Antworten auf die Frage Jesu: Wofür haltet ihr mich?

Und was sagt ihr?

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Bruder, Prophet, Erlöser, Revoluzzer, Superstar: Die Frage Jesu „Wofür haltet ihr mich?“ findet viele Antworten. Jeder betont anderes: das Milde, das Harte, das Tragische, das Erlösende. Was ist richtig? 

Foto: imago images/McPHOTO/Luhr
Jesus, der umjubelte Held: Szene aus dem Musical
„Jesus Christ Superstar“
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"Jesus sehe ich als eine große historische Figur. Ob Gott oder Mensch, ist für mich nicht so wichtig. Jesus war auch ein Revoluzzer, ein Gesellschaftspolitiker. Ich mag ihn.“ Das sagt Franz Müntefering, Katholik und früherer SPD-Vorsitzender. Seine Antwort ist in gewisser Weise typisch: Als Sozialdemokrat mit einem großen Herzen für gerechte Strukturen interessiert er sich mehr für die Bergpredigt als für theologische Auseinandersetzungen um die Gottessohnschaft.

Beides kann aber auch zusammengehen. Das zeigen die sogenannten Befreiungstheologen Lateinamerikas, etwa Leonardo Boff oder Dom Helder Camara. Sie sehen Jesus sehr praktisch auf der Seite der Armen – mit allen Konsequenzen für die politischen Entscheidungen in ihren oft korrupten Ländern. Als Kommunisten wurden sie deshalb verschrieen, obwohl sie nie Zweifel ließen an ihrem religiösen Glauben an den Gottessohn. Aber der schwebt eben nicht nur fern im Himmel, sondern zeigt sich den Ärmsten der Welt.

Wieder andere sehen Jesus ausschließlich als Sozialrevolutionär – und zwar als einen, der gescheitert ist. Den Schriftsteller Erich Kästner kann man hier nennen. Sein berühmtes Gedicht „Dem Revolutionär Jesus zum Geburtstag“ endet so:
„Die Menschen wurden nicht gescheit. Am wenigsten die Christenheit, 
trotz allem Händefalten.
Du hattest sie vergeblich lieb. 
Du starbst umsonst. Und alles blieb
beim ALTEN.“

Eine andere beliebte Beschreibung für Jesus ist die des bedeutenden Propheten. Schon zu seinen Lebzeiten war das so, wie die Jünger im heutigen Evangelium berichten. Manche denken, einer der großen alten Propheten sei wiederauferstanden, sagen sie. Dabei ist wohl weniger an eine reale Vorstellung von Wiedergeburt zu denken als an einen Vergleich. Jesus wird ein Rang eingeräumt, wie ihn etwa Elija innehat: ein großer Prophet, aber nicht der erhoffte Messias.

So sehen es auch heute noch andere Weltreligionen. Mohammed nennt Jesus im Koran den Gesandten Gottes (Sure 4,157) und einen Propheten (Sure 19,30). Als solcher konnte er Blinde und Aussätzige heilen und Tote erwecken (Sure 5,110). Jesus sei das „Wort der Wahrheit“ (Sure 19,34). Gott habe ihn mit dem heiligen Geist gestärkt und ihn die „Schrift, die Weisheit, die Tora und das Evangelium“ (Sure 5,110) gelehrt.

Jüdische Theologen bezeichnen Jesus außerdem oft ausdrücklich als Bruder. „Jesus ist für mich der ewige Bruder, nicht nur der Menschenbruder, sondern mein jüdischer Bruder“, schreibt Schalom Ben Chorin. Und Martin Buber bekennt: „Jesus habe ich von Jugend auf als meinen großen Bruder empfunden (...) Gewisser als je ist es mir, dass ihm ein großer Platz in der Glaubensgeschichte Israels zukommt.“

Bruder – so wird Jesus in den letzten Jahren auch häufiger in der christlichen Liturgie und im modernen geistlichen Liedgut genannt, wohl um seine Nähe zu uns zu betonen. Nicht (nur) der ferne Herr, König, Richter, sondern Mensch wie wir. Einer, der Freud und Leid des irdischen Lebens am eigenen Leib erfahren hat – eben ein Bruder, ein Freund

Auch menschlich, aber doch ganz anders ist die Interpretation Jesu als Superstar. Das Musical „Jesus Christ Superstar“, von Andrew Lloyd Webber 1971 am New Yorker Broadway auf die Bühne gebracht, ist eines der erfolgreichsten in der Musikgeschichte. Unzählige Jugendgruppen und Gemeindechöre sangen die Lieder nach und versuchten sich an eigenen Aufführungen. Mit Hilfe der Musik rückte Jesus in einer Zeit, in der John Lennon behauptete, die Beatles seien bekannter als Jesus Christus, in den kulturellen Mittelpunkt, gerade in der jungen Generation.

Wenn man den Evangelien glaubt, war Jesus auch zu seiner Zeit schon ein Superstar. Was die Menschen offenbar besonders faszinierte: Jesus war ein Heiler. In der Begegnung mit ihm wurden Menschen gesund an Leib und Seele; sie konnten wieder sehen und gehen; unreine Geister verließen sie – sie waren wieder Herr ihrer Sinne. Kein Wunder, dass es Menschenaufläufe gab, wenn er sich blicken ließ. So viele Geschichten erzählen davon, dass es wahr sein muss.

Dass Jesus gesund macht, ist auch heute noch für viele Menschen wichtig. Heiland: Dieser Begriff ist aus der Mode gekommen, die Sache nicht. Es können, aber müssen nicht tödliche Krankheiten sein. Die Begegnung mit Jesus kann heilen von Egoismus, Hass und Angst. Geheilt zu werden von der Blindheit gegenüber der Not anderer und vom geduckten Gang, das ist nicht wenig. Und oft sind körperliche Leiden damit eng verbunden. Jesus, der Heiler: nicht nur in Krankenhäusern ein hoffnungsvoller Blick auf ihn.

Und dann sind da die mehr theologischen Begriffe. „Du bist der Christus Gottes“, sagt Petrus. Das berühmte „Messias-Bekenntnis“, denn früher stand hier in der Einheitsübersetzung das hebräische Wort Messias, griechisch: Christus, zu Deutsch: der Gesalbte. Der, auf den das jüdische Volk wartet, von dem die Propheten reden, der, der das Reich Gottes auf Erden errichten wird.

Doch Pauken und Trompeten, Engel und Heerscharen, Gerechtigkeit und Frieden blieben aus. Bis heute ist vom Reich Gottes nicht viel zu sehen. Deshalb warten die Juden weiter auf den Messias. Christen hingegen glauben daran: Der Sohn der Maria war nicht nur Jesus, er ist auch Christus, der Sohn Gottes. Der, der richtet und rettet, erlöst und befreit und ewiges Leben verheißt.

„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Die Frage, die Jesus im Evangelium seinen Jüngern stellt, ist zentral bis heute. Bei der Antwort geht es nicht um Dogmatik oder Katechismusweisheiten. Es geht um ein persönliches Bekenntnis. Um eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben. Mit dem, was man als Kind gelernt hat, und mit dem, was einem später zugewachsen ist an Erfahrungen und Überzeugungen.

Gibt es dabei ein Richtig oder Falsch? Die Person Jesu ist so vielschichtig, lebt so aus der Fülle, dass jedem immer neue Facetten wichtig erscheinen. Je nach Alter, je nach Lebenslage. „Du aber, für wen hälst du mich?“ – hier und heute.

Susanne Haverkamp