Finanzskandal um Londoner Immobile

Vatikan klagt eigene Mitarbeiter an

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350 Millionen Euro Verlust hat der Vatikan durch Investitionen in eine Londoner Immobilie gemacht. Jetzt erhebt er wegen des Finanzskandals in seinem Staatssekretariat Anklage gegen zehn Personen. Es geht um Korruption, Erpressung und Geldwäsche.

Kardinal Giovanni Angelo Becciu
Er ist die prominenteste Figur in dem Prozess: Kardinal Giovanni Angelo Becciu, immer noch einflussreich im Vatikan.

Erstmals muss sich ein Kardinal der katholischen Kirche vor dem vatikanischen Strafgericht verantworten. Welche Rolle spielte Giovanni Angelo Becciu bei den Investitionen des vatikanischen Staatssekretariats in eine Londoner Immobilie? Welche Verantwortung trug der Mann, der als Substitut sieben Jahre lang an der Schaltstelle der mächtigen Kurienbehörde waltete, dem Papst Franziskus im September 2020 alle Ämter entzog und dem Veruntreuung und Amtsmissbrauch sowie Verleitung zur Falschaussage vorgeworfen werden?

Im Prozess um den vatikanischen Finanzskandal stellen sich viele brisante Fragen. Der Prozess soll am 27. Juli beginnen, und das Gericht des Vatikan hat Anklage gegen zehn Personen erhoben, teilte das Presseamt des Heiligen Stuhls nun mit. 

Die Riege der Beschuldigten reicht von Becciu über den Schweizer Finanzexperten Rene Brülhart mit dem Ruf als Saubermann bis zur selbsternannten italienischen Sicherheitsberaterin Cecilia Moragna. Dazu gesellen sich vatikanische Mitarbeiter – im Staatssekretariat zuständig für Finanzen; sie sollen von den anderen Beschuldigten, italienischen Finanzmaklern, entweder übers Ohr gehauen worden sein oder mit ihnen gemeinsame Sache gemacht haben.

Misstrauen, Ermittlungen und eine Razzia

Die Vorwürfe umfassen Veruntreuung, Geldwäsche, Betrug, Erpressung, Urkundenfälschung und Amtsmissbrauch. Im Kern geht es um verlustreiche Investitionen in Höhe von 350 Millionen Euro in eine Londoner Immobilie und die sie begleitenden Deals und Provisionen. Unklar ist bisher, welche Verantwortung derzeitige Obere des Staatssekretariats für die Investitionen tragen.

Beccius Nachfolger Edgar Pena Parra soll Deals autorisiert haben. Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin soll versucht haben, im Frühsommer 2019 für den Londoner Immobilien-Deal weiteres Geld vom IOR zu bekommen. Die Vatikanbank wurde misstrauisch, schaltete den Revisor ein, Ermittlungen nahmen ihren Lauf und führten zur Razzia im Oktober 2019. Fünf Vatikan-Mitarbeiter wurden suspendiert; seither wartete man.

Dass es im Staatssekretariat „einen Skandal“ gab, hatte der Papst bestätigt, als er im November 2019 auf dem Rückflug von Tokio nach der Razzia an der Kurie befragt wurde. Ende April änderte er dann das Strafprozessrecht, damit auch Kardinäle normal angeklagt werden können.

Parolin sieht seine Behörde als Opfer

Während etwa Brülhart nur sein Amt als Verwaltungsratschef der vatikanischen Finanzaufsicht AIF missbraucht haben soll, listet die Anklage bei Enrico Crasso, dem römischen Broker mit Sitz in der Schweiz, eine ganze Palette von Vergehen auf. Angeklagt sind neben Crasso auch seine Finanzmakler-Kollegen Raffaele Mincione und Gianluigi Torzi.

Aus dem Staatssekretariat werden Beccius einstiger Sekretär Mauro Carlino sowie Fabrizio Tirabassi beschuldigt. Tirabassi war die unmittelbare Schnittstelle zwischen Vatikan und Finanzmaklern. Er genoss einen zweifelhaften Ruf, die Rede ist von Erpressung, Drohungen und Partys mit Prostituierten.

Als Exotin in der Männerriege wirkt Cecilia Marogna. Die Autodidaktin in Sachen Geheimdienste erhielt von Becciu 575 000 Euro für die Sicherheitsberatung humanitärer Missionen des Vatikan und Verhandlungen zur Freilassung entführter Kirchenvertreter, wie sie selber einem Fernsehteam erklärte. Allerdings gab Marogna einen Großteil des Geldes für private Luxusgüter aus.

Das Staatssekretariat selbst tritt beim Prozess als ziviler Nebenkläger auf. „Ganz einfach, weil wir Opfer sind“, begründete Kardinal Parolin den Schritt. Er hofft auf einen kurzen Prozess, in dem die ermittelnde Justiz „hoffentlich die Wahrheit feststellen“ werde, weil viele Menschen unter der ganzen Affäre litten.

Becciu, Brülhart und Carlino ließen bereits mitteilen, der Prozess werde ihre Unschuld bestätigen. Brülhart erklärte, er habe seine „Funktionen und Aufgaben stets korrekt, loyal und im ausschließlichen Interesse des Heiligen Stuhls“ ausgeführt. Auch Carlinos Anwalt betonte, sein Mandant habe im Interesse des Staatssekretariats und Auftrag seiner Oberen gehandelt. Becciu hingegen sieht sich als „Opfer eines Komplotts“ und beklagt eine Diffamierungskampagne italienischer Medien.

Wie viel Licht ins Dickicht des Finanzskandals die vatikanische Justiz bringen kann, muss sich zeigen. Die Ermittlungsakten sind knapp 490 Seiten stark. Bisher nahmen schon deutlich einfacher gelagerte Justizfälle Jahre in Anspruch. Dass die Justiz des Papstes handwerklich noch dazulernen müsse, machten zuletzt italienische und englische Gerichtsurteile deutlich, mit denen vatikanische Anträge auf Amtshilfe abgeschlagen wurden.

Andererseits kamen die jüngsten Anklagen nur dank internationaler Kooperation zustande. Zuletzt hatte die europäische Anti-Geldwäsche-Kommission Moneyval den Vatikanstaat zu mehr Konsequenz im Kampf gegen Geldwäsche gedrängt. Zudem sind mit dem von Franziskus kürzlich reformierten allgemeinen kirchlichen Strafrecht nun ausdrücklich auch Finanzvergehen kirchenrechtlich strafbar.

kna/Roland Juchem