Radtour von Hildesheim nach Gandersheim
Unterwegs auf der Straße des Friedens
Uralte Geschichte und moderne Kunst, historische Gemäuer und gepflegte Parks – all das gibt es zwischen Hildesheim und Bad Gandersheim zu entdecken.
Die Strecke ist keine 50 Kilometer lang und doch kann es passieren, dass man sein Ziel erst am Abend erreicht, selbst wenn man früh gestartet ist. Bei den vielen Sehenswürdigkeiten, die sich auf dem relativ kurzen Abschnitt aneinanderreihen, muss man auswählen.
Schon der Startpunkt, die Bischofsstadt Hildesheim, bietet reichlich Kunst und Kultur. Mit St. Michaelis und dem Dom samt Dommuseum und 1000-jährigem Rosenstock beherbergt die Stadt gleich zwei Welterbestätten der UNESCO, darüber hinaus mehrere romanische und gotische Kirchen, das Roemer- und Pelizaeus-Museum mit seiner einzigartigen ägyptischen Sammlung und einen historischen Marktplatz. Das alles lohnt einen Besuch, doch nun heißt er erst mal: aufsatteln.
Der Weg führt über den Innerste-Radweg zur Domäne Marienburg. Diese Wasserburg wurde im 14. Jahrhundert von Bischof Heinrich III. erbaut als Schutz gegen die aufbegehrenden Bürger der Bischofsstadt. Durch sieben Jahrhunderte hindurch erlebte die Burg eine wechselvolle Geschichte. Bis heute hat das Ensemble seinen mittelalterlichen Reiz bewahrt, obwohl es dort modern und jung zugeht: Die Domäne wird von der Universität Hildesheim als Kulturcampus genutzt.
Weiter geht es Richtung Groß Düngen. Hier ist die katholische St.-Cosmas-und-Damian-Kirche mit ihrer barocken Ausstattung zwar sehenswert, geöffnet ist sie jedoch nur zu den Gottesdiensten. Über Wesseln führt die Strecke nach Bad Salzdetfurth, wo wir auf einen Kurpark mit zwei Gradierwerken stoßen. Dort rieselt Sole über aufgeschichtetes Reisigwerk und reichert die Luft mit Salz an. Durch die Inhalation lassen sich die oberen Atemwege befeuchten. Ursprünglich dienten die 13 Meter hohen und 71 Meter langen Gradierwerke der Salzgewinnung. Das Ortsbild der kleinen Kurstadt wird durch Fachwerkbauten geprägt, die sich beiderseits der Lamme ausdehnen. Wie sehr Bad Salzdetfurth zu allen Zeiten von Hochwasser bedroht war, lässt sich an einer Markierung am Turm der St.-Georgs-Kirche aus dem Jahr 1738 ablesen.
Weiter geht’s ins beschauliche Wehrstedt, wo über eine kleine Steigung die Kirche des Ortes erreicht wird. Der Ritter von Wehrstedt soll im 16. Jahrhundert an dem Geleitzug für Martin Luther auf die Wartburg beteiligt gewesen sein. Nächste Station ist Sehlem. Die Geschichte des Ortes reicht bis ins 12. Jahrhundert zurück. Der Schwedenstein erinnert noch heute an die Verwüstungen und Plünderungen durch Tillys Truppen während des Dreißigjährigen Krieges.
Einer der Höhepunkte der Route ist der Flecken Lamspringe mit seiner barocken Klosterkirche, dem ehemaligen Benediktinerkloster und dem Klosterpark. In der Klosterkirche befinden sich Reliquien des Heiligen Oliver Plunkett. Er war Erzbischof von Armagh und Primas von Irland. Die Katholiken standen in seinem Heimatland nach der Abspaltung der englischen Kirche unter schwerer Verfolgung. Bis zu seiner Verhaftung im Jahr 1679 baute der Heilige die Seelsorge in Irland wieder auf. Er wurde unter dem Vorwand einer Jesuitenverschwörung des Hochverrats angeklagt, zum Tode verurteilt und starb 1681 am Galgen den Märtyrertod. Der Benediktinermönch Maurus Corker brachte seinen Leichnam ins Kloster Lamspringe. Dort hatten einige englische Benediktiner eine neue Heimat gefunden. Fast 200 Jahre ruhten seine Gebeine dort. Einige Reliquien befinden sich bis heute in einem Schrein in der Kirche, der Großteil wurde 1883 nach England und Irland zurückgebracht.
Im weitläufigen Klostergarten kann die Quellgrotte der Lamme besichtigt werden, die bei Heinde in die Innerste fließt. Der Sage nach scharrte während einer großen Trockenheit ein Lamm auf dem Boden und plötzlich entsprang an dieser Stelle eine Quelle, die den Wassermangel für alle Zeiten beendete.
Mit dem nun folgenden Tour-Abschnitt hat es eine besondere Bewandtnis: Er führt über eine stillgelegte Bahntrasse und ist durch zahlreiche moderne Skulpturen gesäumt. Als Vorbild für den Weg sind die Ideen des jüdischen Malers und Bildhauers Otto Freundlich anzusehen, der bereits in den 30er-Jahren Skulpturenstraßen zur Völkerverbindung, zum Beispiel von Paris nach Moskau, plante, die sich aber in den folgenden Kriegszeiten nicht realisieren ließen. Im Jahr 2001 nahm der Bildhauer Leo Kornbrust diese Idee auf, eine „Straße der Skulpturen in Europa“ zu schaffen. Als Hommage an Otto Freundlich initiierte er in Etappen die „Straße des Friedens“ – der Skulpturenweg ist ein Teil davon. Die gestaltenden Künstler kamen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturkreisen.
Auf dem Skulpturenweg wird Brunshausen erreicht. Die Ursprünge des Klosters gehen auf das 9. Jahrhundert zurück. In der Nazi-Zeit diente die Anlage als Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. Häftlinge mussten Zwangsarbeit im Heinkel-Werk und in nahegelegenen Steinbrüchen leisten. Heute befindet sich es sich im Besitz der Stadt Bad Gandersheim und wurde 1989 zum Kulturzentrum umgebaut. Seit 2007 befindet sich im Kloster der zweite Teil des Museumsprojektes „Portal zur Geschichte“, in dem die Geschichte des Stiftes anhand der Biografien starker Frauen dargestellt wird. Der dritte Teil der Ausstellung wurde 2013 ebenfalls in Brunshausen eröffnet, der erste Teil befindet sich am Zielort der Tour, in der Klosterkirche Bad Gandersheim, die nach wenigen Kilometern erreicht wird.
Auch das Stift Gandersheim hat seine Ursprünge im 9. Jahrhundert. Im 10. Jahrhundert lebte hier als Kanonisse die erste deutsche Dichterin, Roswitha (auch Hrotsvit). Sie verfasste geistliche Schriften, Dichtungen und die ersten Dramen seit der Antike. Die Stadt Bad Gandersheim verleiht seit 1973 einen nach ihr benannten Literaturpreis. Mehr darüber und die Geschichte des Ortes erfährt man in der bereits erwähnten Ausstellung. Nach deren Besuch geht es per Zug zurück zum Ausgangsort.
Matthias Bode
Von Hildesheim nach Gandersheim
Die Strecke führt über die Domäne Marienburg, Groß Düngen, Bad Salzdetfurth und Lamspringe nach Bad Gandersheim. Sie folgt in weiten Teilen dem Innerste-Radweg und dem Radweg zur Kunst. Derzeit sind einige Abschnitte aufgrund von Bauarbeiten nicht passierbar, Umleitungen sind ausgeschildert.