Wie die Caritas in Syrien hilft
„Veränderung ist möglich“

Foto: imago/Zuma Press Wire
Schulschluss: Schülerinnen und Schüler nach ihrem Unterricht in einer Schule in Jobar, einem Vorort von Damaskus im April 2025.
Hunderte Menschen haben im Gemeinschaftszentrum der Caritas in Aleppo in den vergangenen Jahren Hilfe gesucht. Eine Frau ist Carla Audo besonders in Erinnerung geblieben. „Fatma hat mit Mitte 20 ihren Ehemann verloren und war fortan allein für ihre sechs Kinder verantwortlich“, sagt Audo, die für Caritas Deutschland die Projekte in Syrien koordiniert. Andere Frauen in dieser Situation heirateten schnell einen neuen Mann, um sich abzusichern. Oder sie schickten ihre Kinder auf die Straße, um Arbeit zu finden: „Fatma war anders. Ihre einzige Sorge war die Zukunft ihrer Kinder.“

Fatma hatte in Sfireh gelebt, einem Ort nahe Aleppo. Als ihr Mann starb, floh sie mit ihren Kindern in die Stadt. Zunächst bekam sie Hilfe von entfernten Verwandten. „Wir haben in Aleppo eine gute Gemeinschaft. Wir helfen einander. Aber die Zeiten waren schwierig nach so vielen Jahren Krieg“, sagt Audo.
Im Caritas-Zentrum von Aleppo erhielt Fatma Unterstützung – und eine Tochter und ein Sohn konnten am Schulunterricht der Einrichtung teilnehmen. „Ihr Sohn studiert heute Jura an der Universität. Und die Tochter will Soziale Arbeit und Psychologie studieren“, sagt Audo. „Fatma sagte mir einmal, dass allein die Möglichkeit, dass ihre Kinder lernen können und ein besseres Leben haben, ihr die Kraft und die Hoffnung gegeben haben, um weiterzumachen.“
Hoffnung auf eine bessere Zukunft – das wünschen sich die Kinder und Jugendlichen in Syrien. Denn auch nach dem Ende des Krieges und dem Sturz des Assad-Regimes im vergangenen Dezember ist die Lage für Kinder und Jugendliche in Syrien schwierig. Sie sind im Krieg geboren und aufgewachsen. Die Caritas bietet ihnen Trauma-Arbeit, Freizeitangebote und Schulunterricht.
„Vor dem Krieg war der Bildungsstand in Syrien gut“, sagt Audo, die selbst im Land aufgewachsen ist. Es gab Schulen, Bildung war für alle offen, die Analphabetenrate tendierte gen Null. „Dann hat der Krieg fast alle 7000 Schulen im Land zerstört“, sagt Audo. Im Laufe der Jahre wurden aus den verbliebenen Gebäuden Unterkünfte für Kriegsflüchtlinge, nach dem schweren Erdbeben im Norden Syriens und der Türkei2023 wurden Schulen wieder als Notunterkünfte gebraucht.
Familien können sich Bildung nicht leisten
Heute fehlen in ganz Syrien Lehrkräfte. Viele Akademikerinnen und Lehrer haben das Land während des Krieges verlassen. Viele Schulen wurden noch nicht wieder aufgebaut. Und viele Eltern können sich den Unterricht, der an den regulären Schulen angeboten wird, nicht leisten. Sie schicken ihre Kinder arbeiten, damit die Familie mehr Geld hat.
Das will die Caritas verhindern, auch in ihrem Jugendzentrum in Homs. Vor einigen Monaten hat Carla Audo dort eine Unterrichtsstunde besucht. In dem Klassenraum vor ihr saßen Kinder und Jugendliche, die vom Krieg aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Kinder, die mit ihren Eltern über Jahre in Flüchtlingscamps wohnten. Die erlebt haben, wie Familienmitglieder bei Angriffen verwundet oder getötet wurden. Die sich kaum regelmäßige Mahlzeiten leisten konnten. Die nie eine Schule besucht haben. Bis jetzt.
Im Jugendzentrum werden sie psychologisch betreut und unterrichtet. Manche Kinder erfahren hier zum ersten Mal, was es heißt, lesen und schreiben zu lernen. „In dem Projekt in Homs gibt es Kinder, die in der Türkei aufgewachsen sind“, sagt Audo. Sie seien nun mit ihren Eltern zurückgekehrt, könnten aber kaum ein Wort Arabisch. 40 der 120 Schülerinnen und Schülern im Jugendzentrum seien im Jahr 2022 Analphabeten gewesen, schon 60 in den Jahren2023 und 2024.
Doch der Besuch in Homs zeigte Audo nicht nur Probleme, er machte ihr auch Hoffnung: „Als ich da in der Klasse stand und gesehen habe, wie die Kinder Arabisch, Mathe und Englisch lernen, wie sie in verschiedenen Sprachen Lieder singen und glücklich sind, hat mich das sehr beeindruckt.“ Es sei unglaublich, wie schnell die Kinder lernen.
Solche Aufbrüche entdeckt sie immer wieder nach dem Ende des Assad-Regimes. „Früher hatten die Jugendlichen am Nachmittag nichts zu tun. Es gab überhaupt keine Sport- oder Kulturangebote“, sagt Audo. Zu unsicher war die Lagewährend des Krieges. Die jungen Männer fürchteten sich vor dem Militärdienst. Audo sagt: „Wenn sie 17 oder 18 Jahre alt waren, hatten sie nur einen Gedanken: Wie komme ich aus dem Land? Sie wollten nicht zehn Jahre ihres Lebens zum Militär gehen und vielleicht auch noch sterben müssen.“
Heute spürt Carla Audo eine größere Freiheit bei den Jugendlichen in Syrien. Sie sagt, in Aleppo gebe es einige Freizeitangebote zu Kunst, Theater und Musik, an denen sie teilnehmen können. Die Caritas-Koordinatorin möchte nicht zu optimistisch klingen: „Die Situation ist nach wie vor unsicher. Alles kann sich innerhalb eines Wimpernschlags ändern.“ Aber sie sagt auch: „Wir haben nun immerhin die Möglichkeit zu hoffen. Veränderung ist möglich. Aber sie passiert nicht von allein. Wir müssen sie vorantreiben.“
Zur Person
Carla Audo ist 33 Jahre alt und lebt in der syrischen Stadt Aleppo. Sie arbeitet für Caritas Deutschland in Syrien und koordiniert dort die verschiedenen Hilfsprojekte.