augen
Mit der Unterscheidung von rein und unrein kennt sich die christliche Tradition recht gut aus. Die Vorstellung, dass der menschliche Körper durch den Kontakt etwa mit Blut „verunreinigt“ werden kann und in diesem Zustand von der Sphäre des Göttlichen fernzuhalten ist, wurde in der Kirchengeschichte zum Nachteil von Frauen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein tradiert. Die Verschmutzung der Umwelt durch menschliches Tun ist zur globalen politischen und moralischen Herausforderung geworden.
Eine noch einmal andere Perspektive auf rein und unrein wirft das Wort von der Innenraumverschmutzung, das sich, so könnte man vielleicht formulieren, auf die Hygiene der Psyche bezieht. Konkret geht es um den Verdacht, dass es für das eigene Seelenleben schädlich ist, sich tagtäglich einer Unmenge, einem Müll, von Nachrichten oder Kommentaren auszusetzen. Die Flut der Worte und Bilder in den sogenannten sozialen Medien, die je nach eigenem Medienkonsum auf einen einstürmen, dürfte den Erfahrungshintergrund für die in der Frage zum Ausdruck kommende Sorge bilden.
Es ist aber nicht allein die schiere Menge, die bedrohlich wirkt. Vielmehr sind es der unaufhaltsam fließende Hass, die Verachtung, die Aggression oder schlicht der Unsinn, die zur Übersättigung führen können.
Das Phänomen eskalierender Debatten in manchen Medien ist bekannt. Die ungefilterte Verbreitung etwa von Desinformationen in der Pandemie beschäftigt inzwischen auch den politischen Raum, so dass wir am Beginn stärkerer rechtlicher Regulierungen im Bereich der sozialen Medien stehen könnten.
Aber das Maß der Innenraumverschmutzung ist kein schicksalhaftes Widerfahrnis. Zum einem liegt es an der eigenen Erregungsbereitschaft, wie man auf bestimmte – neutral formuliert – Informationen reagiert; zum anderen hat man es selbst in der Hand, in welchen Medien man sich bewegt. Dabei sein ist in diesem Falle eben nicht alles; es sei denn, man ist aus professionellen Gründen darauf angewiesen. Kurz gesagt: Es gibt Schutz gegen Verschmutzung.
Das bedeutet jedoch nicht, sich abzukapseln von der Welt „da draußen“. Wir haben als Christinnen und Christen kein Recht, im Interesse eines „reinen“ Innenlebens uns von dem abzuschotten, was um uns herum passiert, auch wenn es uns beunruhigen oder verstören kann. Der Münsteraner Theologe Johann Baptist Metz hat ausgedrückt, worum es geht: Das Christentum steht für eine „Mystik der offenen Augen“. Ein von medial vermittelten Inhalten völlig rein gehaltenes Innenleben ist daher keine Option.

Stephan Goertz
ist Professor für Moraltheologie an der Universität Mainz.